Shopping und TourismusTreffen Online-Sperren jetzt weitere Branchen?
Nach der Netzsperre für ausländische Online-Casinos befürchten die Gegner einen Dammbruch – zu Recht?
In der Schweiz wird erstmals eine sogenannte Netzsperre eingeführt: Der Zugriff auf ausländische Online-Casinos soll nach dem Willen von National- und Ständerat blockiert werden. Während die Befürworter mit der Prävention und der Einhaltung beschlossener Gesetze argumentieren, beklagen die Gegner den Tod des freien Internets und befürchten einen Dammbruch.
Andere Interessensgruppen stünden schon in den Startlöchern, ist Marcel Dobler, FDP-Nationalrat und Gründer des IT-Onlineshops Digitec, überzeugt: «Es wird nicht beim Sonderfall Glücksspiele bleiben.» Auch Martin Steiger, IT-Anwalt und Mitglied der Digitalen Gesellschaft Schweiz, sagt: «Nach diesem Entscheid schliesse ich nichts mehr aus – Heimatschutz und Abschottung sind gerade sehr in Mode.»
Spekuliert wird etwa über Sperren in folgenden Bereichen:
• Musik-/ Filmstreaming: Urheberrechtlich geschützte Filme und Songs sollen nicht mehr abgerufen werden können. Die Politik arbeitet derzeit an einer Anpassung des Urheberrechts, die eine Netzsperre in diesem Bereich vorsieht. In Österreich werden Streamingportale wie Kinox.to oder Movie4k.to bereits blockiert.
• Buchungsplattformen: «Dem Schweizer Tourismus sind Plattformen wie Booking.com schon lange ein Dorn im Auge», so Dobler. Dasselbe gelte für die Taxibranche und den Fahrdienst Uber: «Für die Betroffenen wäre es natürlich bequem, unliebsame Konkurrenz auf diese Weise loszuwerden.»
• Amazon und Zalando: Buchhändler und Kleiderläden leiden unter den zunehmenden Onlineeinkäufen. «Ob man politisch wirklich so weit gehen würde, die beiden Anbieter zu sperren, wage ich derzeit noch zu bezweifeln – mit genügend Lobbying scheint inzwischen aber alles machbar», so Rechtsanwalt Steiger.
• Medikamente: Auch die Bestellung von günstigeren Medikamenten aus dem Ausland könnte mit Netzsperren unterbunden werden, befürchtet FDP-Mann Dobler.
• Gefälschte Produkte: Eine Netzsperre könnte theoretisch auch angewandt werden, um den Handel mit illegalen Kopien von Kleidern oder anderen Waren zu unterbinden.
• Verbotene Pornografie: Heute werden Seiten, die beispielsweise Kinderpornos enthalten, von einigen Internetanbietern bereits freiwillig gesperrt. Künftig soll sie der Bund dazu verpflichten können.
•Terror-Propaganda: Für das Sperren von Seiten, auf denen Propagandamaterial verbreitet wird, gibt es in der Schweiz bereits eine Grundlage. Seines Wissens sei in diesem Bereich aber noch nie eine Netzsperre angewandt worden, so Steiger.
• Facebook/ Twitter/ Youtube: Länder wie China, Nordkorea oder Saudiarabien schränken den Zugang ihrer Bürger zu Social Media ein. Dass die Schweiz aus politischen Gründen so weit gehen würde, glaubt niemand. Steiger sagt jedoch: «Die Technologie ist dieselbe.» Ausserdem sei die Androhung einer Sperre ein wirksames Druckmittel, um etwa die Herausgabe von Nutzerdaten zu erzwingen.
«Diktatoren-Vergleich wird nicht wahrer»
CSP-Nationalrat Karl Vogler befürwortete die Sperre für ausländische Online-Casinos im Nationalrat. Über die Schreckensszenarien der Gegner kann er nur den Kopf schütteln: «Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.» Wer nun vor einer Zensur im Stil Nordkoreas warne, bagatellisiere die dortigen Verhältnisse. «Man kann den Diktatoren-Vergleich so oft wiederholen, wie man will, er wird dadurch nicht wahrer.»
Auch stehe es nicht zur Debatte, aus protektionistischen Gründen Online-Angebote wie Zalando oder Amazon einzuschränken. «Sie sind durch die Wirtschaftsfreiheit geschützt.» Der Fall der Online-Casinos sei anders gelagert, weil ein Teil der Spielgelder laut Gesetz der Gemeinnützigkeit zukommen müsste. «Ohne Sperre fliesst das Geld einfach ins Ausland ab – das darf nicht sein.» Zudem habe die Massnahme Präventionscharakter.
Sperre gegen Terror das richtige Mittel?
Dass Sperren im Fall von verbotener Pornografie oder Jihadismus Sinn machten, liege auf der Hand, so Vogler. Auch für Dobler und Steiger ist es wichtig, dass der Zugang zu solchen Inhalten verhindert wird. Beide betonen jedoch: «Löschen ist in solchen Fällen besser als sperren.» Dies inbesondere, weil Netzsperren kinderleicht umgangen werden könnten. «Jeder, der 30 Sekunden googelt, findet heraus, wie das geht», so Dobler.
Damit eine Online-Sperre beschlossen werden kann, braucht es in jedem Fall eine gesetzliche Grundlage, wie es beim Bundesamt für Justiz auf Anfrage heisst. Diese müsse «durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig» sein, führt Sprecherin Ingrid Ryser aus. Sie hält fest: Eine Sperre von Twitter oder Facebook sei «aus rechtlicher und praktischer Sicht nicht denkbar».