GefährderMehr IS-Sympathisanten – Polizei ist machtlos
Die Zahl der potentiellen Jihadisten in der Schweiz ist angestiegen. Doch solange sie nicht kriminell auffallen, können die Behörden nicht reagieren.
Anis Amri, der Attentäter von Berlin, war den Behörden zwar wegen islamistischen Gedankenguts schon bekannt, bevor er mit einem Lastwagen in die Menschenmenge raste. Doch Amri blieb unbehelligt, weil die Behörden keine Möglichkeit sahen, ihn aufgrund dieser Informationen zu inhaftieren.
Während die deutschen Behörden die Zahl der «Gefährder» in Deutschland, die zwar potenziell gefährlich, aber noch nie kriminell aufgefallen sind, auf 520 Personen schätzen, gibt der Nachrichtendienst des Bundes für die Schweiz keine Zahlen bekannt.
Zahl der Jihad-Sympathisanten hat zugenommen
Öffentlich ist hingegen die Zahl der Personen, die der Schweizer Nachrichtendienst wegen Verbreitung von jihadistischem Gedankengut überwacht. Laut NZZ sind es inzwischen bereits 480 Personen, letzten Mai sprach NDB-Chef Markus Seiler noch von 400.
Doch wie viele davon wären tatsächlich bereit, einen Anschlag zu verüben? Gegenüber 20 Minuten schätzte Terrorexperte Alexandre Vautravers vom Centre for Security Policy in Genf, dass etwa zehn Prozent der Überwachten dazu fähig wären, einen Terroranschlag auszuführen.
Politiker fordern Präventivhaft
Hat sich heute jemand strafbar gemacht oder besteht ein begründeter Verdacht, informiert der Nachrichtendienst die Behörden – eine Möglichkeit, die Person tatsächlich zu inhaftieren, besteht aber nicht immer. Das zeigt auch der Fall von Wesam A., der nach verbüsster Strafe freigelassen werden musste.
Damit die Behörden im Kampf gegen solche «Gefährder» mehr Mittel in die Hand bekommen, haben diverse Politiker Vorstösse eingereicht. CVP-Präsident Gerhard Pfister erkundigte sich etwa, ob freigelassene Jihadisten bei potentieller Gefahr weiter inhaftiert werden können. Und die SVP fordert, dass Verdächtige gar vorsorglich wegsperrt.
Auch die Konferenz der Polizeidirektoren hat das Thema aufgegriffen und schlägt einen neuen «Terrorartikel» im Strafgesetzbuch vor. Demnach sollen die Behörden bereits bei «dringendem Tatverdacht, dass eine Person einer terroristischen Organisation angehört oder diese unterstützt», eine Untersuchungshaft anordnen können.
«Bedrohung nur während einer begrenzten Zeit»
Dass eine Präventivhaft Terroranschläge verhindern kann, glaubt FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter dagegen nicht. Bei Jihad-Sympathisanten sei in der Regel nicht von einer unmittelbaren Bedrohung während einer begrenzten Zeit auszugehen, sagte sie zur NZZ: «Man kann im Rechtsstaat jemanden nicht beliebig lange vorsorglich in Haft nehmen, ohne dass eine konkrete Gefahr droht. Im Übrigen erlaubt die Präventivhaft keine vertieften Untersuchungshandlungen.»
Deswegen spricht sich Keller-Sutter für die Untersuchungs- statt Präventivhaft aus. Sie fordert darum eine Anpassung des Strafrechts, die es ermöglicht, Terror-Unterstützer im Strafverfahren genauer unter die Lupe zu nehmen. Zudem brauche es ein höheres Strafmass für Jihad-Sympathisanten.
Eine Gesetzesrevision hat der Bundesrat bereits in Aussicht gestellt. Mitte Januar will er eine Vorlage in die Vernehmlassung schicken.