«Ich finde den Strichplatz manchmal bizarr»

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STRICHPLATZ-FAZIT«Ich finde den Strichplatz manchmal bizarr»

Michael Herzig vom Sozialdepartement zieht ein erstes Fazit zur Einführung des Strichplatzes. Trotz vielen Kritikern ist man bei der Stadt nach zwei Monaten zufrieden.

von
wed

Herr Herzig*, seit rund zwei Monaten ist der Strichplatz nun geöffnet und der Sihlquai für Prostituierte geschlossen. Wie sieht Ihr erstes Fazit aus?

Positiv! Der Sihlquai konnte problemlos geschlossen werden und die Mehrheit unserer Klientinnen, den Prostituierten, gefällt es auf dem Strichplatz und sie fühlen sich sicherer. Einige Frauen haben teilweise aber Mühe, dass sie weniger verdienen, weil keine Gruppen auf dem Strichplatz erlaubt sind.

Was sagen Sie zu der Kritik von mehreren Fachstellen, dass die Prostituierten durch diese Massnahmen in die Illegalität gedrängt werden?

Diese Verschiebungsthese halte ich für einen Mythos. Wir haben in der Stadt Zürich keinerlei Verschiebungen in andere Strassenstrichzonen oder gar in die Illegalität festgestellt. Da die Nachfrage des Strassenstrichs auch weiterhin befriedigt werden kann, gibt es kaum Potenzial für ein illegales Angebot.

Freier beschweren sich, dass viel weniger los sei als zuvor. Können Sie das bestätigen?

Ja es ist in der Tat weniger los als vorher. Im Sihlquai hatten wir durchschnittlich 32 Frauen pro Nacht und nun sind es noch rund 14.

Wie erklären Sie sich diese Abnahme von über 50 Prozent?

Daraus, dass die Ausgehszene nicht mehr auf die Freierszene trifft. Der Sihlquai ist nur wenige Minuten von der Langstrasse und dem Escher-Wyss-Platz entfernt, deshalb gab es auch viele Gelegenheitsfreier, die nach dem Ausgang vorbeikamen – diese gibt es nun nicht mehr. Zudem waren es am Sihlquai gegen Ende fast nur noch Frauen aus Ungarn, die eine 90-tägige Aufenthaltsbewilligung hatten und eine straff organisierte Zuhältergruppe hinter sich hatten. Diese sind nun verschwunden – vermutlich in andere EU-Städte, wo man ähnlich viel verdienen kann wie in Zürich, aber weniger Regeln hat.

Welche Frauen findet man denn nun auf dem Strichplatz, wenn ein Grossteil der ehemaligen Sihlquai-Prostituierten weg ist?

Die Nationalitäten der Frauen sind nun viel durchmischter. Viele wurden in den letzten Jahren von anderen Zuhältern verscheucht und kommen nun zurück, weil sie dieser Gefahr auf dem Strichplatz nicht mehr ausgesetzt sind. Es ist auch deutlich erkennbar, dass es nun mehr Frauen mit längeren und stabileren Aufenthaltsverhältnissen hat.

Haben sich andere Städte bereits über die Erfahrungen erkundigt?

Ja, wir hatten zwei, drei Anfragen. Unter anderem haben wir mit der Stadt Lausanne gesprochen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es Strichplätze in anderen Schweizer Städte braucht, weil es nirgends derart grosse Probleme gibt, wie wir beim Sihlquai hatten. Ich will auch überhaupt kein Missionar für Strichplätze werden – ich finde es manchmal selber eine bizarre Angelegenheit, wenn ich abends auf dem Strichplatz stehe.

*Michael Herzig ist Vizedirektor der Sozialen Einrichtungen und Betriebe der Stadt Zürich.

Wie gut läuft der Strichplatz wirklich? (Video: Keystone)

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