Regionale Wahlen«Bin links, sollte aber SVP wählen»
Wer für die Regierungsratswahlen im Kanton St. Gallen die Wahlhilfe Smartvote ausfüllt, kommt immer auf dieselbe Wahlempfehlung, egal welch politischer Couleur er ist.

Fredy Fässler Sekunden nach der Wahl in den Regierungsrat im April 2012. Daneben SP-Regierungsrätin Heidi Hanselmann.
Keystone/Regina KuehneGrund dafür ist eine merkwürdige Auslegung des Kollegialitätsprinzips. Die beiden St. Galler SP-Regierungsräte Heidi Hanselmann und Fredy Fässler verzichteten darauf, den Fragebogen auszufüllen. Laut Erklärung auf der Smartevote-Website würde die «Beantwortung einiger Smartvote-Fragen zu einer Verletzung des Kollegialitätsprinzips führen».
Die Folge: Da sich neun Kandidierende für die sieben Sitze beworben haben, aber nur sieben den Fragebogen ausgefüllt haben, ergibt die Wahlempfehlung als Resultat immer dieselben sieben Männer an.
Verwirrte Wähler
Das ist auch Leser-Reporter Andreas aufgefallen: «Ich bin zwar links, aber bei der Smartvote-Wahlempfehlung wird mir empfohlen, ich solle SVP wählen.» Das habe ihn erst verwirrt, aber dann habe er die Erklärung der SP-Regierungsräte gelesen. Dass Politiker nicht öffentlich zu ihren Meinungen stehen, findet der 35-Jährige «ungewöhnlich». Er habe aber trotzdem die SP-Regierungsräte gewählt und nicht den SVP-Kandidaten. «Man wählt ja Köpfe, nicht gleich eine Kollegialbehörde mit kollektiver Meinung.» Dennoch hinterlasse das Verhalten der SP-Regierungsräte ein komisches Gefühl.
Auch bei der SP des Kantons St. Gallen hält sich die Begeisterung über das Nichtausfüllen des Fragebogens in engen Grenzen: «Das ist gewiss nicht in unserem Sinne», so Guido Berlinger-Bolt, politischer Sekretär der SP im Kanton St. Gallen. Aber das Kollegialitätsprinzip sei für die Mitglieder der St.Galler Regierung eben bindend.
Die Entscheidung hätten die beiden Regierungsräte der SP frei getroffen, lässt Staatssekretär Canisius Braun ausrichten. Es stehe kein Regierungsbeschluss dahinter.
Im Thurgau noch schlimmer
Auch im Kanton Thurgau finden am Wochenende Regierungsratswahlen statt. Und auch im Thurgau haben nicht alle Kandidaten den Fragebogen von Smartvote ausgefüllt. Alle bisherigen Regierungsräte haben darauf verzichtet: «Die amtierenden Regierungsratsmitglieder Carmen Haag (CVP), Monika Knill-Kradolfer (SVP), Cornelia Komposch (SP) und Jakob Stark (SVP) haben auf die Beantwortung des smartvote-Fragebogens verzichtet, da aus ihrer Sicht die Beantwortung einiger Smartvote-Fragen zu einer Verletzung des Kollegialitätsprinzips führen könnte. Die amtierenden Regierungsratsmitglieder erscheinen deshalb nicht in der Smartvote-Wahlempfehlung», lassen sie auf Smartvote.ch verlauten.
Absurde Entscheidung
«Dass Kandidierende für Regierungen den Fragebogen nicht ausfüllen, kommt eher selten vor», so Daniel Schwarz vom Verein Politools, welcher Smartvote betreibt. Er erinnert sich an zwei Fälle in den Kantonen Basel Stadt und Zug. Schwarz kann die Argumentation nicht nachvollziehen: «Die Wähler möchten doch wissen, wofür ein Kandidat steht und wofür er sich einsetzen wird.» Die mündigen Bürger würden schon verstehen, dass sich die Politiker nach einer Wahl in die Kollegialregierung einfügen müssen und sich nicht mehr zu allem frei äussern können. «Dass das Kollegialitätsprinzip aber selbst im Wahlkampf die Meinungsäusserung verhindert, ist absurd, aber letztlich die Entscheidung der Politiker.»
Dieses Wochenende wird im Kanton St. Gallen der Regierungs- sowie der Kantonsrat gewählt. Im Kanton Thurgau finden Regierungsratswahlen statt.