«Sozialamt sagte, ich solle zu Pfarrer Sieber gehen»

Aktualisiert

Langnau am Albis«Sozialamt sagte, ich solle zu Pfarrer Sieber gehen»

Fabian Wietlisbach (28) aus Langnau ZH bräuchte sofort Geld vom Sozialamt. So einfach ist das aber nicht. Weil er den Papierkrieg nicht bewältigen kann, muss er seit Tagen hungern.

von
som
Fabian Wietlisbach vor dem Gemeindehaus Langnau am Albis - hier wollte er beim Sozialamt Soforthilfe beantragen.
Man habe ihm aber lediglich ein Anmeldeformular in die Hände gedrückt, so Wietlisbach. Er sollte unzählige Formulare liefern: «Sie sagten mir, dass ich etwa einen gebührenpflichtigen Betreibungsauszug bräuchte.» Nur wisse er nicht, wie er diesen bezahlen solle: «Ich kann mir nicht mal eine Briefmarke leisten.»
Auch habe man ihm nicht sagen können, wann er die «Soforthilfe» bekomme: «Als ich sagte, dass ich Hunger habe, gab man mir nur den Tipp, per Autostopp ins nächste Spital oder zu den Pfarrer-Sieber-Hilfswerken zu fahren.»
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Fabian Wietlisbach vor dem Gemeindehaus Langnau am Albis - hier wollte er beim Sozialamt Soforthilfe beantragen.

wed

Nach fünf Tagen ohne Essen ging Fabian Wietlisbach aus Langnau am Albis am Montag vor einer Woche zum Arzt. «Ich hatte nur noch Blut im Stuhl», sagt der 28-Jährige. Dieser wies ihn sofort ins Spital ein, wo ihm ein Magengeschwür und eine Mangelernährung diagnostiziert wurde. Etwas aufgepäppelt wurde er am Donnerstag wieder entlassen – seither fragt er sich, wie er die nächsten Tage an Essen kommen soll: «Wenn es so weitergeht, muss ich wohl bald wieder ins Spital.»

Seine Misere begann, als er im November nach einem Burn-out seinen Bürojob verlor. Doch Wietlisbach hatte im Januar bereits eine neue Arbeit in seinem ursprünglichem Beruf als Spengler in Aussicht. Deshalb habe er sich auch nicht bei der regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) angemeldet: «Ich wollte den Monat mit meinem eigenen Geld überbrücken.» Am 1. Januar rutschte Wietlisbach jedoch auf dem Eis aus und brach sich eine Rippe, durch das Herumliegen brach einige Tage später noch eine zweite: «Ich bin deshalb frühestens Mitte Februar wieder arbeitsfähig.»

Niemand fühlte sich zuständig

Weil Wietlisbach bald keinen Rappen mehr im Portemonnaie hatte, ging er am 13. Januar zur RAV. Dort hiess es, für ihn gebe es frühestens in zwei Monaten Geld. «Man gab mir aber einen Anmeldebescheinigung mit und sagte, ich solle damit beim Sozialamt Soforthilfe beantragen.» Bleich und zittrig vor Unterzuckerung schleppte sich Wietlisbach zum Sozialamt, wie er sagt. «Dort drückte man mir erneut ein Anmeldeformular in die Hände.» Er sollte unzählige Formulare liefern: «Sie sagten mir, ich bräuchte etwa einen gebührenpflichtigen Betreibungsauszug», so Wietlisbach. Nur wisse er nicht, wie bezahlen: «Ich kann mir nicht mal eine Briefmarke leisten.» Auch habe man ihm nicht sagen können, wann er die «Soforthilfe» bekomme: «Als ich sagte, dass ich Hunger habe, gab man mir nur den Tipp, per Autostopp ins nächste Spital oder zu den Pfarrer-Sieber-Hilfswerken zu fahren.»

Daraufhin telefonierte sich Wietlisbach durch sämtliche Zürcher Sozialhilfeinstitutionen: «Doch niemand fühlt sich zuständig.» Er habe keine Freunde oder Familienmitglieder, die ihm helfen könnten: «Sie kommen ebenfalls alle mit wenig Geld über die Runden.» Lediglich die Kirche habe ihm ein paar Migros-Gutscheine gegeben: «Doch auch diese Hilfe ist begrenzt.» An seine Mietschulden und sonstigen Rechnungen, die sich inzwischen anhäufen, mag er gar nicht denken: «Mein ganzes Leben zahlte ich immer meine Beiträge. Und wenn ich es jetzt mal nötig habe, will mir niemand helfen.»

«Bis jetzt musste bei uns noch niemand verhungern»

Langnaus Sozialvorsteher Lorenz Rey (SP) kann zwar aus Datenschutzgründen zum Fall keine genaue Auskunft geben. Er weist den Vorwurf zurück, dass Hilfesuchende derart abgespiesen werden: «Wir versuchen jedem unbürokratisch zu helfen.» Geld einfach so rausgeben, könne man aber nicht: «Wir haben den gesetzlichen Auftrag, die Finanzsituation des Klienten zu prüfen.»

Dazu gehören etwa Lohn- und Bankauszüge sowie der Mietvertrag: «Diese Papiere hat normalerweise jeder zu Hause.» Der Betreibungsregisterauszug sei aber nicht unbedingt nötig, was im Antragsformular auch so vermerkt sei. Sei die Gemeinde im Besitz der Unterlagen, würden im Notfall innerhalb von einem Tag Gelder ausbezahlt.

Andere Sozialhilfebezüger fassen Sammelklage ins Auge

Fredi König, der schon seit acht Jahren Sozialhilfe in Langnau bezieht, seit er seinen Job als Wirtschaftsinformatiker verloren hatte, erlebte das Amt jedoch alles andere als kooperativ: «Ich wurde in der Zeit schlecht unterstützt, oft unfreundlich abgespiesen und falsch informiert.» So etwa über Dokumente, die er liefern sollte, wie Betreibungsauszüge.

Auch jede Bemühung, die er unternommen habe, sich wieder einzugliedern, sei abgelehnt worden. König sind laut eigenen Angaben sieben weitere Personen bekannt, die Ähnliches erlebt haben sollen: «Es ist fast unmöglich, sich gegen die willkürlichen Entscheidungen des Sozialamtes zu wehren, da man dafür einen Anwalt bezahlen müsste.» Er hofft nun, dass der neue Gemeinderat die Strukturen im Sozialwesen ändert: «Sonst fassen wir eine Sammelklage ins Auge.»

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