«Time-Out»Die Geburt der «big, bad Lions»
Die zweite Finalpartie hat uns die Geburt der «Big, bad Lions» und den Untergang der «Big, bad Bears» beschert. Für ein Spiel oder für die ganze Serie?
Die ZSC Lions gewinnen 2:1. Es ist die beste, ja im Grunde die erste echte Playoffpartie in dieser Saison. Bob Hartley ist jetzt durch und durch Bandengeneral. Sekunden vor dem ersten Bully tauscht er noch einmal die Linie und verzögert den Spielbeginn um ein paar Sekunden. Er hat auf eigenem Eis das Recht zum letzten Wechsel. Taktisch und spielerisch ist das Manöver bedeutungslos. Es geht um etwas ganz anderes: Es ist ein Signal an den gegnerischen Coach. Die ultimative Kampfansage.
Das Spiel ist intensiv, spannend und mündet schliesslich in ein Drama. Gespielt wird in jeder Beziehung am Limit. Aber die Emotionen verlassen nie das Bachbett des Anstandes, der Fairness und der Disziplin. Die Berner haben die einmalige Chance, die ZSC Lions in den ersten 30 Minuten zu besiegen und damit auch die Finalserie. Auch wenn er das so nicht zugibt: Bob Hartley ist klar: Wenn er auch das erste Heimspiel verliert, dann ist diese Finalserie gegen einen so soliden Gegner nicht mehr zu gewinnen. Der Titel verloren.
SCB verliert den Nimbus des Bösen
Das erste Drittel endet unentschieden (0:0) und nun geschieht Seltsames: Der SCB gewinnt das zweite Drittel 1:0 – und verliert trotzdem das Spiel. Der Nimbus des grossen, bösen, harten SCB geht in diesem zweiten Drittel verloren und als Märchen entlarvt. Der Nimbus ist das besondere Ansehen, der Ruf einer Mannschaft. Der Bruder des Ruhmes , das Geschwister des Charismas sozusagen.
In diesem zweiten Drittel, das sie 0:1 verlieren, finden die ZSC Lions ihre Zuversicht, «zerstören» des SCB-Nimbus und wenden die Partie. Vielleicht sogar die Serie. Tore erzielen sie noch keine. Aber ihre Leidenschaft, ihre Checks haben eine stärkere Wirkung als Tore und lösen tiefgreifende Veränderung in den Köpfen und Herzen aus. Der SCB hat in diesen Playoffs zwar bereits zwei Partien verloren (0:3 in Kloten, 1:2 n.P zu Hause gegen Fribourg). Aber die Berner sind dabei nie dominiert worden. Weder Kloten noch Gottéron haben in punkto Intensität, Härte, Wasserverdrängung auf Augenhöhe mit dem SCB gespielt. Doch die ZSC Lions tun es. Die beiden Niederlagen gegen Kloten und Gottéron haben das SCB-Selbstverständnis nicht einmal auf der Oberfläche geritzt. Im Rückblick könnte sich zeigen: Diese erste Niederlage gegen die ZSC Lions hat das SCB-Selbstvertrauen erschüttert.
Die Wende hatte sich angekündigt
Der SCB geht noch mit einer 1:0-Führung in die zweite Pause. Aber es ist geradezu fühlbar, dass die Wende auch resultatmässig kommen wird. Die Zuschauer in der Halle ahnen es auch. Die ZSC Lions haben das Momentum dieses Spiels gedreht. Andres Ambühl ist zweimal alleine vor Marco Bührer gescheitert. Er hat nicht mal das Tor getroffen. Aber selbst dieses Ungemach, das normalerweise ein Team knickt, vermag die ZSC Lions nicht mehr vom Weg zum Sieg abzubringen. Und die Berner ahnen das Unheil. Verteidigerhaudegen Philipp Furrer wird hinterher sagen, ein zweites Drittel wie dieses dürfe es nicht mehr geben. Doch er ist zu streng mit sich und seinem Team: Es ist mehr die Stärke der ZSC Lions als die SCB-Schwäche, die zur Wende führt. Im Schlussdrittel wird diese Wende auch resultatmässig vollzogen. Thibaut Monnet und Blaine Down machen aus dem 0:1 ein 2:1.
Der SCB brauchte die beste Saisonleistung, um die erste Finalpartie 4:2 zu gewinnen. Jetzt haben die ZSC Lions mit ihrer besten Saisonpartie die starken Berner 2:1 besiegt. Eine weitere Steigerung. Die Intensität ist noch höher als im ersten Spiel, die Räume sind noch enger und – das ist bemerkenswert – die Disziplin ist sehr hoch.
Der ZSC verliert immer die erste Final-Partie
Der Sieg der grossen, bösen Löwen, der bis ins zweite Drittel hinein fraglich war, ist schliesslich zwingend. Ist das aber auch die Wende in dieser Serie? Ein Blick zurück sagt, wie gefährlich die Situation für den SCB jetzt ist: Die ZSC Lions haben bei allen ihren Titeln (2000, 2001, 2008) die erste Partie verloren. Aber Trainer Bob Hartley mag nicht die Geschichte beschwören. Es hänge so viel vom Momentum ab – und das könne schon im nächsten Spiel wieder ändern. Momentum, ein neumödisches Wort, das im Hockey oft gebraucht wird, kommt aus der englischen Sprache und bedeutet in der wörtlichen Übersetzung Wucht und Schwung. Im Sport steht es für die Beschleunigung eines Trends. Will heissen: Die ZSC Lions schicken sich an, die Wende zu erzwingen und das Momentum verstärkt diesen Trend und bewirkt, dass jeder Zürcher noch ein bisschen mehr an den Sieg glaubt, noch ein bisschen härter in die Zweikämpfe steigt, noch ein bisschen schneller und weiter läuft. Und beim Gegner führt es umgekehrt dazu, dass jeder ein bisschen weniger an den Sieg glaubt, ein bisschen weniger hart in die Zweikämpfe steigt und ein bisschen weniger schnell und weit läuft.
Die ZSC Lions hatten das erste Spiel zwar 2:4 verloren, aber mit einem Feuerwerk von Checks und Emotionen beendet und so dem Gegner signalisiert, dass sie zwar geschoren, aber noch keineswegs erlegt worden sind. Der SCB hat die zweite Partie nicht mit einem vergleichbaren Schlussfurioso beendet und die Berner sahen nach dem 1:2 mehr aus wie Verlierer als die Zürcher nach dem 2:4 in Bern. Zum ersten Mal in diesen Playoffs schimmerte in dieser zweiten Finalpartie in ihrer Körpersprache so etwas wie Müdigkeit durch: Der schlaue Ivo Rüthemann, der Titan, der Routinier mit der Erfahrung aus mehr als 900 Spielen in der NLA macht einen Fehler (Scheibenverlust), der zum 2:1, zum Siegestreffer führt. Der NHL-Saurier Jean-Pierre Dumont, gestählt in mehr als 800 NHL-Schlachten, in der ersten Finalpartie an drei der vier SCB-Toren beteiligt, wird in diesem Drama von der Bühne gescheucht: Im Schlussdrittel wird er von Cheftrainer Antti Törmänen nicht mehr eingesetzt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist Dumont verletzt oder er konnte wegen spielerischer Dienstuntauglichkeit nicht mehr ins Gefecht geschickt werden. Verletzt?
«Nein», sagt Trainer Anti Törmänen. «Nein», sagt auch sein Assistent Lars Leuenberger. Haben die Kritiker also doch recht, die sagen, dass er sich im alles entscheidenden Moment nicht durchsetzen kann? Jean-Pierre Dumont war nur als Junior Meister. Als Profi ist er nie in die Nähe eines Titels gekommen. Er hat, schon grau im Bart, in Bern eine meisterliche Mission zu erfüllen. Die Beispiele von Ivo Rüthemann und Jean-Pierre Dumont zeigen: Der SCB ist verletzlich.
Die Rolle der Schiedsrichter
Die ZSC Lions haben einem starken SCB also das Momentum im Laufe der Partie und 0:1 im Rückstand liegend abgenommen – das geht nur mit einer Leistung, einer Leidenschaft, die an die grossen Tage der Triumphe in der Champions League mahnt. Und damit aus dieser Serie vollends ein Drama wird, damit es am Samstag in Bern so weiter geht, hier vorübergehend noch ein wenig Polemik: Einen ganz grossen Anteil am grossen Sportschauspiel haben die Head-Schiedsrichter Danny Kurmann und Didier Massy. Sie haben die Spieler die Partie entscheiden lassen. Sie haben immer einen Grund gefunden, nicht zu pfeifen, dem Spiel den Lauf zu lassen. Sie dienten dem Spiel, nicht ihrem Ego.
Deshalb die inständige Bitte an Schiedsrichterchef Reto Bertolotti (er hat beim Aufgebot das letzten Wort): Bitte im Interesse des Dramas, des Spektakels und unseres Eishockeys den tüchtigen Brent Reiber für die WM schonen und von unserem Finale fernhalten und höchstens noch bei der Liga-Qualifikation einsetzen. Brent Reiber ist international wegen seiner kleinlichen Regelauslegung, die er unbarmherzig vom Charakter des Spiels mit Hornhaut auf dem Fingerspitzengefühl durchsetzt, hoch geachtet und gilt als einer der besten Refs der Welt. Aber er findet halt immer einen Grund, doch zu pfeifen und die Entwicklung des Spiels zu hemmen und den Spass zu verderben. Er wird immer wieder mit der Leitung grosser internationaler Ereignisse betraut und hat das letzte WM-Finale geleitet. Es ist also wichtig, dass er wohl geruht zur WM nach Finnland fahren und vor der WM nicht mehr unnötig belastet wird. Ende der Polemik.
Die Erfahrung lehrt, dass die dritte Partie in einer Playoffserie eine entscheidende Bedeutung zukommt. Weil der weitere Verlauf einer Serie oft zur Fortsetzung des dritten Spiels wird. Genau das kann jetzt passieren: Mit einem Sieg können die Berner das Momentum zurückholen und sich wieder in die «Big, bad Bears» verwandeln. Gewinnen hingegen die ZSC Lions am Samstag zum zweiten Mal hintereinander, dann werden sie sich unter dem Kommando eines Bandengenerals wie Bob Hartley nicht mehr vom Weg zum finalen Triumph abbringen lassen.