Einbürgerungs-AppellSP will Ausländern «einen kleinen Schubs geben»
Die SP ruft Einwanderer dazu auf, sich einbürgern zu lassen. Vizepräsidentin Barbara Gysi erklärt, warum.

Barbara Gysi ist SP-Vizepräsidentin und St. Galler Nationalrätin.
Keystone/Lukas LehmannFrau Gysi, was bedeutet es für Sie, Schweizerin zu sein?
Ich bin hier zuhause, hier fühle ich mich wohl. Es ist ein grosses Glück, aber auch ein Zufall, in diesem sicheren Land geboren zu sein.
Ihre Partei ruft Ausländer zum 1. August dazu auf, sich einbürgern zu lassen. Warum machen Sie das?
Fast ein Viertel unserer Bevölkerung lebt hier, zahlt Steuern und engagiert sich, ohne aktiv mitreden zu dürfen. Es ist uns wichtig, dass jene, die hier zuhause sind, auch mitreden können.
CVP-Präsident Gerhard Pfister kritisiert, Einbürgerung sei für die SP nur ein administrativer Akt. Wie gut die Leute integriert sind, sei Ihnen «völlig egal».
Das ist Blödsinn. Die SP kann ja die Einbürgerungskriterien nicht verändern. Gewisse Voraussetzungen wie die Mindestaufenthaltsdauer und eine gute Integration müssen zwingend erfüllt sein. Es geht uns darum, bei technischen Fragen zu helfen und manchen Leuten einen kleinen Schubs zu geben. Meine Coiffeuse beispielsweise kam hier zur Welt und ging hier zur Schule. Ich habe viel mit ihr über das Thema gesprochen, bis sie sich schliesslich dazu entschieden hat, sich mit Mann und Kind einbürgern zu lassen.
Im Rahmen der SP-Aktion bieten Sie ganz offiziell Ihre Hilfe als Einbürgerungsberaterin an – genau wie rund 50 weitere Parteikollegen. Wie viele Anfragen sind schon eingegangen?
Bei mir seit gestern etwa eine Handvoll. Bisher haben die meisten auf den ersten Blick die Einbürgerungskriterien erfüllt, bei manchen hapert es vielleicht mit der Sprache noch etwas. Die Anforderungen sind in gewissen Gemeinden ja auch sehr hoch: Jeder, der schon einmal einen Sprachkurs gemacht hat, weiss, wie schwierig es ist, sich auf dem Niveau B2 schriftlich auszudrücken. Ich ermutige die Betroffenen, bei Bedarf einen Sprachkurs zu machen. Anderen helfe ich, sich im administrativen Dschungel zurechtzufinden.
Und was ist mit den finanziellen Kosten einer Einbürgerung? Kann die SP hier auch aushelfen?
Nein. Die Gebühren für die Einbürgerung muss jemand selber aufbringen. Es ist wichtig, dass es auch ein Engagement der Betroffenen selber braucht.
Wann darf jemand aus Ihrer Sicht nicht Schweizer werden?
Wenn jemand die Sprache absolut nicht beherrscht, sage ich ihm ehrlich, dass er keine Chance hat. Auch wenn jemand schon Delikte begangen hat oder von der Sozialhilfe abhängig ist, ist ein Einbürgerungsantrag chancenlos.
Was ist mit Frauen, die Burka tragen? Oder wenn jemand seine Tochter nicht in den Schwimmunterricht schickt?
Eine gute Integration ist eine der Voraussetzungen. Dies ist hier infrage gestellt, daher dürfte es eher schwierig sein mit einer Einbürgerung. Auf jeden Fall bräuchte es eine vertiefte Abklärung.
Verleihen Sie mit Ihrem Appell nicht gerade jenen Kreisen Auftrieb, die vor einer Überfremdung der Schweiz warnen?
Wir sprechen Leute an, die schon mindestens zehn Jahre im Land sind, sehr viele von ihnen sind sogar hier geboren. Sie sollen sich hier nicht als Fremdkörper fühlen, sondern akzeptiert werden. Natürlich kann man jetzt wieder die Papierlischweizer-Keule auspacken und Gegensätze schüren. Ich bin aber überzeugt, dass es unserem Land am besten tut, wenn wir alle Mitglieder der Gesellschaft aktiv einbinden.
Böse Zungen behaupten, es handle sich nur um eine billige PR-Aktion der SP, um neue Wählersegmente zu erschliessen.
Es ist ja nichts Neues, dass sich die SP für eine humane Einbürgerungspolitik einsetzt. Ich selber begleite seit vielen Jahren immer wieder Leute, die sich einbürgern lassen wollen. Der 1. August als Nationalfeiertag bietet sich natürlich an, um eine solche Aktion zu lancieren.
Glauben Sie, dass etwa die Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) anders herausgekommen wäre, wenn mehr Personen mit ausländischen Wurzeln mitbestimmt hätten?
Bei so knappen Abstimmungen wie bei der MEI wäre ein anderer Ausgang grundsätzlich denkbar gewesen. Aber auch bei den Migranten gibt ein breites politisches Spektrum: Zwar haben wir bei Zugewanderten einen gewissen Zuspruch – es gibt aber genauso Secondos, die SVP wählen.
Kritik an SP-Aufruf
Der Aufruf der Sozialdemokraten richtet sich insbesondere an die 650'000 Ausländer mit einer B-Bewilligung, die ab 2018 kein Einbürgerungsgesuch mehr stellen können. Sogenannte «Einbürgerungs-Berater» der SP wollen Interessierten unter anderem bei der Vorbereitung auf Gespräche mit der Einbürgerungskommission helfen, berichtete der «SonntagsBlick». CVP-Präsident Gerhard Pfister kritisiert auf Twitter: «Für SP ist Einbürgerung bloss administrativer Akt. Integration als Bedingung ist den Linken völlig egal.»
SVP-Nationalrat Claudio Zanetti spottet: «Die Sozis glauben nicht, dass Ausländer selber denken und entscheiden können.» Die SP verkenne, dass sich viele Zuwanderer aus guten Gründen gegen einen Einbürgerungsantrag entschieden. «Die Sozialisten glauben, einen Nanny-Staat aufzubauen und Ausländer bemuttern zu müssen.» Dass der Appell zu einer Einbürgerungswelle führen wird, glaubt der Zürcher nicht. «Und wenn, solls mir recht sein. Ich kenne viele Ex-Jugoslawen, die sind noch mehr SVP als ich.» (jbu)