Razzien gegen «Lies»-AnhängerSchweiz ermittelt gegen Koranverteiler
In der Schweiz ist «Lies» nicht verboten. Die Bundesanwaltschaft führt aber mehrere Strafverfahren gegen Personen mit Verbindungen zur Gruppierung.
In Deutschland greifen die Behörden durch: Sie haben die salafistische Vereinigung «Die wahre Religion» verboten und aufgelöst – in einer Grossrazzia wurden über 200 Wohnungen und Büros durchsucht. Der Verein ist unter anderem wegen seiner umstrittenen Gratis-Koran-Verteilaktionen «Lies» bekannt.
Seine Mitglieder verteilen auch in verschiedenen Schweizer Städten wie Basel, Bern, Zürich oder Winterthur Korane. Auch hierzulande wurde ein Verbot der Aktion wiederholt gefordert. Die Standaktionen werden aber weiterhin bewilligt, da es an einer rechtlichen Grundlage für ein Verbot fehlt.
Bundesanwaltschaft ermittelt
Laut der Bundesanwaltschaft sind aber Verfahren gegen Mitglieder möglich. So führt die Bundesanwaltschaft laut Kommunikationschef André Marty «aktuell verschiedene Strafverfahren gegen Personen, welche in Verbindung mit dem Projekt stehen oder standen». Man kooperiere in diesem Rahmen mit den deutschen Behörden. Gegen Vereine oder Stiftungen werde nicht ermittelt.
Bekannt ist, dass auch Anhänger der «Lies»-Aktion von der Schweiz nach Syrien gereist sind. Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam verlangt darum, dass die Schweiz endlich nachzieht: «Die Leute, die bei uns Korane verteilen, gehören demselben Netzwerk an.» Sie fordert die Politik auf, die gesetzliche Grundlage für ein Verbot der Koran-Verteilaktion zu schaffen: «In diesem Religionsgesetz könnte auch der Umgang mit Hasspredigern sowie die Finanzierung von Moscheen durch die Islamische Weltliga geregelt werden.»
Auch Önder Güne von der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) sagt: «Diese Aktion gehört verboten, wenn unter deren Deckmantel Leute radikalisiert und für Jihadreisen angeworben werden.» Ein indirekter Zusammenhang genüge – und der sei bei Lies! mit der Anzahl Jihad-Reisen nachgewiesen. «In von diesem Fall unabhängigen Veranstaltungen sollte das Verteilen von religiösen Büchern aber weiterhin erlaubt sein.»
Experte befürwortet Verbot
Für ein Verbot der Aktion ist auch Lothar Janssen, Präsident des Schweizerischen Instituts für Gewalteinschätzung. Er sagt: «Die Organisation ist nur auf den ersten Blick harmlos. In Deutschland hat sie sich wie eine Krake festgesetzt. Unter Experten ist unbestritten, dass die Aktion einen Nährboden für die Radikalisierung junger Leute bietet und eine Rekrutierungsplattform für Jihadisten ist.» Bislang nutze die Vereinigung den Raum, den unsere freiheitliche Rechtsordnung biete, geschickt aus.
Gleichwohl habe ein Verbot auch seine Schattenseiten: Ohne es könne man «die Leute, die sich da tummeln, besser überwachen». Mit einem Verbot bestehe die Gefahr, dass die Personen ganz in den Untergrund abtauchten.
Ein Verbot könnte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dem Bundesrat empfehlen, wenn die Organisation die innere oder äussere Sicherheit konkret gefährdet. Laut NDB-Sprecherin Carolina Bohren gilt aber im Allgemeinen, «dass Koranverteilungen alleine keine Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit darstellen». Solange keine konkreten Gewaltbezüge feststellbar seien, bearbeite der NDB Koranverteilungen nicht.