Banküberfall in GenfTiger-Kidnapping: Neue Gefahr für die Schweiz
Banküberfälle mit Geiselnahme von Angehörigen wie gestern in Genf werden kein Einzelfall bleiben – Experten sprechen von einem neuen Sicherheitsrisiko für Banken und Juweliere.

Im Film «Firewall» (2006) wird Harrison Ford gezwungen, eine Bank auszurauben, um seine Familie zu retten.
Bei einem Banküberfall in Genf haben Bankräuber am Dienstag die Familienmitglieder eines UBS-Angestellten gekidnappt und ihm während einer Zigaretten-Pause ein Foto der festgehaltenen Angehörigen gezeigt. Daraufhin entnahm der Angestellte aus dem Tresor ein Lösegeld in unbekannter Höhe und übergab es den Tätern, die unerkannt entkommen konnten und weiterhin auf der Flucht sind.
Experten gehen davon aus, dass diese Erpressermethode kein Einzelfall bleiben wird. «Tiger-Kidnapping ist die zukünftige Masche von Bank- und Schmuckräubern», sagt der Deutsche Sicherheitsberater Martin Winckel. Dabei würden die Mitarbeiter von Firmen zunächst ausspioniert. Danach würden Familienmitglieder von sogenannten «Schlüsselträgern» als Geiseln genommen, um die Herausgabe von Geld oder Schmuck zu erpressen. «Schlüsselträger sind all jene Personen in einer Firma, die alleinigen Zugang zu alarmgeschützten Geschäftsräumen und Wertbehältnissen haben», erklärt der Sicherheitsexperte. Das perfide an der Methode sei, dass auch die besten Alarmanlagen nutzlos seien, weil niemand Alarm schlägt, wenn seine Kinder in den Händen der Verbrecher seien.
Mehrere Fälle im Ausland
Erstmals eingesetzt wurde die Methode in den 70er-Jahren in Irland. Dort erhielt sie auch ihren Namen, weil die Täter, ähnlich dem Verhalten eines Tigers, sein Opfer sorgfältig auswählt, beobachtet und schliesslich zuschlägt. Auch aus den USA, Belgien und Frankreich sind mehrere Fälle bekannt. «Im deutschsprachigen Raum ist das Tiger-Kidnapping bisher nicht aufgetreten. Viele Firmen und Mitarbeiter sind sich der Gefahr gar nicht bewusst», so Winckel, der Juweliere in Sicherheitsfragen berät.
Auch ETH-Sicherheitsforscher Christian Nünlist bestätigt auf Anfrage, dass Kidnapping-Fälle aufgrund der globalen Finanzkrise seit 2008 weltweit zugenommen haben. «Dazu gehört auch die besonders raffinierte Variante des Tiger-Kidnapping, wie sie offenbar in Genf praktiziert wurde. Dieses Vorgehen ist neu für die Schweiz. Bisher waren Schweizer Bürger eher im Ausland gefährdet, von Kriminellen oder Terroristen entführt zu werden», so Nünlist, der aktuell an einer Analyse zum Thema Entführungen mit Lösegeldforderungen arbeitet.
Angst macht das «Tiger-Kidnapping» auch den Bijoutiers: «Für uns ist Tiger-Kidnapping das absolute Horror-Szenario», sagt der Verbands-Präsident der Schweizer Goldschmiede und Uhrenfachgeschäfte André Hirschi. Es habe schon Fälle gegeben, in denen Inhaber von Bijouterien und deren Familien nachts überfallen und zur Herausgabe von Schmuck gezwungen worden seien. «Die Betroffenen leiden jahrelang unter diesem traumatischen Erlebnis», so Hirschi, der selber in Davos eine Bijouterie betreibt. Ein Fall wie in Genf habe es hingegen seines Wissens in der Schweiz noch nie gegeben.
Mitarbeiter können geschützt werden
Hirschi rät bei Überfällen von jeglicher Gegenwehr ab. «Wir haben im Verband diverse Schulungen zum Thema Sicherheit durchgeführt und raten unseren Mitgliedern, sich bei Überfällen nicht zu wehren. Sicherheitsberater Winckel sagt, dass es sehr wohl effektive Schutzmassnahmen gebe, will darüber aber nicht öffentlich Auskunft geben. Ein Mitarbeiter aus der Sicherheitsbranche, der anonym bleiben will, sagt, dass die ganze Branche aktuelle und künftige Bedrohungen genau analysiere und sich entsprechend wappne. So sei vielerorts das Vier-Augen-Prinzip eingeführt worden, um einzelne Mitarbeiter besser zu schützen.