Sex und ReligionWelcher Gott erlaubt wie viel Lust?
Der TV-Auftritt eines muslimischen Gelehrten hat eine Debatte über die Sex-Gebote des Islam ausgelöst. Welche Tabus kennen andere Weltreligionen?

Fast alle Religionen regeln die Sexualität der Gläubigen. (Bild: Kotin Dmitrii)
«Oralverkehr in fortgeschrittenem Ausmass» sei für Muslime tabu: Mit seinen Ausführungen über verbotene Sexualpraktiken in einer TV-Show sorgte ein türkischer Islam-Gelehrter für Erheiterung. Doch das Thema bewegt Muslime weltweit. Gelehrte sind sich nicht einig, ob Oralverkehr verboten, «eklig, aber nicht ungesetzlich» oder doch unproblematisch sei. Der Islamische Zentralrat (IZRS) schreibt in einem Ratgeber auf seiner Website, im Islam sei Analsex und Geschlechtsverkehr während der Menstruation verboten. Hingegen gebe es keine bekannten Schriften, die darauf schliessen würden, dass Muslime keinen Oralsex haben dürfen.
Doch wie sieht es eigentlich bei anderen Religionen mit Sexverboten aus? Was geht im Bett, was nicht? 20 Minuten hat mit Relgionsexperten und -vertretern gesprochen.
Christentum: Verhüten verboten
Manche Verbote stehen in der Bibel klipp und klar: Selbstbefriedigung oder homosexueller Verkehr zwischen Männern beispielsweise sind tabu. Insbesondere die katholische Kirche sei aber jahrzehntelang noch weiter gegangen, sagt Christoph Uehlinger, Religionswissenschaftler an der Universität Zürich. Im 19. und 20. Jahrhundert habe sich die katholische Moraltheologie «ganz ähnlich wie der türkische Religionsgelehrte» detailliert mit Fragen erlaubter und unerlaubter Sexualität befasst. So wurde etwa das Verbot künstlicher Verhütung erlassen. Grundsätzlich galt: Sex soll der Fortpflanzung dienen, sonst ist sexuelle Lust Sünde.
Derzeit findet aber auch in der katholischen Kirche eine Debatte über allfällige Neuauslegungen der Sexualmoral statt. An einer Synode im Herbst will die Weltkirche über das Thema diskutieren. Bereits liess Papst Franzikus Gläubige auf der ganzen Welt zu Ehe, Familie und Sexualität befragen. Im Gegensatz zu den Katholiken verzichten protestantische Kirchen laut Uehlinger bereits seit geraumer Zeit darauf, «den Leuten ins Schlafzimmer zu schauen». Jedoch gebe es auch eine Gegenbewegung – etwa in Form von evangelikalen Freikirchen, die sich unter anderem über konservative Positionen in Bezug auf Sexualität definieren.
Judentum: Der Leintuch-Mythos ist «Unsinn»
Im Judentum ist Sexualität positiv konnotiert und ausdrücklich erwünscht – zumindest innerhalb der Ehe. «Sex wird nicht nur als Mittel zur Fortpflanzung angesehen, er soll und darf Spass machen», sagt Raphael Pifko, Experte für Judentum am Zürcher Lehrhaus. «Es gibt keine Praktiken, die grundsätzlich verboten sind.» Allerdings gelte es zwischen liberalen und orthodoxen Juden zu unterscheiden. «Während beispielsweise Oralsex für viele Juden zu einem normalen Sexleben gehört, werden Orthodoxe die Ansicht vertreten, dass die Samen des Mannes so verschwendet werden.» Auch Homosexualität, Selbstbefriedigung oder Sex vor der Ehe würden von den verschiedenen Strömungen unterschiedlich beurteilt.
Mit einem alten Klischee räumt Pifko dagegen auf: «Das Gerücht, dass Juden nur durch ein Loch im Leintuch Geschlechtsverkehr haben, ist blanker Unsinn.» Es treffe weder auf strenggläubige noch auf liberale Juden zu. Vermutlich sei ein traditionelles jüdisches Gewand für den Irrglauben verantwortlich: «Es ist möglich, dass ein Nicht-Jude dieses Gewand mit einem Loch für den Kopf an einer Wäscheleine gesehen und falsche Schlüsse daraus gezogen hat.»
Hinduismus: Kamasutra als Standard-Werk
Der Hinduismus hat traditionell ein tolerantes Verhältnis zur Sexualität. Davon zeugen nicht nur freizügige Darstellungen sexueller Stellungen in hinduistischen Tempeln. «Auch das Buch Kamasutra gehört zur hinduistischen Kultur», sagt Vignarajah Kulasingam, Hind-Vertreter aus Basel. Auch wenn heute nicht mehr jeder Hindu ein Exemplar des Erotik-Lehrwerks auf dem Nachttisch liegen habe, zeige dies, dass der Fantasie kaum Grenzen gesetzt seien. «So weit ich weiss, steht auch nirgends geschrieben, dass Oralsex oder andere Praktiken verboten wären.»
Kulasingam sagt, traditionell sei Sex nur innerhalb der Ehe vorgesehen. «Aber das wird heute nicht mehr so eng gesehen wie früher.» Grundsätzlich gelte: «Sex ist Privatsache. Was in den eigenen vier Wänden im Einvernehmen beider Partner geschieht, ist in Ordnung.»
Buddhismus: Sadomaso erlaubt, wenns beiden gefällt
Auch der Buddhismus macht den Gläubigen kaum Sex-Vorschriften. Allerdings lassen sich die Grundsätze der Religion aufs Schlafzimmer anwenden: «Bei der Sexualität soll – wie in allen anderen Lebensbereichen – darauf geachtet werden, dass man einfühlsam und mit Verantwortungsbewusstsein mit sich selber und seinem Partner umgeht», sagte Wilfried Reuter, buddhistischer Leiter des Lotos-Vihara Meditationszentrums in Berlin, im deutschen «Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung».
Der Buddhismus verbiete oder erlaube im Bett nichts explizit. «Wenn gewisse Praktiken aus Mitgefühl geschehen und das beide Partner so sehen, dann steht selbst extremen Praktiken wie Sadomasochismus nichts im Wege.» Der Tantrismus, der aus dem Hinduismus und dem Buddhismus entstanden ist, versteht Sexualität gar als Mittel der Erfahrungs- und Bewusstseinserweiterung, ergänzt Religionswissenschaftler Christoph Uehlinger.