Mit Baby als Geisel Polizei zum Rückzug gezwungen

Aktualisiert

ZürichMit Baby als Geisel Polizei zum Rückzug gezwungen

Um sich der Verhaftung zu widersetzen, hat ein Vater seinen viermonatigen Sohn als Geisel genommen. Dafür wurde er zu 39 Monaten unbedingt verurteilt.

von
Attila Szenogrady
Das Zürcher Obergericht bestätigte ein erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts und verurteilte den Mann zu 39 Monaten unbedingt.

Das Zürcher Obergericht bestätigte ein erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts und verurteilte den Mann zu 39 Monaten unbedingt.

Die dramatischen Ereignisse in einer Liegenschaft im Zürcher Kreis 12 gehen auf den 2. Februar 2013 zurück: Drei Angehörige der Kantonspolizei Zürich hatten den Wohnort einer jungen Schweizerin aufgesucht, um dessen aus Sierra Leone stammenden Lebenspartner auf einen Posten mitzunehmen und einer Personenkontrolle zu unterziehen. Der heute 31-jährige Westafrikaner weigerte sich aber, seine Lebenspartnerin und den gemeinsamen, vier Monate alten Sohn zu verlassen.

Als die zivilen Polizisten den abgewiesenen Asylbewerber festnehmen wollten, eskalierte die Situation. Der aufgebrachte Musiker attackierte die Beamten, indem er dem einen mit einem Kugelschreiber in den rechten Unterarm stach und den anderen am Hals packte. Der Einsatz von Pfefferspray misslang, da einer der Beamten einem Arbeitskollegen versehentlich eine Ladung in das Gesicht sprühte. Die Polizeibeamten zogen sich laut Anklageschrift zurück und forderten Verstärkung an.

Auch Sondereinheit zog ab

Kurz darauf traf die Sondereinheit Skorpion am Tatort ein und forderte den Beschuldigten auf, sich zu ergeben. Doch daraus sollte vorerst nichts werden. So nahm der Vater seinen Sohn in seine Arme und drohte laut Anklage damit, den Säugling im Falle eines Sturmangriffs zu töten. Selbst als die Sanität erschien, um das durch den Pfefferspray in Mitleidenschaft gezogene Kleinkind zu untersuchen, gab der Vater den Sohn nicht aus den Händen. Bis sich die Polizei zum Wohl des Babys zurückzog. Am 1. März 2013 wurde der Geiselnehmer verhaftet und sitzt seither im Gefängnis.

Am Dienstag musste sich der weitgehend nicht geständige Beschuldigte vor dem Zürcher Obergericht verantworten. Der Mann mit Rastafrisur verweigerte sich in der Form von wilden Beschimpfungen jeglichen richterlichen Fragen und berief sich auf die Grösse Gottes. In seinem Schlusswort sprach er über sechs Kinder, die er mit sechs verschiedenen Frauen auf der ganzen Welt bereits gezeugt habe.

Extreme Strafanträge

Dann folgten die Prozessparteien, die mit extremen Strafanträgen vor die Schranken traten. Einerseits die Staatsanwältin, die wegen qualifizierter Geiselnahme und weiteren Delikten eine hohe Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten forderte. So habe der Beschuldigte mit der Tötung seines Kindes gedroht, plädierte sie.

Anders sah es der Verteidiger, der bloss Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie geringfügige Drogendelikte als erwiesen betrachtete und sich für eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten einsetzte. Was eine sofortige Haftentlassung bedeutet hätte. Der Anwalt schloss eine Geiselnahme aus, da sein Klient das Kind schon vor der Polizeiaktion auf Händen getragen und danach keine Drohungen ausgestossen habe.

Geiselnahme bejaht

Das Obergericht schlug zum Schluss den Mittelweg ein und bestätigte damit ein erstinstanzliches Urteil des Bezirksgerichts Zürich. Demnach wurde der Beschuldigte wegen einfacher Geiselnahme, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Körperverletzung und Nebendelikten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 39 Monaten verurteilt.

«Auch ein Baby kann zur Geisel werden», begründete der Gerichtsvorsitzende Daniel Bussmann den Schuldspruch. So habe sich der Beschuldigte des Kleinkindes bemächtigt, um sich der Verhaftung zu widersetzen. Eine schwere, mit Todesdrohungen verbundene Geiselnahme sahen allerdings auch die Oberrichter als nicht erwiesen an. So wisse man nicht, was der Vater genau gesagt und überhaupt gedroht habe. So habe das Geschrei des Beschuldigten und laute Reggae-Musik alles übertönt.

«Verwerflich und absolut rücksichtslos»

Trotz des Teilfreispruchs sprach Präsident Bussmann von einem verwerflichen und absolut rücksichtslosen Verhalten des Vaters. Er habe aus rein egoistischen Gründen seinen vier Monate alten Sohn als Druckmittel eingesetzt und damit gegen das Kindswohl gehandelt. Laut einem psychiatrischen Gutachten liege auch keine verminderte Schuldfähigkeit vor. Der Beschuldigte nahm das bestätigte Verdikt zum Schluss eher gelangweilt entgegen. Da er bereits 681 Tage der Strafe abgesessen hat, kann er im kommenden Frühling mit seiner Haftentlassung rechnen.

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