«Wie in einem Entwicklungsland»

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Richterwahl im Rheintal«Wie in einem Entwicklungsland»

Thomas Müller, SVP-Nationalrat und Stapi von Rorschach, ärgert sich, dass rund 20 Anwälte ihre Kollegin via Inserat für die Wahl zur Richterin empfehlen. Betroffene sehen darin kein Problem.

jeb
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Gut zwanzig Rheintaler Anwälte sichern über dieses Inserat ihrer Anwaltskollegin ihre Unterstützung zu.

Gut zwanzig Rheintaler Anwälte sichern über dieses Inserat ihrer Anwaltskollegin ihre Unterstützung zu.

«Dass Anwälte in einem Inserat für die Richterin werben, die später über ihre Fälle entscheidet, finde ich ein starkes Stück. Das kennt man sonst nur aus Entwicklungsländern», sagt Thomas Müller, SVP-Nationalrat, Stadtpräsident von Rorschach und selber Anwalt. «Die Anwälte im Inserat stehen der CVP, der FDP und der SP nahe, teilweise sind sie sogar Mitglieder dieser Parteien.»

Er erinnere sich, dass er vor etwa 25 Jahren vom St. Galler Anwaltsverband gemassregelt worden war, weil er für ein Cupspiel des FC Rorschach einen Matchball für 200 Franken gespendet hatte. Als einer der 50 Spender wurde Müller im Match-Heft aufgeführt, was der Verband als Verstoss gegen das Werbeverbot für Anwälte betrachtete.

Verband sieht kein Problem

Dieses Verbot besteht heute nicht mehr. Der St. Galler Anwaltsverband sieht im Inserat der Anwälte keinen Verstoss.

«Ich sehe kein Problem darin, wenn Anwälte eine andere Anwältin in einem Inserat zur Wahl in ein Gericht unterstützen. Schliesslich sind die Anwälte auch Stimmbürger», sagt Nicole Zürcher Fausch, Geschäftsführerin des St. Galler Anwaltsverbands.

Auch dass die Kandidatin Catherine Rüst, würde sie denn gewählt werden, danach die Fälle der sie unterstützenden Kollegen als Richterin beurteilen muss, sieht sie nicht als problematisch. «Juristen kennen sich sowieso untereinander. Sei es vom Studium, einer Weiterbildung oder von früheren Arbeitsstellen.» Nur weil man sich kenne, bedeute das nicht, dass eine Richterin oder ein Richter nicht unabhängig urteilen werde. «Wäre das so, müssten Richter ständig in den Ausstand treten.»

Ausstand bei grosser Feindschaft, Freundschaft oder Verwandtschaft

Auch Alexander Bartl, einer der aufgeführten Anwälte im Inserat, sieht in seiner Unterstützung kein Problem: «Richter müssen bei ihren Entscheiden allein nach dem Gesetz urteilen und dürfen niemanden bevorteilen.» Wenn ein Richter seinem Amt gewachsen ist, dann kann er auch Fälle beurteilen, bei denen Anwälte am Werk sind, die der Richter kennt.

Kandidatin Catherine Rüst-Sinz sieht die Unterstützung der Kollegen nicht als Problem: «Die Unterstützung besteht höchstens darin, dass die Kollegen mir ihre Stimme geben werden.» Das würden wohl auch andere tun. «Als Richterin beurteilt man aufgrund von rechtlichen Grundlagen», sagt Rüst-Sinz. «Ich bin neutral und unabhängig.» In den Ausstand treten müssen Richter nur, wenn grosse Feindschaft oder grosse Freundschaft zu jemandem besteht, dessen Fall man beurteilen muss. Ebenso, wenn ein verwandtschaftliches Verhältnis besteht.

Vertrauen in Wähler

Daniel Kaiser (SVP) kandidiert ebenfalls für das Richteramt. Er möchte sich zum Inserat nicht konkret äussern. Nur so viel: «Die oberste Maxime in der Rechtssprechung ist die Unabhängigkeit. Diese darf nicht durch allfällige Interessen von Einzelpersonen in Frage gestellt werden.» Er vertraue darauf, dass die Bevölkerung bei der Wahl am 24. September die richtige Wahl treffen und einen unabhängigen Richter beziehungsweise eine unabhängige Richterin wählen werde.

Kaiser betreibt eine Anwaltskanzlei in Oberriet SG. Bei einer Wahl zum teilamtlichen Richter würde er die Kanzlei weiterführen. «Das ist unproblematisch. Laut Gesetz darf ich, sollte ich gewählt werden, als Anwalt keine Fälle mehr vor dem Kreisgericht Rheintal vertreten.» Daran würde er sich selbstverständlich halten.

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