SBB leisten sich Millionen-Flop mit IT-Projekt

Aktualisiert

PersonalsystemSBB leisten sich Millionen-Flop mit IT-Projekt

Verzögerungen, Mehrkosten, Fehler: Ein teures Personalsystem sorgt bei den Bundesbahnen für Wirbel.

von
Jacqueline Büchi
Das neue IT-System der SBB sollte eigentlich die Arbeitszeiterfassung der Mitarbeiter mit den Fahrplänen abgleichen. In Realität führt es aber dazu, dass Überzeit nicht verrechnet wird und Ferienguthaben wie von Geisterhand verschwinden.
Das Personal muss seine Arbeitszeiten trotz eines Millionen teuren Systems von Hand aufschreiben, um später die Überzeit einzufordern.
«Es ist für das Personal natürlich mühsam und zeitaufwendig, wenn trotz teuren Einteilungssystemen noch Schattenrechnungen ausgestellt werden müssen», sagt Manuel Avallone von der Gewerkschaft SEV.
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Das neue IT-System der SBB sollte eigentlich die Arbeitszeiterfassung der Mitarbeiter mit den Fahrplänen abgleichen. In Realität führt es aber dazu, dass Überzeit nicht verrechnet wird und Ferienguthaben wie von Geisterhand verschwinden.

Keystone/Christian Beutler

Stellen Sie sich vor, Sie erscheinen am Morgen zur Arbeit und finden auf dem Bildschirm folgende Warnung vor: «Ihr Ferienguthaben ist komplett aufgebraucht, darüber hinaus haben Sie in den letzten Jahren 390 Minusstunden angehäuft, die Sie nun aufholen müssen.» Was wie ein schlechter Traum klingt, ist für zahlreiche SBB-Mitarbeiter Realität geworden.

Grund dafür ist das neue IT-System Sopre der irischen Firma Accenture, das die Bundesbahnen für die Einteilung des Personals angeschafft haben. Ursprünglich anberaumte Kosten: 18,8 Millionen Franken. Verzögerungen und Probleme treiben die Kosten jedoch laufend in die Höhe. «Die Beschaffung des Programms ist ein Desaster», sagt ein SBB-Mitarbeiter, der anonym bleiben will, zu 20 Minuten. Intern sei bereits von einem handfesten Beschaffungsskandal die Rede.

«Bedeutende Probleme»

Pascal Fiscalini, Vizepräsident des SEV-Zugpersonalverbands der Schweiz, bestätigt: «Das System funktioniert, gelinde gesagt, ziemlich unzuverlässig.» Bereits vergangene Woche hat der Verband eine Online-Warnung aufgeschaltet: «Wichtig!», heisst es darin. Seit der Einführung des Systems seien einige «bedeutende Probleme ans Tageslicht» gekommen.

Laut Fiscalini sollte das System die Arbeitszeiterfassung direkt mit den Fahrplänen synchronisieren. «Hat ein Zug beispielsweise Verspätung, müsste die Mehrarbeit der Mitarbeiter entsprechend automatisch vergütet werden.» Das funktioniere aber oft nicht. Der Verband empfiehlt dem Personal deshalb, vorübergehend Überstunden von Hand aufzuschreiben. Manuel Avallone, Vizepräsident der Gewerkschaft SEV, sagt: «Es ist für das Personal natürlich mühsam und zeitaufwendig, wenn trotz teuren Einteilungssystemen noch Schattenrechnungen angestellt werden müssen.» Man habe mit den SBB seit längerem «ein Riesen-Gstürm» deswegen.

SBB: «Komplexität wurde unterschätzt»

Wegen der Probleme verzögerte sich die Lancierung des Systems wiederholt. «Die Software Sopre erwies sich bis heute als ein Flop und kann noch nicht eingesetzt werden», hiess es etwa in einem Jahresbericht des Rangier-Personals von 2013. Inzwischen wird das System bei den 2200 Mitarbeitern des Zugpersonals angewandt, dazu kommen die Mitarbeiter von Tochtergesellschaften wie Thurbo oder Tilo. Die 2600 Lokführer sollen wegen der technischen Schwierigkeiten hingegen erst nächsten Sommer integriert werden. Wie viel Geld all die Nachbesserungen kosten werden, weiss Pascal Fiscalini nicht. Aber: «Es kursieren haarsträubende Zahlen.»

SBB-Sprecherin Franziska Frey räumt ein: «Die Komplexität des Gesamtprojektes wurde zu Beginn von unserer Seite unterschätzt.» Deshalb erfolge die Einführung etappenweise, was ursprünglich nicht so geplant gewesen sei. Verschiedene Faktoren wie «ein grosser technischer Integrationsgrad» hätten «nicht nur zu einer Verzögerung des Projektes, sondern auch zu Mehrkosten geführt». Wie hoch letztere ausfallen, wollte Frey mit Verweis auf das noch laufende Projekt nicht sagen.

Entwicklung in Asien

Klar ist: Ein Zurück gibt es nicht. Das alte Personaleinsatzplanungssystem sei nach 16 Jahren am Ende seiner Lebensdauer angelangt und könne nicht mehr auf zukünftige Anforderungen angepasst werden, sagt Frey. Inzwischen sei das System, abgesehen von «einzelnen Startschwierigkeiten», «grundsätzlich auf Kurs».

Bei der Ausschreibung des Auftrags 2010 hat das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten – so sieht es die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vor. Der Auftrag ging an die Schweizer Niederlassung der Firma Accenture. Das System wurde teilweise in Asien entwickelt, andere Projektarbeiten wurden in den Niederlanden erledigt. Heute sei es im IT-Bereich «gang und gäbe, für gewisse Arbeiten Fachkräfte aus dem Ausland respektive aus Übersee beizuziehen», sagt Frey. Die Frage, ob der Zuschlag rückblickend besser an einen anderen Anbieter gegangen wäre, lasse sich nicht beantworten. «Eine Äusserung dazu wäre reine Spekulation.» Accenture nahm keine Stellung.

Andere IT-Debakel

Auch beim Bund kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Unregelmässigkeiten und Kostenüberschreitungen bei der Beschaffung von Informatikprojekten. Eine Auswahl:

Insieme: Das Projekt der Eidgenössischen Steuerverwaltung wurde 2012 abgebrochen, der Schaden beläuft sich auf über 100 Millionen Franken.

Heer: 700 Millionen Franken sprach das Parlament vor zehn Jahren für das Führungsinformationssystem der Armee. Allerdings stellte sich heraus, dass das System für den mobilen Einsatz weitgehend nutzlos ist.

ISS: Das Justizdepartement stoppte die Einführung des Abhörsystems 2013. Der finanzielle Schaden wurde auf 18 Millionen Franken beziffert.

Mistra: Statt der ursprünglich veranschlagten 45 Millionen verschlang ein System des Bundesamts für Strassen über 100 Millionen Franken.

ASALneu: Ein 26-Millionen-Projekt zum Auszahlungssystem der Arbeitslosenversicherung musste 2015 vorzeitig abgebrochen werden. Als Grund wurden unter anderem «Umsetzungsschwierigkeiten» genannt. (jbu)

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