Islam-DebatteUm die Burka tobt ein Feministinnen-Zoff
Ist das Tragen einer Burka ein Recht der Frauen oder hat der Ganzkörperschleier in einer Demokratie keinen Platz? Unter Feministinnen ist eine heisse Debatte entbrannt.
Schauen Sie sich die wichtigsten Argumente der Debatte im Video an. 20M/ D. Krähenbühl
Soll die Burka verboten werden oder nicht? Über diese Frage wird die Schweiz bald abstimmen. Anfang September sind die 100'000 Unterschriften für die Burka-Initiative des Egerkinger Komitees zusammengekommen. Unter fünf der profiliertesten Frauen des Landes ist ein wütender Streit entbrannt, ob es nun das gute Recht einer jeder Frau ist, das anzuziehen, worauf sie Lust hat – auch eine Burka –, oder aber ob mit dem Ganzkörperschleier nicht das Prinzip der Gleichstellung und die Demokratie mit Füssen getreten werden.
Angefangen hat alles mit einem Interview mit dem marokkanischen Flüchtling und Blogger Kacem El Ghazzali im «Bund» vom August. Darin hatte der Atheist der Schweizer Linken Blindheit im Umgang mit dem politischen Islam vorgeworfen. Diese zeigten «Toleranz gegen Intoleranz». Daraufhin gab ihm die Gender-Expertin Franziska Schutzbach in einem offenen Brief Saures und betitelte ihn als Paternalisten. Auch die Zürcher SP-Regierungsrätin und Justizdirektorin Jacqueline Fehr fuhr den Blogger in einem Facebook-Post an. Daraufhin schalteten sich auch die Politologin Regula Stämpfli im Kleinreport, die Islamexpertin Saïda Keller-Messahli und die Journalistin Michèle Binswanger in die Debatte mit ein.
Franziska Schutzbach, Gender-Expertin, in einem offenen Brief am 27.8 2017
In einem Artikel auf der Website «beziehungsweise weiterdenken» rechnete Gender-Expertin Franziska Schutzbach mit Kacel El Ghazzali ab. Sie nimmt Bezug auf seine Aussage, wonach, wer freiwillig einen Hijab anziehe, keine liberale Entscheidung treffe. Eine solche Wahl, ergänzte er in einer Facbook-Diskussion, beruhe nicht auf den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit.
Schutzbach schreibt: «Herr Ghazzali, wenn Sie weibliches Handeln am Massstab eines abstrakten Liberalismus/ Freiheitsbegriffes bemessen und nicht an der konkreten Situation von Frauen und ihren Lebensrealitäten, ist das eine paternatlistische Geste gegenüber dem Leben und Handeln von Frauen.» Das Tragen eines Schleiers als grundsätzlich nicht selbstbestimmt zu definieren, sei falsch und anmassend. «Handlungsweisen von Frauen im Patriarchat sind oft vernünftige Strategien. Frauen haben Gründe, so zu handeln, wie sie handeln.» Also müsse man doch die Herrschaftsverhältnisse angreifen. Und nicht das emanzipatorische Subjekt. Eine feministische Politik müsse die verschiedenen Gründe für Verschleierung kennen und begreifen, dass diese oft völlig vernünftig seien, weil sie das Überleben von Frauen in einer herrschaftsförmigen Gesellschaft ermöglichten. Der offene Brief wurde via Terres des Femmes Schweiz verteilt.
Jacqueline Fehr, Zürcher SP-Regierungsrätin , in der Wochenzeitung WOZ (14. 9.2017)
Nachdem die Zürcher SP-Regierungsrätin den marokkanischen Blogger Kacel El Ghazzali nach seinem Interview, in dem er die Schweizer Linke angegriffen hatte, erklärte sich Jacqueline Fehr in der linken Wochenzeitung WOZ. «Ich vertrete einen emanzipierenden und keinen maternalistischen Feminismus. Als emanzipierte Frau halte ich es für fragwürdig, Frauen vorschreiben zu wollen, was sie tragen sollen, ob Bikini oder Burka.»
Es sei «scheinheilig», dass sich die SVP in diesem Kontext als Fürsprecherin feministischer Grundrechte aufspiele, «wenn sie gleichzeitig dort, wo die Grundlagen dafür gelegt werden, verstummt». Dieselben, die in ihrer eigenen Lebensgestaltung dafür stünden, dass der Mann der Haupternährer ist, machen sich plötzlich zum Sprachrohr der Gleichberechtigung. Dort, wo es konkret um Befreiung und Gleichstellung geht, sind sie nicht dabei, und gleichzeitig leben sie es selbst auch nicht so, wie sie es von anderen einfordern.»
Regula Stämpfli, Politologin im KleinReport (15.9.2017)
Am 15. September dann reagierte die Politologin Regula Stämpfli in einem Beitrag für den «Klein Report». Darin warf sie Jacqueline Fehr und der WOZ vor, «Trumpism» zu betreiben.
«Im Hinblick auf die Auseinandersetzungen um die öffentlichen Themen rund um den Islam fällt auf, wie sehr die Debatte nicht als Debatte, sondern als Verunglimpfung ausgerechnet der Personen geführt wird, die sich für die klassischen Prinzipien von Rechtsstaat, Demokratie und Partizipation aller Menschen wehren.»
Am 18.9. legte Stämpfli in einem zweiten Beitrag nach. Sie wisse, dass ein Burka-Verbot kein Quäntchen Gleichstellung mehr bringe. «Aber deshalb zu sagen, dass ich Frauen nicht vorschreiben will, was sie zu tragen haben, ist auch naiv. Mit einer Burka gibt es nämlich auch kein Quäntchen Gleichstellung mehr.» Dann schiesst Stämpfli gegen Gender-Theoretikerinnen, die dafür eintreten, «vernünftige Strategien in einem falschen System» zu wählen. Dies sei nichts anderes als die «Rechtfertigung und die Legitimation eines sexistischen Ist-Zustandes bis in alle Ewigkeit». Für oder gegen die Burka sein zu müssen, bringe niemanden weiter, schon gar nicht in Richtung Demokratie.
Saïda Keller-Messahli, Präsidentin Forum für einen fortschrittlichen Islam, in der WOZ (21. September)
Eingeschaltet in die Debatte hat sich nun auch Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, mit heftiger Kritik an der Zürcher SP-Regierungsrätin Fehr. «Jacqueline Fehr hat vom politischen Islam nicht viel Ahnung», sagte Keller-Messahli im Interview mit der WOZ. Sie realisiere nicht, dass gerade der Körper der Frau im Zentrum des Islamismus stehe. Es gehöre zu dieser Ideologie, primär die Frauen mental und physisch zu formatieren. «Dem Islamismus kommt man mit dieser Art von Feminismus nicht bei.»
Für Frauen, die sich freiwillig total verschleiern wollten, sei diese Gesellschaft der falsche Platz. «Die Grundbedingung für Demokratie ist schliesslich Transparenz.» Der politische Islam vertrete die Idee, die besage, dass der Körper der Frau im öffentlichen Raum nichts zu suchen habe. Die Frau habe sich für ihren Körper im öffentlichen Raum zu schämen, er sei Quelle von Sünde, deshalb solle sie unsichtbar werden.
Die Burka könne man nicht mit Kleidervorschriften anderer Religionen vergleichen. «Wir haben ein Problem mit dem politischen Islam wegen der Jihadisten. Der Jihadismus ist die zweite Phase des politischen Islam, die Phase wo er zur Tat schreitet.» Die Burka hier freiwillig zu tragen, sei eine grosse Provokation. «Es bedeutet, alles abzulehnen, wofür diese freie Gesellschaft steht.» Die Burka sei nicht einfach nur ein Kleidungsstück, sie sei ein Zeichen von Regression, das den kulturellen Errungenschaften feindlich gegenübersteht.Keller-Messahli bezeichnet sich selber nicht als muslimische Feministin.
Michèle Binswanger, Journalistin (14. 9.2017)
Eine dezidierte Meinung zur Burka hat auch die Gesellschafts-Journalistin Michèle Binswanger. Im «Tagesanzeiger» schrieb sie: «Ganzkörperverschleierung ist eine Art Pornografie mit umgekehrten Vorzeichen: die Frau, reduziert auf einen Schlitz.» Man müsse gar nicht das Argument der armen, unterdrückten Frauen bemühen, die man befreien möchte. Hierzulande trügen die meisten den Vollschleier freiwillig. Ablehnen könne man ihn trotzdem: «Er ist ein Symbol des wahhabitischen Islam, der in seiner politischen Form expansiv und gewalttätig ist.» Dazu gehörten auch sexuelle Gewalt gegen Frauen und generell Unterdrückung von Frauen.
Man könne ihn ablehnen mit dem Argument, eine Vollverschleierung widerspreche allen Grundsätzen der Integration und befördere eine gesellschaftliche Segregation. Man könne argumentieren, der Westen müsse an seinem Anspruch auf Anpassung und Integration festhalten. Und dazu gehöre, dass man zumindest sein Gesicht zeige. Bevor man sich aber für oder gegen das Burkatragen ausspreche, müsse man fragen, ob die Dringlichkeit des Problems tatsächlich dem zu erwartenden Aufwand für eine Abstimmung entspreche. Das sei sicherlich nicht der Fall.