Sex soll nur legal sein, wenn beide ihr Okay geben

Aktualisiert

Schutz vor VergewaltigungSex soll nur legal sein, wenn beide ihr Okay geben

Beim Sex müssen künftig beide Seiten zustimmen – sonst gilt der Akt als Vergewaltigung. Das fordert Amnesty Schweiz. Experten zweifeln an einer einfachen Umsetzung.

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Das Video zeigt mit einem Augenzwinkern, wie intime Dates künftig problemlos ablaufen könnten.

In der Schweiz soll nur noch einvernehmlicher Sex legal sein. Beide Partner sollen künftig dem Akt zustimmen müssen – Sex ohne Einwilligung soll als Vergewaltigung bestraft werden können. Amnesty International will das Gesetz, das in Schweden, Österreich oder Belgien bereits in Kraft ist (siehe Box), in der Schweiz entsprechend ändern und hat darum die Kampagne «Erst Ja, dann ahh» gestartet.

«Sex muss freiwillig erfolgen. Beide müssen sich im Klaren sein, dass es das Gegenüber auch will. Das ist nicht zu viel verlangt», sagt Noëmi Grütter von Amnesty Schweiz. Doch wie sieht das in der Praxis aus? Soll die Zustimmung via Vertrag, Sprachnachricht oder gar einer App erfolgen? «Nein, das wäre sehr kritisch, weil man seine Zustimmung bei diesen Varianten kaum mehr zurückziehen kann», so Grütter.

Das Okay zum Sex kann verbal oder nonverbal erfolgen. Beide Partner müssen es wollen und das einander zu verstehen geben – sei es im Gespräch oder mittels Gestik. «Wenn beide am intimen Akt Spass haben und beide aktiv mitmachen, ist die Zustimmung schon gegeben», erklärt Grütter.

Keine Umkehr der Beweislast

Mit der Gesetzesänderung will Amnesty Frauen besser vor sexuellen Übergriffen schützen und ihnen die Hemmschwelle nehmen, solche anzuzeigen (siehe Box). Das Strafrecht setze heute bei Vergewaltigung Gewalt oder Drohung voraus, so Grütter. «Indirekt verlangt man vom Opfer, dass es sich wehrt. Das ist aber vielfach gar nicht möglich, weil es in diesem Moment wie gelähmt ist oder sich aus Angst nicht wehren kann.»

Neu würde sich der Fokus vor Gericht darauf ausrichten, ob eine Zustimmung zum Sex vorlag. «Die Staatsanwaltschaft müsste dann einen Täter genau fragen, wie sich das Opfer verhalten hat und warum er glaubt, dass der Akt einvernehmlich war», so Grütter. Beweisen, dass die andere Person auch Sex wollte, müsse er aber nicht. «Die Beweislast liegt weiterhin bei der Staatsanwaltschaft, nicht beim Täter.»

«Wichtiges gesellschaftliches Signal»

Gelte Sex ohne Zustimmung rechtlich als Vergewaltigung, würde ein echter Paradigmenwechsel stattfinden, sagt Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne). «Sex wäre dann nicht mehr etwas, was man sich einfach nehmen darf, bis jemand sich wehrt. Das wäre ein wichtiges gesellschaftliches Signal.» Zudem falle es Opfern wahrscheinlich leichter, Anzeige zu erstatten. Die Strafbarkeit würde dann nicht mehr so stark davon abhängen, ob die vergewaltigte Frau sich gewehrt hat. Das bestätigt auch Amnesty.

Arslan unterstützt die Petition und hat dazu selbst einen Vorstoss im Parlament eingereicht. Sie ist überzeugt: «Wenn wir die Harmonisierung des Strafgesetzbuches vornehmen, muss man dieses Thema gleich einbeziehen.» Just dieses Ziel verfolgt Amnesty Schweiz mit einer Petition, die bislang 15'000 Personen unterzeichnet haben.

So kommt die Kampagne von Amnesty daher.
Beide Partner sollen künftig dem Akt zustimmen müssen – Sex ohne Einwilligung soll als Vergewaltigung bestraft werden können.
«Sex muss freiwillig erfolgen. Beide müssen sich im Klaren sein, dass es das Gegenüber auch will. Das ist nicht zu viel verlangt», sagt Noëmi Grütter von Amnesty Schweiz.
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So kommt die Kampagne von Amnesty daher.

Amnesty

«Nicht alles in einen Topf werfen»

Auch FDP-Ständerat Andrea Caroni ist der Meinung, die heutige Abstufung sei rechtlich nicht ausgereift: Bei sexuellen Handlungen, die zwar gegen den Willen des Opfers, aber ohne Gewaltanwendung geschehen, fehle der angemessene Strafrahmen.

Doch er sieht auch Nachteile in der Petition, die alles in einen Topf werfe: «Alle zwangsfreien sexuellen Handlungen als Vergewaltigung zu bezeichnen, geht zu weit.» Mit dieser Vermischung werde man den allerschwersten Fällen, wo eben auch Zwang angewandt werde, nicht mehr gerecht.

Für Sexologe Martin Bachmann ist die grösste Hürde, wie das gegenseitige Okay vor dem Sex in der Praxis umgesetzt wird und letztlich strafrechtlich anwendbar ist (siehe Interview in der Box).

Videoclip aus der Amnesty-Kampagne:

Mehr Anzeigen in Schweden

Jede fünfte Schweizerin erlebte schon sexuelle Handlungen gegen ihren Willen, jede Achte gar Sex gegen ihren Willen. Doch nur 8 Prozent der Frauen erstatteten auch Anzeige. Das zeigt eine aktuelle GFS-Umfrage. Mit der Zustimmung beider Partner zum Sex seien Frauen vor Gericht besser geschützt, zudem würden mehr Taten angezeigt, ist Amnesty Schweiz überzeugt. In Schweden hat sich das bewahrheitet – dort gilt das neue Gesetz seit einem Jahr. «Viele Anwaltskollegen bestätigen, dass sie seither viel mehr solcher Fälle betreuen», sagt die schwedische Opferanwältin Silvia Ingolfsdottir Åkermark gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Ob es auch mehr Verurteilungen gebe, könne aufgrund der kurzen Zeitspanne noch nicht gesagt werden. Nebst Schweden haben auch Belgien, Österreich und Grossbritannien ihr Sexualstrafrecht entsprechend geändert – Dänemark und Griechenland wollen folgen. In Deutschland gilt seit 2016 der Grundsatz «Nein heisst Nein». Dort muss ein Vergewaltigungsopfer aktiv werden und mit Worten oder Gesten zum Ausdruck bringen, dass es keinen Sex möchte.

Herr Bachmann*, was halten Sie von der Amnesty-Petition?

Ich bin generell grundsätzlich gegen jegliche Form von Gewalt. Ich unterstütze den Grundgedanken, dass Sex einvernehmlich sein soll und beide Partner das formulieren müssen. Sexualität ist ein dynamischer Prozess mit vielen Emotionen und Überraschungen – leider kann es immer wieder mal passieren, dass Menschen beim Sex Sachen mitmachen, obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Daher braucht es eine Sensibilisierung.

Wie ist das gegenseitige Okay vor dem Sex praktikabel?

Es braucht eine vertiefte Diskussion darüber, wie diese Zustimmung in der Praxis überhaupt umsetzbar ist und wie sie letztlich strafrechtlich verwendet werden kann. Ich denke, das ist die grösste Hürde. Experten müssten im Vorfeld genau analysieren und festlegen, inwiefern und mit welchen Vorgaben ein sexuelles Einverständnis im Strafgesetz abzubilden wäre.

Würden durch diese Änderung mehr Vergewaltiger verurteilt?

Das wären wohl zu hohe Erwartungen. Ich bin kein Jurist, kann mir aber vorstellen, dass es mehr Anzeigen wegen Vergewaltigung geben würde. Aber vor Gericht geht es bei solchen Delikten am Schluss um Aussage gegen Aussage. Wie sich die Praxis entwickeln würde, kann ich nicht prognostizieren.

Martin Bachmann ist Sexologe beim Mannebüro Züri

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