Können Huren bald ihren Lohn einklagen?

Aktualisiert

Ade «Sittenwidrigkeit»Können Huren bald ihren Lohn einklagen?

Steuern kassiert der Staat von Huren gerne – doch er lässt sie im Stich, wenn Freier die Zeche prellen. Mit dieser Heuchelei soll jetzt Schluss sein, fordert die FDP.

von
Simon Hehli
Prostituierte am Zürcher Sihlquai: Einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf ihren Lohn haben sie nicht.

Prostituierte am Zürcher Sihlquai: Einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf ihren Lohn haben sie nicht.

Wenn ein Freier sich nach dem Sex weigert, die Prostituierte zu bezahlen, steht sie mit leeren Händen da: Sie kann den Anspruch auf ihren Lohn nicht vor Gericht durchsetzen. Denn Prostitution gilt im rechtlichen Sinn als «sittenwidrig» – und Verträge, die gegen die guten Sitten verstossen, sind gemäss dem hundert Jahre alten Zivilgesetzbuch nichtig. Das hält den Staat aber nicht davon ab, bei den Huren Steuern einzuziehen – zumal die Prostitution seit 1942 legal ist.

Diese Doppelmoral störte den jungen Jus-Studenten Andrea Caroni bereits, als er in seiner ersten Vorlesung in Obligationenrecht davon hörte. Mittlerweile ist Caroni FDP-Nationalrat – und fordert den Bundesrat in einer neu eingereichten Interpellation auf, Stellung zu beziehen. Ob die Regierung seine Meinung teile, dass die «Zeit reif ist, auch Prostituierten einen rechtlichen Anspruch auf ihren vereinbarten Lohn zu gewähren», fragt der Appenzeller.

Ein Recht auf das verdiente Geld

«Prostituierte sollen genauso wie Blumenhändler und Bäcker ein Recht haben, ihr verdientes Geld einzuklagen», erklärt Caroni gegenüber 20 Minuten Online. Derzeit werde ja nur der Freier geschützt: «Er kann vor Gericht sagen: Ja, ich habe die Dienste der Dame in Anspruch genommen – aber das war alles schmutzig und sittenwidrig, deshalb zahle ich nicht. Und das Gericht muss ihm recht geben!»

Wie häufig es vorkomme, dass Prostituierte um ihr Geld geprellt werden, kann Caroni nicht abschätzen. Viele Freier wagten es wohl nicht, der Hure den Lohn zu verweigern – alleine schon aus Angst vor dem Zuhälter. Aber es gebe auch Prostituierte, die auf eigene Rechnung arbeiten und damit vom Goodwill ihrer Kunden abhängen. «Diese Frauen muss der Staat besser schützen.» Und zwar gerade weil die Behörden umgekehrt kein Problem damit haben, auf ein angeblich «schmuddeliges» Geschäft Steuern und Sozialabgaben zu erheben, findet der Freisinnige.

Moralvorstellungen aus einer anderen Zeit

Bisher hat es sich der Bundesrat bequem gemacht – und einfach auf das Bundesgericht verwiesen. Im entsprechenden Gesetzesartikel steht nicht explizit, welches Verhalten gegen die Sitten verstösst. Es ist deshalb eine reine Auslegungsfrage, ob die Prostitution dazu zählt. Die Bundesrichter haben dies zuletzt vor wenigen Monaten bejaht. Diese Interpretation sei nicht mehr zeitgemäss, kritisiert Caroni. «Sie entspringt einer Zeit mit ganz anderen Moralvorstellungen, als zum Beispiel auch noch das Konkubinat verboten war.» Heute sei die Prostitution hingegen eine breit akzeptierte Branche.

Wenn das Bundesgericht seine Praxis nicht selber ändert, müsse das Parlament die Gesetze anpassen, sagt Caroni – «das ist unser Job als Legislative». Ein Anstoss zu einer Reform kommt auch aus dem Kanton Bern. Drei FDP-Kantonsparlamentarier wollen mit einer Standesinitiative beim Bund Dampf machen. Der Regierungsrat hat bereits seine Unterstützung signalisiert, weil er die Praxis des Bundesgerichts ebenfalls für überholt hält.

«Sollen das Geld halt vorher einziehen

Falls sich der Berner Grosse Rat im Lauf dieser Woche für den Vorstoss ausspricht, ist das nationale Parlament am Zug. Opposition würde dort aus den Reihen der SVP kommen, wie Nationalrätin Natalie Rickli klarmacht. Sie sehe keinen Handlungsbedarf: Prostitution sei zwar legal, aber eben kein normaler Beruf. Prostituierte seien selber dafür verantwortlich, ihren Lohn einzutreiben: «Sie sollen das einfach vorher machen.»

Schützenhilfe erhält Caroni dafür von der Linken. «Prostituierte gehen einem Job nach wie andere Leute auch – und müssen dafür ohne Wenn und Aber bezahlt werden», sagt Jean-Christophe Schwaab, SP-Nationalrat und Mitglied der Rechtskommission. Der Grüne Daniel Vischer ist ebenfalls dafür, mit der «lächerlichen Heuchelei der Sittenwidrigkeit» aufzuräumen. Er mahnt aber auch, dass sich an der Situation der Huren wenig ändern würde: «Sie haben ja meistens die Adressen der Freier nicht – und können so keine Anzeige einreichen, wenn einer nicht zahlt.» Zudem sei die Beweisführung schwierig.

Deine Meinung zählt