Hanf-Razzia in Malters LU«Polizei hat den Suizid indirekt verursacht»
Anwälte und Experten erheben in der «Rundschau» Vorwürfe gegen die Luzerner Polizei: Diese sei beim Einsatz in Malters falsch vorgegangen.
Das Drama in Malters begann mit der Verhaftung des Sohnes der 65-jährigen Frau. Die Polizei beschuldigte ihn des Handels mit Hanf und wollte am 8. März die Indoor-Plantage in seiner Wohnung ausheben. Doch im Haus war die 65-jährige Mutter des Verdächtigen: Diese verweigerte den Polizisten den Zutritt und drohte, sich zu erschiessen, wie die «Rundschau» mitteilt. Zudem schoss die Frau einmal in der Wohnung und danach aus dem Fenster. Die Sondereinheit Luchs fuhr auf und evakuierte die nähere Umgebung. Es begann eine 17-stündige Belagerung.
Während der Belagerung habe der Polizeioffizier in Kontakt mit Flurin von Planta, dem Anwalt der Frau, gestanden, so die «Rundschau» weiter. Dieser habe die Polizei am Morgen des 9. März über die schwere psychische Erkrankung seiner Mandantin informiert. Per Telefon habe von Planta die Frau zur Aufgabe zu bewegen versucht.
Die Audiomitschnitte dieses Gesprächs liegen der «Rundschau» vor, wie diese am Mittwoch mitteilte. Darauf zu hören sei, wie die Frau auch gegenüber ihrem Anwalt mit Suizid drohe. Sie fühle sich vom massiven Polizeiaufgebot in die Enge getrieben und habe Angst vor einer Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Sie bat um mehr Zeit und wollte mit ihrem inhaftierten Sohn sprechen, der gleichzeitig auch ihr Vormund war. Der Kontakt zwischen von Planta und dem Einsatzleiter der Polizei sei dann abgebrochen. Am Mittag stürmte die Sondereinheit «Luchs» die Wohnung und fand die Frau und eine Katze erschossen auf.
Frau litt an paranoider Schizophrenie
Der Sohn gewährte der «Rundschau» Einblick in die Krankenakten seiner Mutter: In den 90er-Jahren diagnostizierten Ärzte bei ihr paranoide Schizophrenie. Die Frau wurde entmündigt und zweimal in die Psychiatrie eingeliefert. Aus den Akten gehe hervor, das sie vor allem für sich selbst eine Gefahr darstellte. Laut von Planta hatte die Polizei spätestens zwei Stunden vor der Erstürmung der Wohnung Kenntnis über den gesundheitlichen Zustand der Frau.
Dietmar Heubrock, Professor für Rechtspsychologie und Experte für polizeiliche Verhandlungen mit Suizidgefährdeten, ist der Meinung, die Polizei hätte die Angaben des Anwalts unbedingt in die Lagebeurteilung einbeziehen müssen. «Sie muss vermeiden, dass sich die Person weiter in die Ecke gedrängt fühlt. Wenn während einer Barrikaden-Situation die Polizei mit Sondersignal und Blaulicht auffährt, wird das dieses Angstgefühl dieser Frau nur verstärken.»
Die Frau soll für Polizisten gefährlich gewesen sein
An einer Pressekonferenz nach dem Einsatz begründete der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann den Zugriff mit der Gefahr für die Polizisten, die von der Frau ausgegangen sei. Sie sei uneinsichtig gewesen, sei wiederholt ausgewichen und habe immer wieder den Kontakt abgebrochen. Heubrock in der «Rundschau»: «Die Polizei hat die Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Bereinigung der Lage nicht genutzt. Vor allem auf die konkrete Situation der Frau in ihrem Wahn, die sich von allen Seiten bedroht fühlte, ist sie nicht genug intensiv, nachhaltig und geduldig genug eingegangen. Aus dem, was mir bekannt ist, war der Zugriff zu dieser Zeit nicht vertretbar.»
Gestern wurde bekannt, dass der Anwalt des Sohnes der Toten den Luzerner Polizeikommandanten Adi Achermann angezeigt hat. Grund: Fahrlässige Tötung und Amtsmissbrauch. Zur «Rundschau» sagt der Anwalt Oskar Gysler: «Durch ihr Handeln hat die Polizei den Suizid indirekt verursacht.»
Der ganze Bericht heute Abend in der «Rundschau», SRF 1, um 20.55 Uhr.