Eishockey-VorschauDreimal Hockey-Zirkus ohne Playoff-Garantie
Geld und Talent haben die Teams genug, dazu auch jeweils einen neuen Trainer. Und doch gibt es für die ZSC Lions, Fribourg-Gottéron und Lugano nicht einmal eine Playoffgarantie.
LUGANO: Graue Panther und endlich ein Goalie
Mit den Spielern von gestern bereits heute das Eishockey von morgen spielen: Endet dieses Abenteuer so wie im Frühjahr 1998?
Der zur Häme neigende Chronist spottet über Luganos graue Panther. Acht wichtige Spieler sind 30 oder älter. In der Altersstruktur ähnelt eine der teuersten Mannschaften ausserhalb der NHL und Russlands eher dem Politbüro der ehemaligen Sowjetunion zu Breschnews Zeiten.
Überalterung ist kein Faktor
Der zur Sachlichkeit neigende Chronist hingegen sieht eine hoffnungsvolle Parallele: Acht wichtige Spieler über 30 standen auch im Team der Detroit Red Wings, die 1998 den Stanley Cup verteidigt haben.
Das Alter der Stars ist also kein Problem. Entscheidend ist, ob es Luganos neuem Cheftrainer Barry Smith gelingt, die Energien seiner Routiniers so zu verwalten, dass die Kräfte bis ins Frühjahr 2012 reichen. Und siehe da, wieder gibt es mehr Grund zur Hoffnung als zur Häme: 1998 war Barry Smith in Detroit Assistent von Cheftrainer Scotty Bowman. Luganos neuer Trainer weiss also aus reicher, eigener Erfahrung, wie graue Panter artgerecht gehegt und gepflegt werden müssen.
Für den Titel muss alles zusammenpassen
Und schliesslich noch eine Parallele: Lugano wird erstmals von einer Frau präsidiert: Von Wicky Mantegazza. In der NHL war Marguerita Norris die erste Präsidentin. Sie holte mit Detroit 1954 und 1955 den Stanley Cup.
Lugano also Titelfavorit 2012? Nein. Der neue Trainer muss erst einmal eine Leistungskultur aufbauen. In den letzten vier Jahren ist Lugano unter Marionetten-Präsidenten und überforderten Trainern zum Hockeyzirkus verkommen. Die Spieler tun und lassen, was ihnen beliebt, für die Stars gibt es alle möglichen Privilegien. Und weil die meisten sehr talentiert sind, haben sie einen nostalgischen Stil entwickelt: Die Scheibe lange halten, da noch ein Dribbling, hier noch ein Querpass, dort noch ein Kunststück – die Entwicklung zum schnellen, direkten, dynamischen Tempohockey des 21. Jahrhunderts ist ignoriert worden.
Die wichtigsten Abgänge: Sébastien Caron (Iserlohn), Chris Bourque (Washington), Colby Genoway (Lausanne), Josh Hennessy (Boston), Dario Kostovic (Zagreb), Tristan Vauclair (Fribourg), David Aebischer (Winnipeg)
Die wichtigsten Zuzüge: Benjamin Conz, Daniel Steiner (SCL Tigers), Florian Blatter (Lakers), Jaroslaw Bednar (Davos), Rob Niedermayer (Buffalo), Kimmo Rintanen (Kloten).
Ausländer: Petteri Nummelin (Fi, Verteidiger, bisher), Kimmo Rintanen (Fi, Stürmer, neu), Jaroslaw Bednar (Tsch, Stürmer, neu), Rob Niedermayer (Ka, Stürmer, bisher).
Trainer: Barry Smith (Ka, neu).
Prognose: Platz 3 bis 6 – aber keine Playoffgarantie. Die Mannschaft hat genug Talent zum Qualifikationssieg, mit Benjamin Conz ist das Torhüterproblem gelöst worden und die vier Ausländerpositionen sind besser besetzt als in der letzten Saison. Und doch täuscht die positive Transferbilanz: Die alten Seilschaften und Hierarchien sind geblieben, die schelten Gewohnheiten noch nicht verschwunden und der Glaube lebt weiter, dass am Ende des Tages immer der Trainer schuld ist. Deshalb keine Arbeitsplatzgarantie für den neuen Trainer Barry Smith und keine Playoffgarantie.
FRIBOURG: Reichen sechs Tore zum Sieg?
Gottéron hat im Herbst 2011 die beste Mannschaft seiner Geschichte. So viel Zirkus, so viel Unterhaltung, war noch nie.
Im Zirkus geht es nicht darum, wer gewinnt. Es geht darum, das werte Publikum rund drei Stunden lang zu unterhalten. Artisten bieten dem Publikum mehr Kurzweil als Handwerker. Und wenn es darüber hinaus noch gelingt, das Ganze mit ein wenig Glitzer und Glamour, Triumphen und Tränen, Dramen und Komödien zu würzen, wird daraus ein „Hollywood on Ice".
Vorne hui, hinten pfui
So funktionierte Gottéron in der Vergangenheit, so funktioniert es heute und so funktioniert es in alle Ewigkeit. Bisheriger Höhepunkt im Zirkusprogramm war die Zeit mit den russischen Weltstars Slawa Bykow und Andrej Chomutow, die vorne die Netze füllten und im Titelkampf scheiterten, weil Dino Stecher hinten immer mindestens einen Treffer zu viel kassierte (1990 bis 1995).
Nun ist es gelungen, eine noch spektakulärere Mannschaft zusammenzustellen: Damals gab es mit dem Duo Bykow/Chomutow nur ein Traumpaar. Jetzt kann der neue Trainer Hans Kossmann gleich drei Traumpaare tanzen lassen: Bykow junior/Sprunger, Dubé/Gamache und Jeannin/Rosa. Und weiterhin sorgt eine Lotterabwehr für Drama. Es gibt auch nach dem Zuzug von Michal Barinka mehr offensive Schillerfalter, als seriöse defensive Handwerker.
Während der „belle Epoque" war Slawa Bykow das unumstrittene Alphatier. Heute wird auch neben dem Eis Kurzweil geboten: Die Könige von Gottéron – Sandy Jeannin und Julien Sprunger – müssen ihren Führungsanspruch mit den neuen Alphatieren Christian Dubé und Simon Gamache teilen. So viele Egos hatte Gottéron in seiner ganzen Geschichte noch nie. Und das ganze wird noch bereichert durch einen Präsidenten, der auf der Ego-Skala näher an Christian Constantin als Mahatma Gandhi steht.
Die wichtigsten Zuzüge: Simon Rytz (Ajoie), Michal Barinka (Jaroslawl), Jan Cadieux (Servette), Christian Dubé, Simon Gamache (SC Bern), Pavel Rosa (Oulu), Tristan Vauclair (Lugano).
Die wichtigsten Abgänge: Marc Leuenberger (Langenthal), Robin Leblanc, Philipp Rytz (SCL Tigers), Serge Aubin (Hamburg), Witali Lachmatow (Ambri), Adrien Lauper (Biel), Björn Melin (Riga), Mark Mowers (Rücktritt), Valentin Wirz (Sierre).
Ausländer: Shawn Heins (Ka, Verteidiger, bisher), Michal Barinka (Tsch, Verteidiger, neu), Simon Gamache (Ka, Stürmer, neu), Pavel Rosa (Tsch, Stürmer, neu).
Trainer: Hans Kossmann (Sz/Ka, neu).
Prognose: Platz 3 bis 6 – aber keine Playoffgarantie. An einem guten Abend wird Gottéron über jeden Gegner hinwegbrausen wie ein Sturmwind. An einem weniger guten Abend werden sechs Tore nicht zum Sieg reichen. Die Unterhaltung wird maximal und das Entlassungsrisiko für Trainer Hans Kossmann maximal sein. Allerdings hat sich in den Vorbereitungspartien ein unerfreulicher Trend zur defensiven Stabilität gezeigt (unerfreulich aus der Sicht des neutralen Beobachters, der gerne Spektakel hat). Es kann tatsächlich sein, dass sechs Tore zum Sieg reichen – auch in den ersten sieben Partien mit NLB-Goalie Simon Rytz. Er steht im Tor, bis Cristobal Huet die Freigabe von Chicago bekommt.
ZSC Lions: 10 Wochen oder 10 Jahre?
Von NHL-General Bob Hartley wird erwartet, dass er bei den ZSC Lions eine neue Leistungskultur aufbaut. Es wäre einfacher, aus einer Rudolf-Steiner-Schule eine Militärakademie zu machen.
Titel können Geld und die besten Trainer der Welt nicht garantieren. Zu unberechenbar sind die Playoffs. Aber die ZSC Lions müssten jede Saison um den Sieg in der Qualifikation spielen. So wie der SC Bern. Aber seit dem letzten Qualifikationssieg von 2003 haben die Zürcher nur noch die Ränge 5, 3, 10, 8, 6, 2, 6 und 7 erreicht.
Eine neue Hockeydynastie?
Der Erfolg lässt sich offensichtlich auch mit unbeschränkten finanziellen Mitteln nicht kaufen. Damit kehren wir zum Urvater aller Klassiker zu diesem Thema zurück: Geld und Geist. Zu viel Geld und zu wenig Geist sind die Ursachen für den fehlenden Erfolg im Zürcher Hallenstadion. Die Mannschaft ist zuletzt nicht mehr richtig gemanagt, trainiert und gecoacht worden.
Der neue Trainer Bob Hartley soll der Architekt einer neuen Leistungskultur werden. Es ist ein Abenteuer, das entweder 10 Wochen oder 10 Jahre dauert: Gelingt es Hartley, seine Prinzipien durchzusetzen, dann wird der Erfolg so durchschlagend sein, dass das Management von Davoser Verhältnissen und einer zehnjährigen Amtszeit zu träumen beginnt.
Bob Hartley Superstar
Ob er seine Prinzipien durchsetzen kann, werden wir bereits nach 10 Wochen wissen: Entweder setzt er sich von allem Anfang an durch oder er scheitert früh mit Karacho und wird bereits 10 Wochen nach Saisonstart gefeuert. Eine Entlassung von Hartley ist für Manager Peter Zahner und Sportchef Edgar Salis ausserhalb jeder Vorstellungskraft: Es gibt bei den ZSC Lions für die nächsten zwei Jahre, keinen „Plan B" für ein Leben nach Bob Hartley.
Wie stehen die Chancen des Kanadiers? Besser als jene vor Colin Muller vor einem Jahr. Niemand hatte Muller, dem ehemaligen Assistenten von Sean Simpson, eine Chance gegeben. Auch Peter Zahner nicht. Er war zum Scheitern verurteilt.
Der grosse NHL-General Hartley aber schreitet über Blumenteppiche durchs Hallenstadion. Er ist ein grosser Kommunikator (wie der legendäre ehemalige Nationalcoach Ralph Krueger). Was er sagt und anordnet hat den Status eines Evangeliums. Noch mehr Vorschusslorbeeren sind nicht möglich.
Prognose: Platz 3 bis 6 – aber keine Playoffgarantie. Die Abwehr ist zwar besser besetzt als letzte Saison. Doch die Torhüterfrage ist heikel: Ari Sulander wird am 6. Januar 42 und beginnt die Saison erstmals als Schweizer. Aber er ist nicht mehr so gut, wie alle denken. Lukas Flüeler wird am 22. Oktober 23. Aber er ist noch nicht so gut, wie alle denken. Die Mannschaft ist zwar nach wie vor nicht eine der schnellsten der Liga, hat aber genug Talent, um die Qualifikation zu gewinnen. Doch die alten Seilschaften und Hierarchien sind geblieben, die schlechten Gewohnheiten sind noch nicht verschwunden und der Glaube lebt, dass am Ende des Tages immer der Trainer schuld ist. Deshalb keine Arbeitsplatzgarantie für den neuen Trainer Bob Hartley und keine Playoffgarantie.
Die wichtigsten Abgänge: Pascal Müller (Ambri), Philippe Schelling (Kloten), Duvie Westcott (Kloten), Alexej Krutow (Jekaterinenburg), Thierry Paterlini (Sierre), Owen Nolan (Vertrag ausgelaufen).
Die wichtigsten Neuzuzüge: Severin Blindenbacher (Dallas), Robin Breitbach, John Gobbi (Servette), Jeff Tambellini (Vancouver).
Ausländer: Corey Murphy (Ka, Verteidiger, bisher), Blaine Down (Ka, Stürmer, bisher), Domenico Pittis (Ka, Stürmer, bisher), Jeff Tambellini (Ka, Stürmer, neu).
Trainer: Bob Hartley (Ka, neu).
Eishockey-Vorschau
20 Minuten Online beurteilt in einer vierteiligen Serie die zwölf National-League-A-Teams vor dem Saisonstart.
1. Teil: Unerschütterliche mit Playoff-Garantie (SC Bern, HC Davos, Kloten Flyers)
2. Teil: Hoffen auf ein Wunder (Biel, Ambri, Lakers)
3. Teil: Alles ist möglich (EV Zug, SCL Tigers, Servette)
4. Teil: Zirkus ohne Erfolgsgarantie (Lugano, Fribourg, ZSC)