InsektensterbenMüssen wir bald ohne Obst auskommen?
Die Zahl der Insekten nimmt dramatisch ab. Ohne sofortiges Handeln rechnen Naturschützer damit, dass künftig keine Früchte mehr wachsen können.
Eine Autoscheibe voller toter Insekten war früher auf der Autofahrt durch die Landschaft üblich. Das gebe es nun nicht mehr, sagte Biologe Volker Mosbrugger kürzlich zur «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Wenn Sie heute rausgehen in die Natur, dann ist die relativ still.» Früher habe es gezirpt und gezwitschert. «Heute ist es viel ruhiger geworden, weil es viel weniger Insekten und Vögel gibt.»
Mosbrugger macht darauf aufmerksam, dass die Vielfalt der Bestäuber – also Bienen, Schmetterlinge oder Wespen – insgesamt deutlich zurückgegangen sei. Eine aktuelle Studie, die das Insektenaufkommen in 63 deutschen Naturschutzgebieten zwischen 1989 und 2016 untersuchte, belegt den Trend: Seit 1989 hat die Gesamtmasse an geflügelten Insekten in Teilen Deutschlands im Schnitt um 76 Prozent abgenommen.
Auch in der Schweiz ist die Lage ernst. 40 Prozent der Insektenarten, die im Rahmen des Rote-Liste-Programms untersucht wurden, sind vom Aussterben bedroht und verzeichnen einen Rückgang ihrer Population. Ende 2017 ging der Bundesrat davon aus, dass die Verbreitung der Insektenarten weiter abnimmt. Er bezeichnete das Verschwinden als Bedrohung für die Ökosysteme.
Handbestäubungen und Trucks im Extremfall
Für den Speiseplan hat das Insektensterben direkte Folgen. Die Pflanzen, die von einer Bestäubung abhängen, würden stark zurückgehen, warnt Mosbrugger. «Das träfe vor allem Äpfel, Birnen und Kirschen.» Johannes Jenny, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, macht eine ähnliche Prognose: «Hören wir nicht sofort damit auf, Insekten zu vernichten, werden wir in der Schweiz künftig Obst zuerst nur noch zu sehr hohen Preisen und am Ende kaum mehr konsumieren können.» Bereits würden zur Bestäubung gezüchtete Hummeln eingesetzt. «Doch diese verbreiten Parasiten, die die natürlichen Populationen zusätzlich gefährden.»
Im Extremfall können laut Jenny nur noch Handbestäubungen die Situation retten. «In China bestäuben Frauen auf Pfirsichbäumen die Blüten mit Pinseln.» Für die Schweiz als Hochlohnland sehe er diese Methode hingegen nicht als Option. Volker Mosbrugger erwähnt, dass sich in Amerika rund um die Honigbiene eine richtige Industrie entwickelt hat. Die Landwirte könnten Trucks voller Bienenkörbe mieten, um ihre Mandelbäume zu bestäuben.
Landwirtschaft und Licht töten Insekten
Mosbrugger beklagt, dass es fast keine Feldränder mehr gibt, da die Bauern bis an den Rand pflügen. «Sie bauen grosse Monokulturen an und lassen kaum noch eine natürliche Vielfalt an Pflanzen zu, die als Nahrung für die Insekten und andere Tiere wichtig sind.» Laut Johannes Jenny fallen zudem viele Insekten der Lichtverschmutzung zum Opfer. «Einige Bestäuber können ihre Bestäubungsfunktion nicht mehr wahrnehmen, weil sie vom Licht derart angezogen werden.» So flatterten diese Insekten bis zum Tod um ein Licht herum.
Für das Insektensterben machen die Fachpersonen aber auch die Pestizide verantwortlich. Caspar Bijleveld, Biologe und Mitglied des Unterstützungskomitees «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide», sieht ein Verbot von Pestiziden als ersten effizienten Schritt gegen die Entwicklung. Wenn sich die Pestizide zersetzten, seien Abbauprodukte oftmals noch giftiger als das Pestizid an sich, sagt er. «Dabei sterben etliche Insekten, aber, wie man heute merkt, auch viele andere Organismen.» Umso tragischer sei, dass die Industrie immer noch giftigere und noch schwerer zu identifizierende Pestizide wie Neonikotinoide entwickle. «Wenn wir so weitermachen, gehen wir mit Vollgas Richtung Kollaps.»
«Wir haben die Situation noch im Griff»
Der Rückgang beschäftigt auch den Schweizer Bauernverband. «Das Insektensterben aufzuhalten, ist eine grosse Herausforderung, zu der wir auch einen Beitrag leisten müssen», sagt Präsident Markus Ritter. Dazu trage etwa bei, dass zurzeit schweizweit 120 000 Hektaren als ökologische Ausgleichsflächen bewirtschaftet werden. «Diese Flächen sind für Insekten wertvoll und auch eine willkommene Nahrungsquelle.» Zudem könne er den engagierten Schweizer Imkern und Imkervereinen für ihren enormen Einsatz zugunsten der Honigbienen ein Kränzchen winden. «Wichtig ist, dass der Bund diese Aufgabe weiterhin mit genügend Forschungs- und Bildungsmöglichkeiten unterstützt.»
Laut dem CVP-Politiker ist es den Landwirten ein Anliegen, «zusammen mit den Imkern die natürlichen Grundlagen für die Bienen und damit für alle Insekten zu verbessern». Dazu zähle auch, den Aktionsplans Pflanzenschutz des Bundesrates erfolgreich umzusetzen. Dieser will beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die Risiken halbieren und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz fördern.
Was kann ich gegen das Insektensterben tun?
- Den Garten natürlich und artenreich gestalten
- Keinen Steingarten oder Golfrasen anlegen
- Wildnis zulassen
- Nur zwei- oder dreimal im Jahr mähen. So erhält man eine bunte Wiese mit Blumen in allen Farben und vielen Schmetterlingen.
- Auf nächtliche Lichtquellen im Garten möglichst verzichten.
- Auch nervige Wespen und Bienen nicht töten. Denn als Bestäuber vieler verschiedener Pflanzen sind Wespen und Bienen sehr wichtige Nützlinge.
- Insekten fördern etwa mit Wildbienenhäuschen oder Erdhaufen im Garten.
- Das Dach begrünen
- Die Kinder so erziehen, dass sie in der Natur einen Wert sehen.
- Den Kindern im Frühling einen Blumenkübel und eine Kürbispflanze schenken, damit sie lernen, Verantwortung für ihre Pflanze zu übernehmen und wissen, wie die Natur funktioniert.
Die Tipps stammen von Biologe Volker Mosbrugger und Johannes Jenny, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau.