«Wenn wir unsicher sind, klagen wir an»

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St. Galler Staatsanwaltschaft«Wenn wir unsicher sind, klagen wir an»

Ein St. Galler Staatsanwalt hat eine Frau verhaften lassen und gebüsst, allein aufgrund einer unvollständigen DNA-Spur. Hat er seine Hausaufgaben nicht gemacht?

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Eine 55-Jährige wurde diesen Frühling in Genf verhaftet und landete danach in St. Gallen in Untersuchungshaft. Grund für die Verhaftung: Bei Einbrüchen am 29. Juni 2016 in den St. Galler Ortschaften Arnegg, Engelburg und Gossau waren inkomplette DNA-Spuren gefunden worden. Diese passten zur verhafteten Frau – aber auch zu mehreren anderen Personen in Europa, wie ihr Anwalt vergangenen Mittwoch vor dem Kreisgericht St. Gallen festhielt.

Das wurde vom zuständigen Staatsanwalt jedoch nicht berücksichtigt, genau so wenig wie ihr Alibi, wie das «St. Galler Tagblatt» am Dienstag schreibt. An besagtem 29. Juni habe die Frau nämlich für ihre schwerkranke Mutter Medikamente in einer Genfer Apotheke abgeholt. Das belege der Kassenbon, der mit Datum und Uhrzeit versehen sei. Zudem habe sie später an diesem Tag am Bahnhof eine Freundin ihrer Mutter verabschiedet, wofür es Zeugen gebe.

Nichts von Kassenbon gewusst

Wäre es nach dem zuständigen Staatsanwalt gegangen, hätte die Frau eine bedingte Geldstrafe und eine Busse kassiert. Der Richter sprach sie jedoch frei: Für ihn war klar, dass die Frau nicht für die Einbrüche verantwortlich sein könne. Der Staatsanwalt habe sich nur auf die inkomplette DNA-Spur verlassen und nichts unternommen, um Hinweise zur Entlastung der Frau zu finden.

«Der Kassenbon wurde erst im November 2017 bei Gericht eingereicht, also acht Monate nach unserer Anklageerhebung», sagt nun aber Roman Dobler, Sprecher der St. Galler Staatsanwaltschaft. Hätte man davon gewusst, hätte man das überprüft. Aber nach Anklageerhebung liege die Verfahrensleitung beim zuständigen Gericht, da könne die Staatsanwaltschaft, selbst wenn sie wollte, nichts mehr nachprüfen. «Bei der Einvernahme hat die Frau bloss gesagt, sie sei zum Tatzeitpunkt zu Hause gewesen. Wir hatten also einerseits eine DNA-Spur der Beschuldigten und andererseits keine Angaben zu einem überprüfbaren Alibi», so Dobler. Laut dem Sprecher reichen auch inkomplette DNA-Spuren für eine Anklage.

Kein Einzelfall

Bereits bei einem Fall 2015 hatte das Vorgehen der St. Galler Staatsanwaltschaft für Unverständnis gesorgt. Damals wurde ein Wirt angeklagt, weil er angeblich Kinderpornos aus dem Internet heruntergeladen hatte. Vor Gericht zeigte sich, dass offenbar jemand die WLAN-Verbindung des Restaurants missbrauchte. Was dem Staatsanwalt hätte auffallen können, denn meist wurde das Material um die Mittagszeit heruntergeladen, also genau dann, wenn der Wirt in der Küche beschäftigt war. Der Mann wurde freigesprochen.

«Wenn wir unsicher sind, klagen wir an», so Dobler. Die Staatsanwaltschaft handle im Grundsatz in Dubio pro duriore (Im Zweifel gegen den Beschuldigten). Dies sei gesetzlich so vorgesehen. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden. «Zu Beginn und auch während einer Untersuchung wissen wir nicht, wohin die Untersuchung führt bzw. wie das Gericht schliesslich entscheiden wird. Wir können die Zukunft nicht voraussagen», so Dobler. Deshalb wird auch angeklagt, wenn nur eine geringe Chance besteht, dass es zur einer Verurteilung kommt.

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