Dürfen EU-Bürger bald in der Schweiz wählen?

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UnionsbürgerschaftDürfen EU-Bürger bald in der Schweiz wählen?

Aussenminister Ignazio Cassis verhandelt offenbar beim EU-Rahmenabkommen auch über die Unionsbürgerschaft. Die SVP ist «enttäuscht».

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Aussenminister Ignazio Cassis prüft laut «SonntagsZeitung» beim Rahmenabkommen offenbar auch, Teile der Unionsbürgerrichtlinie zu übernehmen.
Diese sieht die Gleichbehandlung von EU- und Staatsbürgern vor. Sie sichert  das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu ...
... oder garantiert ein Recht auf Sozialhilfe im Land, ohne dort gearbeitet zu haben,
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Aussenminister Ignazio Cassis prüft laut «SonntagsZeitung» beim Rahmenabkommen offenbar auch, Teile der Unionsbürgerrichtlinie zu übernehmen.

epa/Hayoung Jeon

Indem er das sogenannte Rahmenabkommen mit der EU zusammen mit neuen bilateralen Verträgen (Bilaterale III) zusammenfassen wollte, erhoffte sich Aussenminister Ignazio Cassis, die Kontroverse um die «fremden Richter» in den Hintergrund zu stellen und die Wichtigkeit des «Marktzugangsabkommen» zu betonen.

Doch laut «SonntagsZeitung» ist ein Gesamtpaket nun vom Tisch: Cassis erkannte, dass dafür ein neues Verhandlungsmandat nötig wäre. Deshalb will er nur noch über das Rahmenabkommen verhandeln, das die Übernahme von EU-Recht und die Streitbeilegung schlichten soll.

Gibt der Bundesrat bisher definierte rote Linien auf?

Dabei gibt er offenbar auch bisher definierte rote Linien auf: So soll Cassis beim Rahmenabkommen bereit sein, auch Teile der von der EU geforderten Unionsbürgerschaft zu übernehmen. Noch 2011 lehnte der Bundesrat Verhandlungen darüber klar ab.

Die EU-Unionsbürgerschaft sieht die europaweite Gleichbehandlung von EU- und Staatsbürgern vor. Die Rechte gehen über jene des Personenfreizügigkeitsabkommens hinaus: So garantiert die Bürgerschaft ein Recht auf Sozialhilfe ohne Arbeit, sichert EU-Bürgern das Wahlrecht im Gastland auf kommunaler Ebene zu und erlaubt es, sich in einem EU-Land auch ohne Arbeitsvertrag niederzulassen.

«Bin masslos enttäuscht und schockiert»

Zwar ist laut Cassis' Departement bei den Verhandlungen über die Unionsbürgerschaft nur eine Erweiterung der Personenfreizügigkeit, etwa beim Familiennachzug, geplant.

SVP-Nationalrat Lukas Reimann befürchtet jedoch, dass weitere Übernahmen nicht ausgeschlossen sind. Reimann, der seine Stimme bei der Bundesratswahl Cassis gegeben hat sagt: «Ich bin masslos enttäuscht und schockiert.» Denn allein die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit sei genau das Gegenteil davon, was er von Cassis' Reset-Knopf erwartet habe.

Zudem sei es unverständlich, dass Cassis ausgerechnet das selbst in der EU umstrittene Unionsbürgerrecht ins Spiel bringe. Reimann befürchtet vor allem eine erhöhte Zuwanderung, hohe Kosten für die Sozialwerke sowie eine Entwertung der politischen Rechte. Auch FDP-Präsidentin Petra Gössi erteilte der Unionsbürgerschaft im Januar eine klare Absage, da ein Rahmenabkommen vor den Stimmbürgern so keine Chance habe.

Für die SP ist Übernahme des Unionsbürgerrechts «nicht verhandelbar»

SP-Nationalrat Eric Nussbaumer hingegen gibt Entwarnung: «Die Unionsbürgerschaft ist seit Jahren eine rote Linie, und Bundesrat Cassis wird diese nicht überschreiten.» Zwar könne es Anpassungen bei einigen sozialrechtlichen Fragen geben, etwa beim Anspruch von Schweizer Bürgern im EU-Raum. «Aber eine Übernahme zentraler Bestimmungen des Unionsbürgerrechts wie den Anspruch, in die Schweiz einzureisen ohne Absicht zur Erwerbstätigkeit, sind für die Schweiz nicht verhandelbar.» Nussbaumer hält deshalb entsprechende Verlautbarungen für falsch.

«Würde die EU tatsächlich die Übernahme fordern, darf die Schweiz auch sagen: Das akzeptieren wir nicht», so Nussbaumer. Dann sei es die EU, die eine rasche Einigung beim Rahmenabkommen verhindert habe. Auch aus praktischen Gründen ist für ihn die Unionsbürgerschafts-Debatte unnötig: «Wir sollten beim Rahmenabkommen keine Zeit verlieren, darum haben solche Diskussionen gar keinen Platz.»

Was ist der Sinn der Unionsbürgerschaft?

Sie wurde entwickelt, damit sich EU-Bürger auch als Europäer fühlen. Durch die Unionsbürgerschaft erhalten sie Rechte, die für alle EU-Bürger gelten.

Kritiker befürchten für die Schweiz Sozialtourismus und mehr Zuwanderung.

Die Unionsbürgerschaft ist kein Blankocheck. Es gibt zwar das Recht auf Sozialleistungen oder auf politische Mitbestimmung im Gastland. Daran sind aber auch Pflichten geknüpft: Der Bürger muss Steuern zahlen, muss sich an die Gesetze halten oder für Sozialleistungen eine gewisse Zeit in der Gemeinde gelebt haben. Eine Einwanderungswelle ist deshalb unwahrscheinlich. Denn es gibt keine Sonderrechte: Bei Wahlen müsste etwa ein EU-Bürger in der Schweiz entscheiden, ober in seiner Wohngemeinde in der Schweiz wählt oder bei den Kommunalwahlen in seinem Heimatland. Und von denselben Rechten könnten auch die Auslandschweizer profitieren.

War es schlau von Cassis, das umstrittene Unionsbürgerrecht offenbar noch hinzuzunehmen?

Die Verhandlungen mit der EU sind angespannt. Die Reset-Knopf-Idee von Cassis ist verpufft, deshalb muss er neue Wege suchen. So zeigt er der EU, dass sich etwas bewegt. Das kann sich positiv auswirken. Als Zugeständnis ist es aber nicht zu deuten: Cassis merkt einfach, dass er mit seiner Hardliner-EU-Politik nicht mehr weiterkommt.

Gilbert Casasus ist Professor für Europastudien an der Universität Freiburg.

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