Jagd nach MörderWenig Hoffnung trotz Rekord-Kopfgeld
Beyhan Yelocagi will Hinweise auf den Mörder seiner Frau mit 100'000 Franken belohnen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich Kriminalfälle mit Geld fast nie lösen lassen.
100'000 Franken aus seinem Privatvermögen bietet der Zürcher Tankstellenbetreiber Beyhan Yelocagi für Hinweise, die zur Ergreifung der Person führen, die seine Ehefrau Yasemin am 20. August 2008 im Esso-Shop in Zürich-Seebach mit einem Küchenmesser erstochen hat. Es handelt sich um die höchste Belohnung, die in der Schweiz je ausgesetzt worden ist.
Werden nun Kopfgeldjäger und Detektive aus der ganzen Welt nach Zürich reisen, um den Täter zu jagen und die sechsstellige Summe einzustreichen? Fritz Nyffeler, Präsident des Fachverbands der Schweizerischen Privatdetektive, sagt, für die Mitglieder seines Verbands sei ein solcher Fall kein Thema: «Wir sind auf Zivilrecht spezialisiert, Kapitalverbrechen überlassen wir der Polizei.» Dass es Privatermittler geben könnte, die sich wegen der hohen Belohnung nun mit dem Fall befassen würden, schliesse er aber nicht aus.
Bei der Kantonspolizei Zürich, die in diesem Fall seit über fünf Jahren im Dunkeln tappt, hat man Verständnis für den Entscheid des Witwers, eine so hohe Summe auszusetzen. Sprecher Werner Schaub sagt: «Es ist klar, dass er alles unternimmt, um dafür zu sorgen, dass dieses schreckliche Tötungsdelikt aufgeklärt wird.»
Polizei hofft auf «entscheidenden Hinweis»
Die hohe Belohnung bewirke zumindest, dass ein halbes Jahrzehnt nach der Tat in der ganzen Schweiz wieder über dieses Verbrechen gesprochen werde, so Schaub. «Das löst etwas aus – es ist möglich, dass sich unter den Meldungen, die nun bei uns eingehen werden, der entscheidende Hinweis befinden wird.»
Nadja Capus, Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Basel, sagt, das Aussetzen von Belohnungen sei ein «interessantes Mittel» zur Aufklärung von Verbrechen, allerdings seien «finanzielle Anreize» bei der Wahrheitsfindung immer heikel. Hinweise werde es weniger wegen der hohen Belohnung an sich geben als vielmehr wegen der Publizität, die der Fall dadurch erhalte. «Es ist denkbar, dass jemand, der bisher gar nichts von dieser Tat wusste, sich jetzt an etwas erinnert, was der Polizei helfen kann.»
Jeder, der sich jetzt mit Hinweisen an die Polizei wendet, müsse sich aber auch die Frage gefallen lassen, warum er dies nicht früher getan habe, sagt Capus: «Wer etwas über ein solches Verbrechen weiss, sollte es nicht von Geld abhängig machen, ob er es meldet.» Die Belohnung werde für die Polizei jedoch finanzielle Konsequenzen haben: «Das Abarbeiten der Hinweise wird die Polizei viel Zeit und entsprechend Geld kosten.»
Erste Meldungen eingegangen
Am Dienstag, als die Belohnung durch den «Tages-Anzeiger» publik geworden war, trafen bei der Kantonspolizei Zürich allerdings erst «einzelne Hinweise» ein, wie Sprecher Schaub sagt. Über deren Qualität könne er noch nichts sagen: «Wir gehen nun jedem einzelnen Hinweis nach und nehmen jeden ernst.»
Jährlich setzt die Zürcher Kantonspolizei in bis zu einem halben Dutzend Fällen Belohnungen von maximal 10'000 Franken aus. Dies tue man grundsätzlich nur, wenn es um schweren Raub, Körperverletzung oder Tötungsdelikte gehe. «Und es ist immer eines der letzten Mittel, das dann zum Zug kommt, wenn die üblichen Ermittlungsmethoden nicht zum Erfolg geführt haben», sagt Schaub.
In solchen Situationen könnten die Ermittler bei der Chefin der Kriminalpolizei die Aussetzung einer Belohnung beantragen. Dafür ist jedes Jahr ein gewisser Betrag budgetiert, dessen Höhe die Kantonspolizei nicht nennen möchte. Erfolgreich ist die Methode jedoch nicht: «In keinem der Fälle, in denen wir in den letzten fünf Jahren eine Belohnung ausgesetzt hatten, kam es zur Auszahlung», so Schaub. Die grosse Mehrheit der Fälle sei weiter ungeklärt, einzelne habe man auf andere Weise lösen können.
Ob es einen Unterschied macht, dass im Mordfall Yelocagi das Zehnfache der sonst üblichen Belohnung ausgesetzt wurde, ist offen: «Weil dies bisher einzigartig ist, können wir darüber keine Aussage machen», so Schaub.
Risiko von Falschaussagen
Ähnlich zurückhaltend wie die Zürcher Polizei sind auch andere Kantone im Umgang mit Belohnungen. Christof Scheurer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Bern, sagt: «Wir sind bei Belohnungen vorsichtig, denn es besteht immer das Risiko, dass sie Leute zu falschen Aussagen bewegen.»
Bernhard Graser, Sprecher der Kantonspolizei Aargau, sagt, Belohnungen könnten «durchaus hilfreich sein, Mitwisser oder Augenzeugen dazu zu bewegen, Informationen der Polizei preiszugeben». Wie in Zürich erlebt man aber auch im Aargau, dass die meisten Fälle trotz Belohnung ungeklärt bleiben.
Opfer hatte zwei kleine Kinder
Ob es sich bei der unbekannten Person, die Yasemin Yelocagi (28) erstochen hat, um eine Frau oder einen Mann handelt, ist unklar. Das Opfer hinterliess zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren. Die Bluttat ereignete sich am 20. August 2008 kurz vor Mitternacht im Esso-Tankstellenshop an der Schaffhauserstrasse in Zürich-Seebach. Gemäss den Aufnahmen der Videoüberwachung ist die Täterin oder der Täter zwischen 18 und 35 Jahre alt und 170 bis 175 Zentimeter gross. Die Person war dunkel gekleidet, trug eine dunkle Baseballmütze und helle Schuhe und flüchtete nach der Tat zu Fuss. Hinweise nimmt die Polizei unter Telefon 044 247 22 11 oder per Mail an esso2008@kapo.zh.ch entgegen. (lüs)