Burkaverbot hat im Bundeshaus gute Chancen

Aktualisiert

Bahn frei für TessinBurkaverbot hat im Bundeshaus gute Chancen

Verletzen die Tessiner mit ihrem Vermummungsverbot die Religionsfreiheit? Das Bundesparlament dürfte mit Nein antworten. Gegner des Verbots hoffen deshalb auf das Bundesgericht.

von
Simon Hehli

Das Tessin sprach sich am Sonntag deutlich für ein Burkaverbot aus. Doch damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn will ein Kanton seine Verfassung ändern, muss das Bundesparlament grünes Licht geben: Kantonale Bestimmungen dürfen nicht im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen (siehe Box). Diese so genannte Gewährleistung ist normalerweise eine Formsache. Aber nicht immer. So schickte der Nationalrat im Frühling die Schwyzer Verfassung zur Überarbeitung zurück in die Innerschweiz, weil das Wahlsystem krasse Ungerechtigkeiten geschaffen hätte.

Dieses Schicksal könnte nun auch dem Tessiner Burkaverbot blühen. Als Vergleichsgrösse dienen können die Abstimmungen über eine Standesinitiative des Kantons Aargau, die ebenfalls ein Vermummungsverbot erreichen wollte. Dazu sagte der Nationalrat im letzten Herbst knapp mit 93 zu 87 Stimmen Nein. Viel deutlicher war das Verdikt in der Kleinen Kammer ausgefallen: Gerade mal drei Ständeräte sprachen sich im März 2011 für ein Burkaverbot aus.

Ständerat dürfte Ja sagen

Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sich die Tessiner auf eine Abfuhr einstellen müssen. Denn der Ständerat lehnte die Aargauer Initiative vor allem darum ab, weil sie eine nationale Regelung schaffen wollte. Die Mehrheit der Kammer argumentierte, ein Vermummungsverbot sei auf kantonaler Ebene zu regeln – so wie jetzt im Tessin. «In diesem Fall wird der Zuspruch bedeutend grösser sein», sagt CVP-Fraktionschef Urs Schwaller. Und auch ein linker Ständerat geht davon aus, dass seine Kammer die Tessiner Verfassungsänderung durchwinken dürfte.

Im Nationalrat wird das Stimmverhalten von FDP und CVP entscheidend sein. Denn SVP und BDP stellten sich geschlossen hinter die Aargauer Initiative und dürften das auch bei der Frage der Gewährleistung tun. «Wer nur einen Funken Respekt vor dem Föderalismus hat, muss zustimmen», sagt SVP-Mann Hans Fehr. Bei der Linken wiederum ist die Ablehnung vorprogrammiert. SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin bezweifelt, dass die Tessiner Regelung mit dem Gebot der Religionsfreiheit in der Bundesverfassung kompatibel ist.

Tschümperlins Genossin Silvia Schenker will die Gewährleistungs-Abstimmung deshalb nutzen, um einen Grundsatz-Entscheid zu erzwingen – gerade hinsichtlich der angekündigten nationalen Anti-Burka-Initiative aus SVP-Kreisen. «Bevor die Leute die Initiative unterschreiben, sollen sie wissen, ob ein Burkaverbot überhaupt gültig wäre», findet die Baslerin.

Tessinern Bedingungen diktieren?

Der Freisinnige Kurt Fluri stimmte wie die Mehrheit der FDP gegen die Aargauer Standesinitiative. In der Causa Tessin mag er sich jedoch noch nicht festlegen und will die Botschaft des Bundesrates abwarten. «Es handelt sich um ein schwieriges Abwägen zwischen den Volksrechten und dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit.» Der Solothurner kann sich jedoch gut vorstellen, dass die Gewährleistung eine Mehrheit findet – weil die überzeugten Burkagegner Verstärkung erhalten durch jene Nationalräte, die dem Tessin nicht reinreden wollen.

Zur zweiten Gruppe gehört CVP-Nationalrätin Kathy Riklin. War sie noch gegen das Aargauer Begehren, will sie nun «wahrscheinlich das Föderalismusargument stärker gewichten». Die Zürcherin kann sich jedoch vorstellen, dass das Bundesparlament die Absolution nur unter Vorbehalt erteilt: «Wir könnten von den Tessinern verlangen, dass sie ihren Verfassungsartikel so umsetzen, dass er nur für Einheimische gilt, nicht jedoch für islamische Touristinnen.»

«Sonst kann ich mein Kreuz nicht mehr tragen»

Zwei andere Vertreter des linken CVP-Flügels bleiben hingegen bei ihrer ablehnenden Haltung. Der Freiburger Dominique de Buman will grundsätzlich keine Eingriffe in die Religionsfreiheit: «Sonst kann ich als Katholik irgendwann mein Kreuz auch nicht mehr tragen.» Und die St. Gallerin Lucrezia Meier-Schatz wehrt sich gegen eine «weitere Aufweichung der Verfassung».

Falls das Parlament dennoch wie erwartet die Verfassungsänderung absegnet, hofft Meier-Schatz auf die Lausanner Richter: «Klagt eine Tessiner Muslimin wegen Diskriminierung, wird das Bundesgericht die Religionsfreiheit hochhalten.»

Das Verfahren gibts seit 1848

Dass Bern Änderungen an den kantonalen Verfassungen absegnen muss, gilt seit der Gründung des Bundesstaates 1848. Bei der Umwandlung der Eidgenossenschaft von einem Staatenbund in einen Bundesstaat sei es unter anderem darum gegangen, den Zusammenhalt des jungen Staates zu sichern und ihm eine innere rechtliche Grundlage zu geben, heisst es bei der Bundeskanzlei. «Dabei musste auch sichergestellt werden, dass die kantonalen Verfassungen keine Bestimmungen enthalten, die der neuen Bundesverfassung widersprechen.» Zu diesem Zweck wurde das Gewährleistungsverfahren geschaffen. (hhs)

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