Chef als PersonaltrainerSetzt «Fitnesswahn» Angestellte unter Druck?
Ein Baselbieter Landrat warnt vor dem «Wellness-Syndrom». Firmen würden ihren Angestellten Fitness-Angebote aufdrängen, damit sie produktiver sind.
Viele Schweizer Firmen kümmern sich intensiv um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Allen voran die Swica, dort können Mitarbeiter kostenlos am Morgen vor Arbeitsbeginn in den Yogakurs, vor dem Mittagessen zur Ernährungsberatung und sich in der Nachmittagspause eine Nackenmassage gönnen. Ebenfalls können sie sich gegenseitig zu Schrittzähler-Wettbewerben herausfordern. Die Migros hat ein breites Angebot an Fitness-Kursen, das alle Mitarbeiter vergünstigt besuchen können. Das Abo für die Migros-Fitnessparks ist ebenfalls reduziert. Die SBB animiert ihre Mitarbeiter in organisierten Laufgruppen über den Mittag joggen zu gehen oder dem firmeninternen Hockeyteam beizutreten.
Christoph Buser, Direktor der Baselbieter Wirtschaftskammer und FDP-Politiker, findet diese Entwicklung nicht gut. In einem Kommentar in der «Basler Zeitung» kritisiert er den «Fitnesswahn», der bei vielen Unternehmen Einzug halte.
Arbeitsalltag und Privatsphäre drohten sich so zu vermischen, glaubt er. Zwar verstehe er, dass viele Schweizer Firmen nach dem Vorbild von Google ihre Freizeitangebote ausbauen. Allerdings nur, solange diese freiwillig seien. «Sobald die Unterstützung des Arbeitgebers als Zwang empfunden wird oder wenn sich der Arbeitgeber gar in die Freizeitgestaltung der Angestellten einmischt, läuft etwas falsch.»
Wellness bis zum Umfallen
Er verweist auf das Beispiel des schwedischen Lastwagenherstellers Scania: Wie die Forscher André Spicer und Carl Cederström in ihrem Buch «The Wellness Syndrome» schreiben, hat der Konzern die Gesundheitsförderung von Mitarbeitern auf die Spitze getrieben. Nebst Fitnesscentern stellt Scania seinen Mitarbeitern auch Seminare für gesunde Lebenstechniken und eine ganzes Team von Gesundheitsexperten zur Verfügung.
Ein Mitarbeiter von Scania schildert im Buch, wie ihn das Angebot unter Druck setzt: «Wenn ich mich nicht körperlich fit halte, bin ich kein attraktiver Angestellter.»
Gesunde sind profitabler
Gesundheitsförderungsprogramme, die auch Fitnessangebote beinhalten, lohnen sich gemäss internationalen Studien auch finanziell für die Firmen. Das bestätigt Regula Neck-Häberli, Expertin für betriebliches Gesundheitsmanagement bei der ZHAW. Gezielte und attraktive Angebote zur Gesundheitsförderung, die sich gut in den Alltag integrieren liessen, «können die Krankheitskosten und die Kosten durch krankheitsbedingtes Fehlen im Schnitt um rund ein Viertel reduzieren». Auch seien gesunde Mitarbeiter allgemein leistungsfähiger.
Georg Bauer ist Leiter der Abteilung Gesundheitsforschung und betriebliches Gesundheitsmanagement der Universität Zürich. Er findet es nicht eine primäre Aufgabe von Unternehmen, für die Fitness ihrer Mitarbeiter zu sorgen. «Insbesondere in Firmen mit überhöhtem Leistungsdruck kann ein solches Engagement aus Sicht der Mitarbeiter schnell zynisch wirken.» Er empfiehlt Unternehmen deshalb zunächst bessere Arbeitsbedingungen anzustreben. «So vermittelt man den Mitarbeitern, dass einem ihr Wohlergehen wichtig ist.»
Innere Unsicherheiten der Mitarbeiter
Fredy Greuter, Sprecher des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, dementiert, dass Unternehmen mit Gesundheitsprogrammen Kosten sparen wollen. «Hier geht es in erster Linie darum, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen.» Sich um Bewegung und Ernährung einzelner Mitarbeiter zu kümmern, sei ohnehin nicht in der Kompetenz der Firma. «Die allgemeine Gesundheit in der Bevölkerung zu fördern, ist auch Sache der Politik und nicht der Wirtschaft.»
Wenn sich die Arbeitnehmer unter Druck gesetzt fühlten, sind innere Unsicherheiten für Greuter die naheliegendere Erklärung. «Die Fitnessangebote sind ja freiwillig und nicht an irgendwelche Zielvereinbarungen gebunden.» Wie sie mit den Angeboten umgehen, können die Arbeitnehmer selbst und eigenverantwortlich entscheiden. Wenn sich jedoch eine Person enormem Stress ausgesetzt sieht, solle sie das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen. Dieser würde allenfalls professionelle Stellen beiziehen. «Das ist auch Teil eines guten Gesundheitsmanagements.»
Mitarbeiter machen gerne mit
Die gesundheitsbewussten Firmen der Schweiz stehen hinter ihren Angeboten. Bei der SBB werden die verschiedenen Aktivitäten von Mitarbeitenden selbst auf die Beine gestellt. «Sie können sich untereinander einfach vernetzen und selber organisieren», sagt Sprecher Christian Ginsig. Bei der Swica ist die Reduktion der Fehltage hingegen ein wichtiges Argument. «Ein Schrittzähler-Wettbewerb kann auch eine Massnahme des betrieblichen Gesundheitsmanagements für unsere Geschäftskunden sein. Gesunde Mitarbeiter führen zu tieferen Taggeld-Prämien», sagt Sprecherin Silvia Schnidrig. Die Angebote sollen aber auch Spass machen und den Arbeitsalltag angenehmer gestalten.
Die Migros möchte mit ihren Angeboten ihren Beitrag zur Volksgesundheit leisten.
Alle drei Unternehmen betonen auch die Freiwilligkeit ihrer Fitness-Programme. Ihre Mitarbeiter würden sich nicht gezwungen fühlen, die Fitness-Angebote in Anspruch zu nehmen.
Fühlen Sie sich von ihrer Firma unter Druck gesetzt, immer fit und gesund zu sein? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte!