Patient viermal operiert, obwohl er sterben wollte

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86'000 Franken KostenPatient viermal operiert, obwohl er sterben wollte

An Privatpatienten werden häufiger unnötige Operationen durchgeführt. Dies zeigt der Fall eines 75-Jährigen.

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Profit sollte nicht zuoberst stehen: Eine Krankenschwester betreut eine Patientin. (Archiv)

Profit sollte nicht zuoberst stehen: Eine Krankenschwester betreut eine Patientin. (Archiv)

Keystone/Jean-Christophe Bott

Martin Lenoir* wurde im Herbst 2014 in eine Schweizer Privatklinik eingeliefert. Zu diesem Zeitpunkt litt der 75-Jährige bereits an Prostatakrebs und Metastasen in der Lunge. Seine Bitte, ihn bei der Sterbehilfeorganisation Exit anzumelden, kam zu spät. «Mein Vater war bereits in die Mühlen der Klinik geraten», sagt Lenoirs Sohn in der NZZ.

Der Sterbewunsch des Privatversicherten war offenkundig. Trotzdem unternahmen die Ärzte an der Klinik alles, um ihn am Leben zu erhalten. Lenoir musste sich drei schweren Operationen unterziehen, die sein Freund nicht verhindern konnte. «Auf meine Einwände antworteten die Chirurgen, der Patient würde ohne die Operation der Lunge die Nacht nicht überleben», sagt der Freund in der NZZ. Doch genau dies sei ja eigentlich sein Wunsch gewesen.

Gesamtkosten von 86'000 Franken

Erst nach einer vierten Operation und einem Monat Aufenthalt in der Privatklinik wurde Lenoir in eine Institution für palliative Betreuung verlegt, wo er wenige Tage später verstarb. Für seine Söhne sieht das Vorgehen der Klinik nach Geldmacherei aus. «Eine Operation mit 20-prozentiger Erfolgschance würde man bei einem todkranken Grundversicherten wohl kaum noch durchführen», sagt einer der Söhne in der NZZ.

Für die Behandlungen während Lenoirs Aufenthalt in der Privatklinik hatte seine Krankenkasse einen Gesamtbetrag von 83'500 Franken bezahlt. Zusammen mit den Kosten in der Palliativklinik fielen Gesundheitskosten von insgesamt 86'000 Franken an – ohne dass Aussicht auf eine wesentliche Verlängerung des Lebens oder gar auf Heilung bestanden hätte.

Schwierige Beweislage

Daniel Scheidegger, ehemaliger Chefarzt am Unispital Basel und Präsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), hält Lenoirs Fall für exemplarisch. Obwohl er von ähnlichen Fällen gehört hat, ist es jedoch schwierig, der Klinik konkrete Vorwürfe zu machen. Weil man bei den Gesprächen zwischen Patienten und Ärzten nicht dabei gewesen sei, könne man nichts beweisen, sagt Scheidegger in der NZZ.

Laut einer 2016 durchgeführten Studie des Bundesamts für Gesundheit wurden privat oder halbprivat Versicherte 2,2-mal häufiger am Knie operiert als allgemein Versicherte. Auch erhielten erstere 1,3-mal häufiger ein neues Hüftgelenk als Patienten mit einer Grundversicherung.

Keine Stellungnahme

«Es ist Zeit, dass die Ärzte die beste Therapie zum Wohl des Patienten machen – und nicht die teuerste», sagt Lenoirs Sohn. Die NZZ hatte den Verband Privatkliniken Schweiz mit der Frage konfrontiert, wie sichergestellt werde, dass nicht der Profit zuoberst steht, sondern der Wille des Patienten. Trotz mehrfachem Nachhaken wollte der Verband dazu keine Stellung beziehen.

*Name geändert

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