Einsturzgefahr mit amtlicher Bewilligung

Aktualisiert

Open-Air-BühnenEinsturzgefahr mit amtlicher Bewilligung

Das «Falk Lorelei»-Openair ist an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Die Behörden kontrollieren zwar Lebensmittel und Brandgefahr, aber nicht, ob die Bühne hält. Ein Systemfehler.

Antonio Fumagalli
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Antonio Fumagalli

Ein Glück, dass bei diesem Bühneneinsturz nur Sachschaden entstand. (Quelle: Leser-Reporter)

Der Kampf gegen den Sturm war auswegslos: Die Veranstalter des «Falk Lorelei»-Openairs in Siebnen SZ versuchten am Freitagabend noch, das Dach der rund viereinhalb Tonnen schweren Bühne zu lösen, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten – zu spät. Mit voller Wucht prallte die ganze Konstruktion auf ein angrenzendes Haus und begrub unter anderem die Toitoi-WCs unter sich.

Die rund 200 Personen, die sich zum Unfallzeitpunkt in der Nähe befanden, kamen mit dem Schrecken davon. «Die Veranstalter hatten ein Riesenglück», sagt Adrian Oberlin-Oetiker, Präsident der zuständigen Gemeinde Wangen, «man mag sich nicht ausmalen, was hätte passieren können, wenn die Konzerte schon im Gange gewesen wären.»

Wie zahlreiche Video-Beispiele aus dem Ausland zeigen (siehe unten), kann ein Sturm an Openair-Veranstaltungen dramatische Folgen haben. Auch die Schweiz hatte erst kürzlich eine Festival-Tragödie zu beklagen, am Openair Frauenfeld starb eine junge Frau beim Einsturz einer Bühne.

«Wind einfach zu stark»

Was ist in Siebnen schiefgelaufen? «Wir haben alle Auflagen der Behörden eingehalten. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass wir etwas falsch gemacht hätten», sagt OK-Präsident Stefan Cadrobbi. Die Windgeschwindigkeiten seien mit rund 130 Kilometern pro Stunde einfach so unerwartet hoch gewesen, dass die «tadellos ausgeführte Bühnenkonstruktion» keine Chance gehabt habe.

In der Tat war die Gemeinde Wangen nicht verpflichtet, den Aufbau der Bühne zu überprüfen. «Für die Sicherheit sind die Organisatoren verantwortlich», sagt Präsident Oberlin-Oetiker. Von Gesetzes wegen müsse man nur die Brandschutz- und Lebensmittelbestimmungen kontrollieren - und dies habe man auch getan.

«Zwischenfall gibt zu denken»

Der Gemeindepräsident erkennt aber einen «Fehler im System». «Dieser Zwischenfall gibt mir schon zu denken. Wir werden das Gespräch mit dem Kanton suchen», so Oberlin-Oetiker. Ein möglicher Lösungsansatz sei zum Beispiel, dass bei Veranstaltungen, deren erwarteter Publikumsaufmarsch eine gewisse Grösse überschreite, zwingend ein Behördenvertreter die Sicherheitsbestimmungen überprüfen müsse.

Auf Seiten der Organisatoren ist man froh, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Dafür klafft nun ein grosses Loch in der Kasse, laut eigener Aussage bewegt sich der Sachschaden im fünf- bis sechsstelligen Bereich. Ans Aufhören denken sie aber nicht, das «Falk Lorelei»-Festival soll auch nächstes Jahr stattfinden. OK-Präsident Cadrobbi: «Weil wir nicht genügend versichert sind, sind wir nun auf Spenden angewiesen.»

Sehen Sie hier ein paar eindrückliche Beispiel von Dramen, die sich an Openairs abgespielt haben:

Kurz vor dem Auftritt des New-Country-Duos Sugarland im August 2011 stürzt die Festival-Bühne auf die Country-Fans in Indianapolis (USA). Vier Menschen kommen ums Leben, vierzig werden verletzt.

Beim Bluesfest im kanadischen Ottawa bricht im Juli 2011 während des Auftritts der US-Band «Cheap Trick» die Bühne durch ein Unwetter zusammen. Fünf Zuschauer werden verletzt, einer von ihnen schwer.

Hier sehen Sie die einstürzende Bühne aus einer anderen Perspektive:

Am 1. August 2009 lässt ein Sturm die Hauptbühne des «Big Valley Jamboree»-Festival in Kanada kollabieren. Eine Person wird getötet, mindestens 75 werden verletzt. Das Video ist ohne Ton.

Beim Rockfestival Pukkelpop 2011 in Belgien bringt ein heftiges Gewitter Bühnen, Zelte, riesige Leinwände, Metallgerüste sowie Getränke- und Imbissstände zum Einsturz. Fünf Menschen sterben, die Veranstalter brechen das Festival ab. Im Video sehen Sie die Entwicklung des Sturms.

Weshalb kam die Polizei nicht vorbei?

Der Sicherheitsverantwortliche des «Falk Lorelei»-Openairs – ein Polizist aus dem Kanton Zürich – nahm nach dem Einsturz der Bühne umgehend Kontakt mit der Kantonspolizei Schwyz auf. Dort entschied man sich aufgrund des «ausführlichen Telefonats», nicht nach Siebnen auszurücken: «Da keine strafbare Handlung vorlag, war ein Augenschein vor Ort nicht zwingend», erklärt Mediensprecher Florian Grossmann auf Anfrage.

Hätte man gleich entschieden, wenn der Anrufer nicht selbst Polizist gewesen wäre? «Wir hatten berechtigte Gründe, ihm Glauben zu schenken», so Grossmann. Auch als die Verantwortlichen entschieden, das Festival am kommenden Tag auf einer verkleinerten, improvisierten Bühne weiterzuführen, sah die Polizei keinen Anlass, einzugreifen. «Die Sicherheit eines solchen Events liegt in der Verantwortung der Organisatoren», so Mediensprecher Grossmann. (fum)

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