Schicken Migranten ihre Sozialhilfe in die Heimat?

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GeldtransferSchicken Migranten ihre Sozialhilfe in die Heimat?

Mit Sozialhilfegeldern aus der Schweiz würden Schlepper finanziert, glauben Politiker. Hilfswerke warnen davor, Flüchtlingen die Gelder zu kürzen.

Nikolai Thelitz
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Nikolai Thelitz
Migranten in der Schweiz schicken immer mehr Geld nach Hause. 2015 waren es 7 Milliarden Franken.
Doch woher kommt das Geld für diese Sendungen? Rund 81 Prozent der Somalier in der Schweiz bezogen 2015 Sozialhilfe, bei den Eritreern waren es 84 Prozent. «Es ist nicht auszuschliessen, dass sich Flüchtlinge zusammentun und beim Essen sparen, und so ein paar Franken übrig haben, die sie in die Heimat schicken können», sagt Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.
Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri...
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Migranten in der Schweiz schicken immer mehr Geld nach Hause. 2015 waren es 7 Milliarden Franken.

AP/Pewee Flomoku

Jedes Jahr schicken Migranten in der Schweiz Milliarden von Franken in die Heimat. 2000 belief sich der Betrag auf rund 3 Milliarden, 2015 waren es bereits rund 7 Milliarden. Laut Bundesamt für Statistik liegt dies an der wirtschaftlichen Liberalisierung, der zunehmenden Migration und der vermehrten Einwanderung von gut ausgebildeten und somit besser verdienenden Arbeitskräften.

Sind Sie in die Schweiz eingewandert und schicken sie Geld in Ihr Herkunftsland? Erzählen sie uns ihre Geschichte.

«Ich schicke meiner kranken Mutter in Somalia jeden Monat, wenn es geht, 100 Franken. Das ist viel Geld fur sie und sie kann es gut gebrauchen. In Somalia gibt es keine Rente», sagt etwa ein junger Somalier in einem Bericht des Staatssekretariats für Migration.

Wie viel Sozialhilfe-Geld wird ins Ausland geschickt?

Doch woher kommt das Geld für diese Sendungen? Rund 81 Prozent der somalischen Flüchtlinge in der Schweiz bezogen 2015 Sozialhilfe, bei den eritreischen Flüchtlingen waren es 84 Prozent. «Es ist nicht auszuschliessen, dass sich Flüchtlinge zusammentun, beim Essen sparen und so ein paar Franken übrig haben, die sie in die Heimat schicken können», sagt Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri und CVP-Ständerat Pirmin Bischof wollten es genauer wissen und haben beim Bundesrat nachgefragt, wie viele der sogenannten Remissen aus der Sozialhilfe stammen. «Wenn so viel Geld in die Heimat fliesst, ist anzunehmen, dass erhebliche Beträge davon aus der Schweizer Sozialhilfe stammen», sagt Bischof. Werde dies bestätigt, so müsse man reagieren und statt Geld direkt Lebensmittel oder Essensgutscheine abgeben. Quadri geht in seinem Postulat noch weiter und fordert «Korrekturmassnahmen in Form von Kürzungen der Sozialleistungen».

«Hier trampelt man auf den Ärmsten der Armen herum»

Für Bischof sind die Zahlungen in die Heimat auch deshalb problematisch, weil damit Schlepper bezahlt würden, welche die Migration noch fördern würden. «Mit Schweizer Sozialhilfe wird so ein kriminelles Schleppersystem aufrechterhalten.» Auch Quadri glaubt, dass mit der Sozialhilfe Schlepper unterstützt würden.

Wenig Verständnis für diese Vorstösse hat Stefan Frey von der Flüchtlingshilfe. «Das ist reiner Populismus. Wie die Sozialhilfe verwendet wird, ist Sache des Empfängers.» Es sei das gute Recht eines jeden Flüchtlings, sparsam zu leben und dafür ein paar Franken nach Hause zu schicken.

Die Behauptung, dass das Geld vor allem Schleppern zufliesse, sei fern jeder Realität. «Ich habe bei meiner Arbeit in Madagaskar selbst gesehen, wie sehr die Leute in den Herkunftsländern auf das Geld der Familienmitglieder in Europa zählen.» Ohne die Remissen müssten sie Hunger leiden und würden womöglich gar nicht überleben. Dass man dies offenbar in Kauf nehmen würde, sei äusserst zynisch. «Hier trampelt man auf den Ärmsten der Armen herum.»

Der Aufwand für eine Überprüfung wäre «unverhältnismässig»

Wie viele Remissen tatsächlich aus der Sozialhilfe stammen, bleibt jedoch unklar. Der Bundesrat schreibt in seiner Antwort auf die Vorstösse, die Überprüfung setze eine Erfassungspflicht für alle Zahlungsinstitute und vermehrte Zollkontrollen voraus. «Der Bundesrat erachtet einen derartigen Eingriff in den internationalen Zahlungs- und Reiseverkehr und den damit verbundenen administrativen Aufwand als unverhältnismässig.» Es sei zentral, dass die Kantone sicherstellen würden, dass die Höhe der entrichteten Sozialhilfe einzig nach dem Lebensbedarf im Inland bemessen werde.

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) erlässt für die Kantone Richtlinien, wie viel Sozialhilfe auszurichten sei. Als Gundlage dafür dient das Konsumverhalten der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung. «Sozialhilfeleistungen sind bescheiden, viel Geld um Angehörige zu unterstützen, bleibt auch bei bescheidenem Lebenswandel nicht», sagt SKOS-Sprecherin Ingrid Hess. Wie die Beiträge konkret verwendet würden, dürfen die Betroffenen selbst entscheiden. «Grundsätzlich können die Empfänger auch Alkohol und Zigaretten davon kaufen, wenn sie dafür auf anderes verzichten.»

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