Ecopop-InitiativeMigrations-Stopp würde Schweiz umkrempeln
Die Ecopop-Initiative will die Umwelt vor «Überbevölkerung» bewahren. Ein Ja zum Zuwanderungsstopp hätte massive Konsequenzen für Arbeitsmarkt, Sozialwerke und EU-Beziehungen.

Ein Erfolg der Ecopop-Initiative würde die Beziehungen der Schweiz zur EU massiv belasten - aber das wäre nicht die einzige Auswirkung.
Die Umweltaktivisten von Ecopop haben es geschafft: Wie der «Sonntag» berichtet, sind die nötigen Unterschriften für die Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung» zusammengekommen. Mit dieser soll das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung auf 0,2 Prozent der Bevölkerung beschränkt werden – also auf rund 16 000 Personen im Jahr. Durch das Drosseln der Immigration will Ecopop die natürlichen Ressourcen der Schweiz schonen.
Bis Bundesrat und Parlament sich über das radikale Volksbegehren gebeugt und allenfalls noch einen Gegenvorschlag ausgearbeitet haben, dürfte es 2015 werden. Doch bereits jetzt lässt sich abschätzen, welche tiefgreifenden Auswirkungen ein Erfolg der Initiative auf die Bereiche Arbeitsmarkt, Sozialversicherungen, Beziehungen zur EU und Wohnungsmarkt hätte.
Arbeitsmarkt: tausende Fachkräfte fehlen
Ruth Derrer Balladore, beim Arbeitgeberverband zuständig für den Arbeitsmarkt, warnt vor einer Katastrophe. Dürften statt derzeit rund 50 000 Ausländer nur noch 16 000 kommen – inklusive Asylbewerber und Familiennachzug –, wäre ein extremer Fachkräftemangel die Folge. Die Schweiz könnte nicht mehr all die Ärzte, Architekten, Ingenieure und Forscher, aber auch Handwerker holen, die benötigt werden. «Die Folgen für die Wirtschaft wären verheerend: Volle Auftragsbücher nützen den Unternehmen nichts, wenn sie niemanden haben, der die gewünschten Produkte herstellen kann», so Derrer. Das Wirtschaftswachstum sei so in Gefahr.
Für Andreas Thommen, Geschäftsführer von Ecopop, taugt das Wachstumsargument nicht: Ein sinkendes Bruttoinlandprodukt pro Kopf deutet er als Zeichen dafür, dass die Löhne durch die Einwanderung gedrückt würden. «Immer mehr Leute teilen sich den Kuchen.» Auch von Personalmangel will er nichts wissen: Weil jedes Jahr rund 80 000 Menschen aus der Schweiz auswanderten, dürften immer noch 96 000 neu einwandern. «Das reicht gut, um die nötigen Fachkräfte zu holen.»
Zudem liege in der Schweiz viel Potenzial brach, betont Thommen: Gut ausgebildete Frauen, etwa Pflegerinnen, blieben wegen den stagnierenden Löhnen zu Hause. «Und wir können nicht auf ewig anderen Ländern die dringend benötigten Ärzte abwerben, statt selber welche auszubilden.»
Sozialversicherungen: Loch bei der AHV
Klar ist: Die hohe Zuwanderung nützt derzeit den Sozialwerken. Denn Immigranten mit hohen Löhnen zahlen mehr in die Altersvorsorge ein, als sie wegen den gedeckelten Renten je beziehen werden. Wenn jährlich 40 000 Personen mehr in die Schweiz kommen als auswandern, geht das Bundesamt für Sozialversicherungen davon aus, dass die AHV etwa im Jahr 2025 einen kritischen Zustand erreicht. Beträgt die Netto-Zuwanderung aber nur 30 000 Personen, dürfte es schon 2022 so weit sein. Noch düsterer wären dementsprechend die Prognosen, wenn die Ecopop-Initiative die Zuwanderung auf 16 000 Personen beschränken würde.
Andreas Thommen lässt sich von solchen Zahlen nicht beirren. Er räumt zwar ein, dass die gut bezahlten, jungen Arbeitskräfte aus dem EU-Raum derzeit Nettozahler seien – auch wenn sie mit ihren Lohnforderungen gleich ausgebildete Schweizer meist unterböten. Doch bei den Renten handle es sich um ein Schneeballsystem, die Kosten würden einfach auf die nächsten Generationen verlagert, sagt Thommen. «Und wenn die Wirtschaft eines Tages nicht mehr so gut läuft, ziehen die gut qualifizierten Ausländer weiter in andere Länder, die schlecht Ausgebildeten bleiben aber hier und belasten die Arbeitslosenkasse.»
Bilaterale Verträge: Bruch mit EU
Ebenfalls unbestritten sind die nachbarschaftlichen Implikationen: Mit einem Ja zur Ecopop-Initiative würde sich die Schweiz ein massives Problem mit Brüssel einhandeln, prophezeit der frühere Lausanner Politologie-Professor und EU-Experte Dieter Freiburghaus. Quantitative Schranken, wie sie das Volksbegehren vorsieht, könne die EU nicht hinnehmen. In allfälligen Neuverhandlungen zur Personenfreizügigkeit seien keine für die Schweiz günstigen Resultate zu erwarten: «Die heftigen Reaktionen der EU auf die Anwendung der Ventilklausel, die ja nur eine symbolische Massnahme war, lassen erahnen, dass die Stimmung bei einer einseitigen rigorosen Beschränkung der Zuwanderung völlig im Keller wäre.»
Diese Gefahr nimmt Andreas Thommen gerne in Kauf. Es sei vor allem die EU, die von den Bilateralen Verträgen profitiert habe: «Sie konnte 500 000 Personen, darunter Arbeitslose, zu uns exportieren, die nun auch noch Geld nach Hause schicken.» Er geht trotz der Warnungen vieler Experten davon aus, dass die Schweiz neue – und bessere – Verträge mit der EU aushandeln könnte. «Und wenn nicht, droht dennoch keine wirtschaftliche Isolierung: Davor sind wir als Mitglied bei der Welthandelsorganisation WTO geschützt.»
Wohnungsmarkt: Würden Mieten sinken?
Auch für den Wohnungsmarkt verspricht sich Thommen positive Auswirkungen. Für ihn ist die starke Zuwanderung der Hauptgrund für die Wohnungsknappheit in vielen Städten sowie für stetig steigende Immobilienpreise und Mieten: «Die gut verdienenden Zuzüger treiben die Preise für Wohnungen nach oben.» Die Initianten wehren sich explizit dagegen, dass im Wohnungsmarkt das Angebot ausgeweitet wird: Eine weitere «Zubetonierung» des Landes mit Wohnhäusern wollen sie ja gerade verhindern. Da bleibt nur noch die Drosselung der Nachfrage – durch weniger Zuwanderung eben.
Jacqueline Badran, die im Vorstand des Mieterverbands sitzt, widerspricht. Sie hat zwar Sympathien für die Initiative. Im Bereich der Wohnungsmieten würde sich jedoch bei einer Annahme nichts verbessern, sagt die Zürcher SP-Nationalrätin. «Die Schweiz hatte schon immer eine tiefe Leerwohnungsziffer», so Badran, «daran ist nicht die Zuwanderung schuld.» Diese werde von den Vermietern nur als Vorwand benutzt, um überrissene Mieten verlangen zu können.
Gute Karten für Zuwanderungs-Initiativen
Die Fragen, welche die Ecopop-Initiative aufwirft, und die verschiedenen Antworten darauf dürften in der Schweizer Politik der nächsten Jahre eine zentrale Rolle spielen – zumal auch die SVP mit ihrer eigenen Initiative die Zuwanderungsdebatte befeuern wird. Chancenlos sind die beiden Volksbegehren nicht – im Gegenteil: Bei einer Umfrage des welschen Wochenmagazins «L'Hebdo» im Mai 2011 sprachen sich 59 Prozent für eine Beschränkung der Zuwanderung aus.