Der Sport als Spielball der Supermächte

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Olympia-BoykottDer Sport als Spielball der Supermächte

Der Westen boykottierte die Spiele 1980 in Moskau ebenso, wie der Osten die in Los Angeles 1984. Was mit Afghanistan und Moral begründet wurde, war reines Polit-Kalkül.

P. Dahm
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P. Dahm

Leonid Breschnew wählte im Jahr 1979 den wohl günstiges Moment für seinen Invasion in Afghanistan. Der sowjetische Präsident lässt die 40. Armee Weihnachten in das Nachbarland einmarschieren. Am 27. Dezember landen als Afghanen verkleidete Spezialkräfte der UdSSR in Kabul.

Sie zerstören die Kommunikation, besetzen neuralgische Punkte und dringen bei der Operation «Sturm-333» in den Tajbeg Palast ein: Dort hat sich der erst im September gewählte Präsident Hafizullah Amin mit 200 Wächtern verschanzt. Weil die Sowjets glauben, Amin könne das Land nach Westen ausrichten, wird der paschtunische Führer ermordet. Auch sein elfjähriger Sohn und seine Leibgarde sterben.

Der Einmarsch in Afghanistan inklusiver «Militär-Romantik» aus sowjetischer Sicht. Quelle: YouTube/Vladislavskij

Weitere Bewegtbilder der Sowjet-Armee in Afghanistan. Quelle: YouTube/egorov73

Dieser Clip zeigt die Sowjet-Invasion aus der afghanischen Sicht. Quelle: YouTube/afghanland786

Der sowjetische Vormarsch lässt US-Präsident Jimmy Carter nicht zurückweichen. Im Gegenteil: Treu der damals geltenden «Containment»-Eindämmungsdoktrin muss Washington nicht nur militärisch reagieren, sondern auch moralisch: Als am 17. Januar 1980 Saudi-Arabien vorschlägt, die anstehenden Olympischen Spiele in Moskau wegen des Einmarsches in das muslimisches Land zu boykottieren, greift Carter die Idee nur einen Tag später auf.

Am 20. Januar stellt der Präsident ein Ultimatum: Entweder die Sowjets ziehen innert vier Wochen ihre Truppen ab – oder Washingtons Athleten kommen nicht nach Moskau. Der Gedanke dahinter: Selbst wenn das sowjetische Fernsehen die Abwesenheit nicht erklärt, werde so ein sichtbares Zeichen gesetzt. Eine ungewöhnliche Staaten-Allianz entsteht - von Argentinien und Ägypten über China, dem Iran, Liechtenstein, Norwegen und der Türkei bis hin zu West-Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Ein Bericht des US-Senders ABC über die Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees der USA, nicht an den Spielen 1980 teilzunehmen. Quelle: YouTune/Skelarus

Die Geschehnisse aus US-Sicht: Ein Video mit jeder Menge Pathos und vielen O-Tönen. Quelle: YouTube/usagymnasticsorg

Frankreich, Grossbritannien und Australien überlassen es ihren Sportlern selbst, ob sie nach Moskau fahren. Die Sportler laufen deshalb bei der Eröffnungs- und Schlussfeier nicht unter ihrer Landesflagge auf, sondern unter der olympischen. Länder wie Belgien, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Dänemark und auch die Schweiz schliessen sich dem Schritt an. Sie glauben, einer guten Sache zu dienen.

Pomp der alten kommunistischen Schule: Bilder der Eröffnungsfeierlichkeiten zum Auftakt der Moskauer Spiele 1980. Quelle: YouTube/jethrosesc

Dabei ist der Einmarsch in Afghanistan nicht zuletzt auch Schuld der Amerikaner. Wie Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezenski Jahre später zugibt, infiltrierten US-Agenten wenigstens ein halbes Jahr vor der Invasion Afghanistan, um innerhalb der regierenden kommunistischen Partei Zwietracht zu sähen. «Tatsächlich haben wir einige Mujaheddin vor der Invasion unterstützt. Diese Geheimoperation war eine exzellente Idee. Als Effekt haben wir die Russen in die afghanische Falle tappen lassen», zitiert «Media Monitors».

Die Mujaheddin, die religiösen Widerstandskämpfer, werden fortan mit Millionen Dollar jährlich unterstützt. Die USA alleine investieren vor der Invasion pro Jahr 275 Millionen Dollar jährlich in die Gegenrevolution. Das entspricht 765 Millionen Dollar anno 2012. Später steigt der Betrag auf 600 Millionen Dollar: Rechnet man den Wert des Geldes von 1985 um, erhält man heute 1,28 Milliarden Dollar. Hinzu kommen Aufwendungen der islamischen Länder Saudi-Arabien und Pakistan sowie von China, das selbst die Macht der Sowjets fürchtete.

Vier Jahre später dreht die Sowjetunion bei den Spielen in Los Angeles den Spiess um. Moskaus Verbündete bleiben zu Hause: Angola, Äthiopien, die DDR, Kuba, Süd-Jemen und Nordkorea schauen bloss zu. Und weil Uncle Sam 1980 in Philadelphia die «Olympischen Boykottspiele» austrägt, antwortet Mütterchen Russland 1984 mit den «Freundschaftsspielen». Rumänien ist allerdings eine Ausnahme: Bukarest nimmt trotz Moskaus Anweisung an den Spielen teil.

Pomp der alten kapitalistischen Schule: Bilder der Eröffnungsfeierlichkeiten zum Auftakt der Spiele in Los Angeles 1984. Quelle: YouTube/ynotlleb

Letztendlich geht das Konzept der USA aber auf. Weil die CIA die Mujaheddin mit Geld und Waffen wie der Luftabwehr-Rakete «Stinger» versorgt, wird der Afghanistan-Krieg für die Sowjets immer teuerer und verlustreicher. 1988 beginnt Michael Gorbatschow mit dem Truppenabzug, der ein Jahr später abgeschlossen wird. Mit seiner liberaleren «Glasnost»-Politik leitet er den Niedergang der Sowjetunion ein, die durch den deutschen Mauerfall 1989 beschleunigt wird.

Es ist andererseits ein teuer erkaufter Sieg Washingtons, das sich vorwerfen lassen muss, mit seiner Politik den Aufbau islamistischer Strukturen gefördert zu haben. Washington hat aus Moskaus Fehlern nichts gelernt, wie die aktuelle Afghanistan-Politik der USA beweist. Und selbst die alten Boykott-Diskussionen tauchen wieder auf: Zuletzt stand die Ukraine als Co-Ausrichter der Fussball-Europameisterschaft am Pranger. Sicher scheint am Ende also nur eines: Geschichte wiederholt sich. Immer wieder.

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