Unbeliebte SpracheSchweizer schämen sich, wenn sie Deutsch reden
Hochdeutsch zu reden, empfinden viele Schweizer als unangenehm. Zu Unrecht würden sie nicht zu ihrem Akzent stehen, finden Experten.
Hier sehen Sie ein Best-of von kuhdeutschen Sätzen aus der Redaktion. (Video: jen/bz)
Mit dem hochdeutschen Vokabular tun sich viele Schweizer schwer, wie die Reaktionen auf ein Meme der Unterhaltungsseite Swissmeme zeigen. Gleichzeitig kämpfen viele junge Schweizer mit der Aussprache. 20 Minuten gestehen sie: «Ich fühle mich unwohl und minderwertig, wenn ich mit Deutschen Hochdeutsch sprechen muss» oder «Ich bin dann immer so verkrampft, weil ich mich so sehr auf meine Aussprache konzentrieren muss».
Sprachexperten bestätigen das Phänomen. «Im Allgemeinen reden viele Schweizer nicht gern Schriftdeutsch», sagt Christian Schmid, Dialektologe und Autor von «Mir stinkts», ein Buch über Schweizer Redensarten. Dies rühre von einer Abneigung gegen die deutsche Art her. «Der Schweizer glaubt, mit dem zackigen und besserwisserischen Verhalten der Deutschen nicht mithalten zu können und fühlt sich deshalb gleich minderwertig, wenn er sich ihrer Sprache anpasst.»
Auch liessen sich Schweizer entmutigen, weil die Deutschen schneller reden. «Viele meinen, dies bedeute mehr Kompetenz.» Die Schweizer schüchterten sich zudem gegenseitig ein. «Manche Kulturbeflissene schauen auf den Dialekt herunter und finden sich besser, weil sie ein ihrer Meinung nach sauberes Hochdeutsch sprechen.»
«Fühlen sich nicht auf gleicher Ebene»
Aussprachetrainerin Kerstin Uetz spürt das Problem direkt: «Mittlerweile sind 40 Prozent meiner Kunden Schweizer.» Die Nachfrage nach einem Training für ein sauberes Standardhochdeutsch nehme stetig zu. «Meine Klienten sind mit ihrer Aussprache nicht zufrieden und wollen sich deshalb mit gezieltem Training das Standardhochdeutsch aneignen.»
Ziel sei, die Auftrittskompetenz im Beruf zu verbessern. «Ein grosser Teil der gebildeten Bevölkerung spricht relativ gut Hochdeutsch, fühlt sich aber schnell minderwertig, wenn es manchmal doch noch etwas holpert.» Andere Klienten pflegten viel Kontakt zu Deutschen und fühlten sich wegen ihres schweizerdeutsch gefärbten Hochdeutschs mit ihnen nicht auf Augenhöhe. Ein weiterer Grund sei, dass Schweizer nicht sofort auffallen wollten. «Sie mögen es nicht, wenn sie nach dem ersten Satz gefragt werden: ‹Woher kommst du?›»
«Zürcher können es am besten»
Die Sorgen der Schweizer sind nicht hausgemacht. Das deutsche Gegenüber sieht Aufholpotenzial. Schriftlich hätten die Schweizer das Hochdeutsche sehr gut im Griff, sagt Matthias Estermann, Präsident des Vereins für Deutsche in der Schweiz. «Nur leider reden die Schweizer Lehrer Schweizerdeutsch und da lernt man das Hochdeutsch dann doch nicht so schnell.» Wie gut Schweizer Hochdeutsch sprächen, hänge von ihrer Herkunft ab. «Die Zürcher können am besten ins Hochdeutsche switchen.»
Doch geht es nach Christian Schmid, soll sich das Volk auf keinen Fall verbiegen. «Die Schweizer haben ein psychologisches Problem», sagt er. Er kenne weder Österreicher noch Bayern, die sich für ihre hochdeutsche Ausdrucksweise schämten. «Warum sollen wir uns schämen, wenn man hört, woher wir kommen?» Schliesslich gehöre die Schweiz ebenso wie Deutschland, Österreich, das Südtirol und Ostbelgien zum Deutschen, das eine plurizentrale Sprache sei.
Ein bestimmtes Hochdeutsch gibt es laut Schmid zudem gar nicht. «Schweizer, die unbedingt die hochdeutsche Aussprache unseres Nachbarvolks imitieren wollen, schätzen ihre Schweizer Identität nicht.» Vielmehr sollten die Schweizer das Hochdeutsche bewusst mit typischen Dialektwörtern würzen. «Ich sehe nicht ein, warum man im Hochdeutschen zum Beispiel nicht ‹gumpen› anstatt ‹springen› sagen sollte.»
Wie sollen Schweizer Hochdeutsch reden?
Laut Matthias Estermann, Präsident des Vereins für Deutsche in der Schweiz, ziehen Deutsche – sofern sie Schweizerdeutsch verstehen – bei Schweizern Mundart vor. «Dann sagen die Schweizer, was sie denken und blockieren sich nicht mit Übersetzen.» Er empfiehlt deshalb, Deutsche zu fragen, ob es in Ordnung sei, wenn sie Dialekt sprächen. Sei Hochdeutsch gefragt, sollten die Schweizer ihren Akzent beibehalten. «Das wirkt viel authentischer.»
Wolle jemand hingegen ein geschliffenes Hochdeutsch sprechen, solle er sich für ein nicht lupenreines Schriftdeutsch entschuldigen. «Denn als Deutscher hört man den Schweizer Dialekt immer heraus, was umgekehrt ja auch der Fall ist.»
Aussprachetrainerin Kerstin Uetz: Entscheide man sich gegen den Schweizer Akzent, brauche es professionelles Training. «Ist man nicht besonders sprachbegabt, klappt es meist nicht so gut, wenn man es sich selbst beibringen will.» Wolle man hingegen mit Schweizer Akzent reden, solle man auch selbstbewusst dazu stehen.