Wie sich Flüchtlinge vor Gericht Asyl erstreiten

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Anwalt erzähltWie sich Flüchtlinge vor Gericht Asyl erstreiten

Ein Anwalt berichtet, wie er syrischen Mandaten hilft, Asyl in der Schweiz zu erlangen. Der Erfolg einer Beschwerde hänge auch von der politischen Gesinnung der Richter ab.

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Wird das neue Asylgesetz angenommen, erhalten die Asylsuchenden in den Bundeszentren vom ersten Tag an einen kostenlosen Rechtsbeistand – die SVP will diese «Gratisanwälte» verhindern und hat das Referendum ergriffen. Schon heute kämpfen Asylsuchende mithilfe von Rechtsvertretern für ihr Bleiberecht. Sind sie mittellos und ist ihr Rekurs nicht chancenlos, haben sie im Beschwerdeverfahren Anspruch auf eine kostenlose Vertretung.

Ein Anwalt, der sein Geld unter anderem mit dem Anfechten von Asylentscheiden verdient, ist der Berner Michael Steiner. Das SP-Mitglied vertritt derzeit vor allem Syrer, die sich noch im Asylprozess befinden oder deren Gesuche abgelehnt wurden. Dabei wird er meist nicht vom Staat bezahlt, sondern von den Asylsuchenden selbst. «Die Annahme, alle Asylsuchenden seien mittellos, ist falsch. Es gibt Flüchtlinge aus wohlhabenden Verhältnissen, zudem beteiligt sich hie und da die Familie in der Heimat an den Kosten.»

Beschwerden ans Bundesverwaltungsgericht

Nur des Geldes wegen nimmt Steiner die Fälle aber nicht an: «Als Anwalt will ich vor Gericht gewinnen.» Darum übernehme er nur Fälle, in denen er eine Chance dafür sehe. Einige Asylsuchende berät Steiner schon vor dem Asylentscheid und gibt ihnen Verhaltenstipps. Er erklärt ihnen, dass sie bei der Befragung den Dolmetscher nicht unterbrechen und ehrlich sein sollten. Er fragt nach Dokumenten und anderen Beweismitteln, zudem richtet er Beschwerden ans Bundesverwaltungsgericht. In zahlreiche Fällen hätten die Richter einen negativen Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) umgestossen.

Ein Beispiel: Im Fall des minderjähriger Syrers A. stufte das Gericht die Schilderungen des Kurden als «überaus substanziiert, detailliert, frei von Widersprüchen und somit als insgesamt glaubhaft» ein, wie es im Urteil heisst. Er hatte erzählt, in der Heimat an einer Demonstration gegen das Regime teilgenommen und während einer Woche inhaftiert worden zu sein. Folterspuren belegte er mit Fotos und einem ärztlichen Zeugnis. Das SEM hatten die Geschichte zuvor als widersprüchlich taxiert und ihm nur eine vorläufige Aufnahme gewährt.

Keine einheitliche Gerichtspraxis

In den Verfahren gebe es oft nicht schwarz oder weiss, sagt Steiner dazu. «Die Frage ist, welchen Aussagen ein Gericht glaubt. Nimmt man das, was Asylsuchende vorbringen, einfach für bare Münze, würde praktisch jeder die Asyl-Anforderungen erfüllen.» Ob eine Beschwerde Erfolg hat, lässt sich laut Steiner im Voraus kaum sagen. «Es werden Rekurse gutgeheissen, wo die Chancen auf den ersten Blick eher klein sind – und umgekehrt.»

Obwohl das Gesetz die Leitlinien vorgibt, habe die politische Gesinnung der Richter einen grossen Einfluss. «Es macht einen Unterschied, ob ein SVP- oder ein SP-Richter den Vorsitz hat.» Dies werde sich auch in Zukunft nicht ändern.

Mandanten aus dem Testzentrum

Wird das neue Asylgesetz angenommen, bekommt Steiner Konkurrenz durch kostenlose Rechtsvertreter in den Bundeszentren, die Asylsuchende vom ersten Tag an beraten. Damit sollen faire Verfahren auch bei verkürzten Fristen garantiert werden (siehe Box).

Trotzdem glaubt Steiner nicht, dass ihm die Arbeit dann ausgehen würde. So vertritt er bereits die Interessen mehrerer Mandanten, die im Testzentrum des Bundes in Zürich einen negativen Asylentscheid erhalten haben und nun dagegen vorgehen. Zudem würden auch künftig längst nicht alle Fälle im beschleunigten Verfahren entschieden. «Gerade bei den komplexeren Fällen, die auf die Kantone verteilt werden, bleiben externe Anwälte gefragt.»

Gleiche Chancen für alle

Das sieht auch Asylrechtsexperte Alberto Achermann so, der an der Evaluation der Testzentren beteiligt war: «Wie viele Aufträge freie Asylanwälte inskünftig erhalten, hängt auch mit dem neuen Gesetz vor allem von der Zahl der abgewiesenen Asylgesuche ab.»

In der Revision sieht er Vorteile: «Wegen der kürzeren Verfahren dürfte die Zahl der Rekurse in den Zentren eher sinken. So kommt man zum Beispiel aufgrund kürzerer Verfahren nicht auf die Idee zu versuchen, das Aufenthaltsrecht über Heirat zu erlangen.» Verbessert werde aber die Chancengleichheit: «Heute gibt es eine Zweiklassengesellschaft: Einige können sich schon vor dem Entscheid eine Beratung leisten, was ihre Chancen auf Asyl erhöht.» Mit der kostenlosen Beratung für alle vom ersten Tag an werde das Gefälle kleiner.

Umstrittene «Gratisanwälte»

Mit der Asylreform, die am 5. Juni vors Volk kommt, sollen die Verfahren beschleunigt werden. Als Ausgleich für kürzere Rekursfristen haben Asylsuchende in den Bundeszentren Anspruch auf eine kostenlose Rechtsvertretung, die mit einer Pauschale von 1361 Franken entlöhnt wird. Die SVP kritisiert diese «Gratisanwälte» scharf und warnt vor einer Rekursflut. Asylsuchende können ausserdem externe Anwälte engagieren, wie dies mehrere abgewiesene Asylsuchenden aus dem Testbetrieb bereits getan haben.

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