So könnte ein Schultag 2030 aussehen

Aktualisiert

ZukunftsforschungSo könnte ein Schultag 2030 aussehen

Uniformierte Polizisten in zerfallenden Schulhäusern oder individuelle Schulcoaches? Zukunftsforscher haben vier Szenarien für die Volksschule im Jahr 2030 entworfen.

Christoph Bernet
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Christoph Bernet
Ein gesellschaftlicher Wertewandel könnte sich direkt auf die Volksschule auswirken.

Ein gesellschaftlicher Wertewandel könnte sich direkt auf die Volksschule auswirken.

Reformen im Bildungsbereich lösen immer wieder heftige Diskussionen aus. Hochdeutsch im Kindergarten, Sexualkunde-Unterricht, angeblich wachsende Defizite in Deutsch und Mathematik: Wenn es um die Schule geht, treffen verschiedene Vorstellungen, was die Aufgabe der Schule ist, aufeinander – die Folge ist Zoff zwischen Politikern. Swissfuture, die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung, und die Pädagogische Hochschule Zürich präsentieren am Mittwoch die Ergebnisse der Studie «Volksschule 2030 – Vier Szenarien zur Zukunft der Schule» (siehe Box).

«Wir wollen eine Diskussion anstossen, welche Auswirkungen der gesellschaftliche Wertewandel auf die Schule hat», sagt Co-Studienleiter Georges T. Roos. Denn wer die Schule der Zukunft gestalte, gestalte damit auch die Zukunft. Die Szenarien seien nicht als Prognosen zu verstehen, «aber wir wollen aufzeigen, was es für die Volksschule bedeuten könnte, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern», sagt Roos.

Szenario 1: Privatcoaches helfen bei Karriereplanung

Im Jahr 2030 verdienen die Schweizer mehr als heute und vor allem gut gebildete Menschen wandern in unser Land ein. Die Gesellschaft ist auf Leistung ausgerichtet, das Bildungswesen ist weitgehend privatisiert. Der Staat gibt nur noch formale Anforderungen vor. Eltern erhalten Bildungsgutschriften, die sie an frei wählbaren Schulen einlösen. Ihre Kinder erhalten einen individualisierten Unterricht. Ein Lerncoach hilft, die Schulkarriere zu planen.

Dieses Szenario skizziere einen flexiblen, offenen Bildungsmarkt, «der den Eltern viel Spielraum lässt und die Kinder unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten auf die Zukunft vorbereitet», erläutert Roos. Hier stehe der Gedanke dahinter, «dass es keinen Sinn macht, wenn alle das Gleiche lernen». Roos glaubt nicht, dass dieses Szenario in absehbarer Zukunft mehrheitsfähig wird. Vielen Schweizern sei die Volksschule wichtig «als eine der letzten Klammern, welche die Gesellschaft zusammenhalten». Auch Walter Bircher, Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich, zeigt sich skeptisch: «Die vollständige Privatisierung der Volksschule würde zu sozialer Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit mit sozialen Spannungen führen.»

Andererseits stellt Co-Studienleiter Roos schon heute bei gewissen Eltern eine Tendenz fest, «dem Lehrer jeden Tag auf die Pelle zu rücken», weil sie sich Sorgen machten um den schulischen Erfolg ihrer Kinder. Solche Eltern betrachteten Bildung als eine Investition – wie dies auch in diesem Szenario der Fall ist.

Szenario 2: Zerfall von Infrastruktur und Form

Die Schweiz ist mit einer hohen Arbeitslosenrate und einer Zuwanderung von bildungsfernen Migranten konfrontiert. «Im täglichen Überlebenskampf ist vieles erlaubt», ist das gesellschaftliche Credo. Die Infrastruktur der öffentlichen Schulen verfällt. Sie kämpfen mit Geldmangel und werden von religiös und ethnisch differenzierten Privatschulen konkurrenziert. Die Lehrerausbildung wird verkürzt. Schlecht ausgebildete Quereinsteiger übernehmen Schulklassen in Problemquartieren, weil ordentlich ausgebildete Pädagogen dazu nicht mehr bereit sind.

Dieses Szenario führt laut Roos aus, wie die Volksschule aussehen könnte, «wenn alle Stricke reissen». Dies könne eintreffen, wenn der Mittelstand wegbreche und die Zahl der bildungsfernen Familien zunehme. Heute seien die Volksschulen im Grossen und Ganzen in einem guten Zustand. Mit diesem Szenario werde aufgezeigt, was eintreffen könnte, wenn bei der Bildung gespart würde: «Das gibt uns die Möglichkeit, auf negative Entwicklungen zu reagieren.»

Szenario 3: Externe tragen zur Bildung bei

Das Durchschnittseinkommen hat zugenommen und die Gesellschaft legt Wert auf gelebte Nachhaltigkeit. Politik und Wirtschaft ist es gelungen, die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zu verbessern. Es herrscht eine Vielfalt an Familienmodellen. Die Schule versteht sich als Holding mit verschiedenen Trägern: Eltern, Grosseltern, lokale Betriebe und Sportvereine unterstützen die Schule mit ihrem Fachwissen. Im Unterricht wird in erster Linie auf soziale Beziehungen gesetzt, aber man hat keine Scheu vor «digitalen Assistenten» - es wird viel Lernsoftware eingesetzt.

Dieses Szenario rücke die Schule «ins Zentrum der Lebenswelt der Betroffenen», sagt Walter Bircher von der Pädagogischen Hochschule Zürich. Sie werde als Teil der Gesellschaft verstanden. In gewissen Schulen werde dieses Modell in Ansätzen schon heute praktiziert – mit positiven Resultaten. Laut Bircher führe der Einbezug von lokalen Firmen, Sportvereinen und Jugendorganisationen dazu, dass bei Arbeitgebern und bei Anbietern von Freizeitangeboten für Kinder «das Verständnis für die Herausforderungen der Volksschule steigt».

Szenario 4: Klassischer Bildungskanon und schulische Disziplin

Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Einkommen sind gesunken. Die wirtschaftliche Globalisierung ist ins Stottern geraten. Die Schweiz sieht sich als «erhaltenswerten Sonderfall». Die Schule soll eine vernünftige Lebensführung und den Erhalt der soziale Ordnung fördern. Die öffentliche Volksschule ist unbestritten, die Hürden für Privatschulen hoch. Im Unterricht steht ein klassischer Bildungskanon und traditionelle Unterrichtsmittel wie der Frontalunterricht an der Wandtafel im Vordergrund. Schweizer Geschichte und Heimatkunde werden stark gewichtet. Doch auch Bereiche, die bisher nicht unter die Zuständigkeit der Schule fallen, würden neu im Unterricht behandelt werden – beispielsweise Anstandsregeln, Konsum und Partnerschaft.

Bei diesem Szenario gehen die Forscher davon aus, dass der «Megatrend der Ökonomisierung» zurückgebunden ist – die Tendenz also, sämtliche Bereiche des Lebens, auch die Bildung und die Erziehung, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten, erklärt Co-Studienleiter Roos. Diese Annahme könnte bei einer weltweiten Wirtschaftskrise eintreffen, in der sich Märkte wieder vermehrt abschirmen und sich Gesellschaften auf einen «konservativen Wertekanon» zurückbesinnten, in dem die Disziplin eine grosse Rolle spielt.

Andererseits widerspiegle sich in diesem Szenario die Tendenz, die Lebensphase des Primarschulalters «vollständig zu verschulen», sagt Roos. Damit gemeint ist die Ausweitung der Erziehungsrolle der Schule auf Fähigkeiten und Bereiche, welche bisher in erster Linie unter die Verantwortung der Eltern fielen – Verantwortungsbewusstsein, Disziplin, Gesundheit. Dieses Szenario nehme die Tendenz auf, immer mehr Fragen des Lebens politisch regeln zu wollen.

Fazit

Für Georges T. Roos ist klar, dass sich die Kinder im Jahr 2030 auf ein Arbeitsleben in einer Wirtschaft vorbereiten werden, «die zweifellos höhere Ansprüche stellen wird». Trotzdem dürfe auch in Zukunft bei Bildungsreformen nicht vergessen werden, «dass die Schule einen gesellschaftlichen Wert für sich darstellt». Es gehe darum, sich zu fragen, was welche Bevölkerungsgruppen und Akteure zur Bildung beitragen können. Die bewährte Berufsbildung in der Schweiz sei ein erfolgreiches Beispiel für eine solche «Verzahnung der Schule mit einem nicht-schulischen Partner, der Wirtschaft».

Für Walter Bircher ist die Realisierung der Chancengleichheit eine der grössten Herausforderungen für die Schule: «Jedes Kind, jeder Jugendliche soll die Möglichkeit in der Schule nutzen können, sich Kompetenzen anzueignen, sich selbständig weiter zu entwickeln und sich in der Gesellschaft zu integrieren.» Für die zukünftigen Herausforderungen im Bildungswesen brauche es strukturelle Veränderungen. Das bisherige «System Schule» reagiere oft träge und Reformen erzeugten nur zeitverzögert ihre Wirkung. Für Bircher ist deshalb klar: «Wir müssen Kompetenzen und Ressourcen an die einzelnen Schule delegieren.»

Die Studie «Volksschule 2030»

Unter der Federführung von swissfuture und der Pädagogischen Hochschule Zürich haben Experten aus Forschung und Praxis vier Szenarien zur Volksschule im Jahr 2030 entwickelt. Ausgangspunkt war der künftige Wertewandel. Unter verschiedenen ökonomischen und sozialen Grundannahmen wurden die Auswirkungen des Wertewandels auf Aspekte der Schule wie Trägerschaft, Finanzierungsmodelle, Unterrichtsformen oder den Lehrerberuf untersucht.

(cbe)

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