«Vielleicht sollte sie nicht in fremde Hände geraten»

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Tote Jasmina (2)«Vielleicht sollte sie nicht in fremde Hände geraten»

Warum musste die zweijährige Jasmina sterben? Der forensische Psychiater Josef Sachs spricht über die möglichen Motive der verdächtigen Eltern.

lüs
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Die Polizei entdeckte die Leiche von Jasmina (1) am 4. August 2015 im Keller eines Hauses in Staad SG.
Die Eltern Jessica T. und Hanspeter H. werden verdächtigt, das Mädchen getötet zu haben. Sie wurden verhaftet.
Laut den Nachbarn sah man die beiden nicht oft im Quartier.
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Die Polizei entdeckte die Leiche von Jasmina (1) am 4. August 2015 im Keller eines Hauses in Staad SG.

Herr Sachs, die Polizei verdächtigt beide Eltern, ihre zweijährige Tochter Jasmina getötet zu haben. Ist es denkbar, dass sie die Tat gemeinsam begangen haben?

Ja, solche Fälle gibt es. Wenn nur die Mutter oder nur der Vater die Tat begangen hat, besteht noch die Möglichkeit, dass der andere Elternteil Mitwisser war – es kommt immer wieder vor, dass der Partner gedeckt wird, aus einem gewissen Loyalitätsgefühl heraus, das aus der Beziehung ensteht. Möglich ist aber auch, dass der an der Tat unbeteiligte Elternteil gar nichts vom Tod des Kindes wusste.

Die Mutter von Jasmina hat drei weitere Kinder von zwei anderen Männern, keines von diesen lebte bei ihr. Gibt dies einen Hinweis auf ein mögliches Motiv?

Falls die Mutter befürchten musste, dass ihr auch noch das jüngste Kind weggenommen wird, könnte es sein, dass sie oder beide Eltern dachten, es sei besser, das Kind sei tot als in fremden Händen. Das ist eines der möglichen Motive. Doch zur Tat könnte auch eine psychische Erkrankung der Mutter oder des Vaters geführt haben – vielleicht war eine solche der Grund dafür, dass die anderen Kinder nicht bei ihnen leben durften. Denkbar ist auch, dass ein erweiterter Suizid geplant war, der oder die Täterin dann aber plötzlich davor zurückschreckte, nach dem Kind auch sich selber zu töten. Vielleicht war der Tod dieses Kindes aber auch gar nicht gewollt.

Was könnte in diesem Fall passiert sein?

Vielleicht geschah es unbeabsichtigt bei einem Gewaltausbruch, der aus mangelnder Impulskontrolle heraus erfolgte, wie es gerade bei psychischen Problemen vorkommen kann. Oder die Eltern waren so überfordert, dass das Kind an Unterernährung oder schlechter Betreuung starb. Möglicherweise kam das Kind auch bei einem Unfall ums Leben.

Bekannte der Familie sagen, die Eltern hätten Probleme mit Drogen.

Drogenmissbrauch kann unterschiedliche Auswirkungen haben: Oft führt er dazu, dass man die Kinder vernachlässigt. Aber Drogenkonsum kann auch bewirken, dass man im Rausch oder Wahn die Kontrolle verliert und gewalttätig wird.

Die Leiche des Kindes war im Keller versteckt. Was kann man daraus schliessen?

Dass die Leiche nach einem Tötungsdelikt versteckt wird, ist generell ein häufiges Phänomen, besonders bei Kindstötungen. Denn so etwas passiert meist im häuslichen Umfeld und wird oft nur von den Eltern bemerkt. Übrigens kommt es durchaus auch nach tödlichen Unfällen vor. Das Motiv, die Leiche zu verbergen, liegt auf der Hand: So will man verhindern, dass die Tat bekannt wird, dass man mit seiner Schuld und der Strafe konfrontiert wird. Zudem kann es wohl auch helfen, die Tat zu verdrängen, auch wenn man im Innern natürlich weiss, dass es passiert ist.

Josef Sachs ist Chefarzt Forensik bei den Psychiatrischen Diensten Aargau.

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