Imam für zehn Jahre des Landes verwiesen

Aktualisiert

An'Nur-ProzessImam für zehn Jahre des Landes verwiesen

Das Urteil gegen den Imam der An'Nur-Moschee ist gefallen: Er erhält eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten und muss die Schweiz verlassen.

von
Jennifer Furer
Der beschuldigte Äthiopier musste sich am 23. November 2017 vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten.
Der ehemalige Imam der An'Nur-Moschee wird am 23. November 2017 mit einem weissen Lieferwagen vom Gefängnis Limmattal zum Bezirksgericht Winterthur gebracht.
Vor dem Prozess markierte die Kantonspolizei Zürich mit mehreren Hunden starke Präsenz.
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Der beschuldigte Äthiopier musste sich am 23. November 2017 vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten.

Keystone/Walter Bieri

Das Urteil im Prozess um den ehemaligen Imam der Winterthurer An'Nur-Moschee, Scheich Abdurrahman, ist gefallen. Das Bezirksgericht Winterthur hat ihn der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen und Gewalttätigkeit, der mehrfachen Gewaltdarstellungen und Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung schuldig gesprochen. Dafür erhält er eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Zudem wird er für zehn Jahre des Landes verwiesen.

Insgesamt 386 Tage hat der Angeklagte in Untersuchungshaft verbracht. Das Gericht hat nun verfügt, dass er aus der Sicherheitshaft entlassen und dem Migrationsamt zugeführt wird.

Staatsanwältin Susanne Steinhauser spricht von einem Präzendenzurteil. (Video: jen/tür)

«Gewaltdarstellungen ohne schützwürdigen Wert.»

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 25-jährige während der Freitagspredigt am 21. Oktober 2016 in seiner «imam-artigen» Tätigkeit in der An'Nur-Moschee dazu aufgerufen hat, Menschen zu töten und zu verbrennen. Dass der Mann seine Predigt nicht verstanden hätte und nicht gut arabisch spreche, sei «an den Haaren herbeigezogen.» Immerhin habe er selber gesagt, dass er die Sprache zu 80 Prozent verstehe. «Da versteht man Wörter wie töten und verbrennen», sagte Gerichts-Vizepräsidentin Corinne Schibli. Der Beschuldigte habe die Textstellen der Predigt unkommentiert wiedergegeben und sich somit nicht davon distanziert.

Auch wegen der Weiterverbreitung eines Hinrichtungsvideos sowie die Abspeicherung von Bildern mit abgetrennten Händen, Köpfen und eines Torsos wurde der 25-Jährige verurteilt. Schibli sagte bei der Urteilsverkündung: «Es handelt sich ganz klar um Gewaltdarstellungen ohne jeglichen schützwürdigen, kulturellen oder wissenschaftlichen Wert.»

Koranschule besucht

Die Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess waren gross: Spürhunde suchten das Gebäude ab und am Eingang postierten sich Kantonspolizisten. Besucher und Medienvertreter, die an der Verhandlung teilnehmen wollten, mussten durch eine Schleuse.

Zu Beginn des Prozesses befragte die Gerichts-Vizepräsidentin Schibli den Beschuldigten. Er habe acht Jahre die Koranschule in seinem Heimatland besucht. Auf die Frage, ob er also den Koran verstehe, verwies er darauf, dass Arabisch nicht seine Muttersprache sei: «Ich verstehe höchstens 80 Prozent.» Arabisch könne er zwar lesen und schreiben, aber kaum sprechen.

Mit Schlepper in Schweiz gekommen

Aus seinem Heimatland habe er flüchten müssen, weil er sich um sein Leben gefürchtet habe. Er sei unter anderem mit einem Schlepper im April 2016 in die Schweiz gekommen. Dort sei er in Kontakt mit der An'Nur-Moschee gekommen. «Bei einem Essen anlässlich des Ramadans 2016 hat ein somalischer Kollege vorgeschlagen, die Moschee zu besuchen», sagte er vor Gericht.

In der An'Nur-Moschee habe er übernachtet, sagte der Imam, auch, um gleich am Morgengebet teilnehmen zu können. Teilweise habe er vorgebetet, weil er an einer Lymphknotentuberkulose, einer infektiösen Krankheit, leide, sei dies aber nicht immer möglich gewesen.

Zu Mord aufgerufen?

Am 21. Oktober 2016 soll er, so die Anklage, vor 60 Anwesenden dazu aufgerufen, Muslime, die nicht in der Gemeinschaft beten, zu verstossen, zu meiden und zu verleumden, bis sie wieder zur Gemeinschaft zurückkehren. Sollten sie dies nicht tun und weiterhin das Gebet nicht mit Muslimen oder zu Hause verrichten, müssten sie getötet werden.

Zu dieser Predigt wollte der Imam sich vor Gericht nicht äussern – er verwies lediglich auf seine früheren Aussagen gegenüber der Polizei und Staatsanwaltschaft. Nur eines sagte er: «Ich bin nicht strenggläubig.»

600 Franken für 4 Wochen

Weiter bestritt er, als Imam tätig gewesen zu sein. «Ein Imam ist bei der Moschee angestellt, er kann den Koran auswendig, er versteht die Bedeutung, er hat ein abgeschlossenes Theologiestudium – das alles war bei mir nicht der Fall.»

Zur Frage, warum er, wenn er also kein Imam gewesen sei, die Freitagspredigt gehalten habe, wollte er nichts sagen. Er räumte ein, dass er von den Moscheebetreibern 600 Franken für 4 Wochen erhalten habe. «Ich hielt dies aber für ein Geschenk und nicht für einen Lohn für die Tätigkeit als Imam.»

«Mein Mandat verkehrt nicht in radikalen Kreisen»

Auch sein Anwalt, Urs Vögeli, sagte in seinem Plädoyer: «Was mein Mandant in der Predigt gesagt hat, waren Prophetenworte.» Er forderte einen Freispruch. Der Beschuldigte habe lediglich Mohammed zitiert. «Das kann nicht als Aufforderung zu einem Verbrechen angesehen werden.» Zudem käme keiner auf die Idee, jemanden eines Verbrechens zu bezichtigen, wenn er christliche Zitate verwende, die gewaltverharmlosend seien. «Warum sollte das bei Texten islamischen Ursprungs anders sein?» Weiter betonte er: «Mein Mandat verkehrt nicht in radikalen Kreisen und ist auch kein jihadistischer Salafist.»

Anders sah das Staatsanwältin Susanne Steinhauser. Sie führte in ihrem Plädoyer aus, dass der Beschuldigte keinesfalls wenig Arabisch-Kenntnisse habe und es somit nicht zutreffe, dass er seine Predigt nicht verstanden habe, wie er in den Einvernahmen angegeben habe. «Dem widerspricht das Gutachten, das besagt, dass der Beschuldigte das klassische Arabisch sehr gut beherrscht.»

«Gefahr für die Öffentlichkeit»

Er habe wissentlich und willentlich eine Predigt aus zwei Quellen erstellt, wovon eine alles andere als gemässigt angesehen werden kann. Das habe auch der Gutachter bestätigt. «Mit seinen religiösen Ansichten stellt er eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar», sagte Steinhauser. Auch das Umfeld in der die Predigt stattgefunden hat, sei zu berücksichtigen. «Es ist bekannt, dass sich mehrere Jihadistenreisende von dort der Terrormiliz IS anschlossen. Mit seinem Aufruf hat er in Kauf genommen Nährboden für seine Ansichten zu finden.»

Aber nicht nur die Aussagen in der Freitagspredigt warf ihm die Staatsanwaltschaft vor: Imam Abdurrahman soll mit seinem Facebook-Profil ein Hinrichtungsvideo gelikt und weiterempfohlen haben. Auf diesem sei zu sehen, wie fünf in orange Overalls gekleidete Männer in einen Käfig eingesperrt sind. Nach und nach wird dieser in Wasser hinuntergelassen. Laut Anklage zeigt das Video, wie die Männer im Käfig ertrinken und tot aus dem Wasser gezogen werden.

Bilder mit abgetrenntem Korso

Der 25-Jährige habe sich zudem ein Bild besorgt und auf seinem Handy gespeichert, das einen Menschen in Handschellen zeigt, der eine abgetrennte Hand hält und präsentieren muss. Auch dieses Foto habe er auf Facebook geteilt. Bei diesem Bild soll es nicht geblieben sein.

Auf seinem Handy soll der Imam ein Bild gespeichert haben, auf dem ein Mann einen Torso und einen Kopf in den Armen hält. Weiter habe er ein Foto gespeichert, auf dem ein abgetrennter Kopf zu sehen sei, der in einem Topf über einer offenen Feuerstelle liege. Auch dieses Bild habe der 25-Jährige auf Facebook geteilt. Dass er die entsprechenden Bilder gespeichert habe, räumte der Angeklagte ein – warum er dies tat, wollte er nicht sagen.

«Er wollte, dass andere Menschen die Hinrichtungen sehen»

Zu dem Video sagte der Imam, er habe es lediglich auf Facebook gepostet, weil er dazu eine Diskussion habe anregen wollen. Er habe das Video nicht gelikt, sondern nur geshared. Ihn hätten diese Bilder traurig gemacht und mitgenommen, er heisse das Gezeigte keineswegs gut, deshalb habe er das Video auch nicht gelikt. Zu den Fotos von abgetrennten Gliedmassen, die auf seinem Handy waren, wollte er nichts mehr sagen.

Dass er mit dem Videos eine Diskussion habe starten wollen, sah die Staatsanwältin anders: «Er wollte, dass andere Menschen die Hinrichtungen sehen.» Das sei für alle, die das Video auf seinem öffentlich zugänglichen Profil ansehen, sehr eindringlich und mache Angst.

Die Staatsanwaltschaft forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einen Landesverweis für 15 Jahre. Im Zuge einer Razzia am 2. November 2016 wurde der 25-Jährige in der An'Nur-Moschee verhaftet und sass seither hinter Gittern.

Der Fall des Imams im Video zusammengefasst:

Der 25-jährige Imam, der zu Mord aufgerufen haben soll, steht im November vor Gericht. Die Anklageschrift offenbart nun neue Details.

(Video: jen)

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