«Time-out»Das Scheitern des Zauberlehrlings
Nach 185 Jahren wird Johann Wolfgang von Goethes wunderbare Ballade vom «Zauberlehrling» neu geschrieben. Von Zugs Trainer Doug Shedden (50).

Doug Shedden ist das Lachen an der EVZ-Bande vergangen. (Bild: Keystone)
In Goethes Ballade versucht ein Lehrling die Tricks seines grossen Meisters umzusetzen – und scheitert kläglich. Nun wird diese Ballade im Eishockey aufgeführt. Im Halbfinale zwischen dem EV Zug und den ZSC Lions. Der Zauberlehrling Doug Shedden gegen den grossen taktischen Zaubermeister Bob Hartley. Es sieht nicht gut aus für den Zauberlehrling: Er hat mit seinem EV Zug die beiden ersten Spiele verloren. 1:7 und 1:2.
Warum Zauberlehrling? Nun, Doug Shedden hat als Spieler in fast 500 NHL-Partien zwischen 1982 und 1991 viele Zaubertricks der grossen Hockeymagier mitbekommen. Und er versucht sie nun als Coach selber anzuwenden. Ähnlich wie der Zauberlehrling in Goethes Ballade:
«Und nun sollen ihre Geister
auch nach meinem Willen leben.
Ihr Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Hockey-Wunder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
die Offensive fliesse
und mit reichem, vollem Schwalle
der Puck sich ins gegnerische Netz ergiesse.»
Die NHL vor Augen
Doug Shedden versteht es wie nur ganz wenige Coaches, den Stil einer Mannschaft mit seiner starken Persönlichkeit zu prägen. Der temperamentvolle Feuerkopf lässt «firewagon hockey» in Vollendung zelebrieren: Jenes kreative, bisweilen wilde Offensivhockey, geprägt von Titanen wie Wayne Gretzky, Mario Lemieux, Jaromir Jagr oder Paul Coffey. Die Edmonton Oilers und die Pittsburgh Penguins stürmten zwischen 1984 und 1992 zu sieben Stanley Cups. Das Eishockey eben, das Doug Shedden als Spieler in der NHL erlebt hat und sein Wesen und Wirken bis heute prägt.
«Walle! walle
Manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
die Offensive fliesse
und mit reichem, vollem Schwalle
der Puck sich ins gegnerische Netz ergiesse.»
Aber eben: Das war im letzten Jahrhundert. Inzwischen hat sich das Eishockey taktisch grundlegend verändert. Es gibt keine Teams mehr, die am Ende einer langen Saison im Abnützungskampf der Playoffs im Vorwärtsgang über ihre Gegner hinwegbrausen können. Zu ausgeglichen sind heute die Meisterschaften geworden. Inzwischen haben auch die weniger talentierten Defensivsoldaten wenigstens laufen gelernt. Der Spielraum für die kreativen Spieler wird vor allem in den Playoffs immer kleiner. Die Defensive triumphiert über die Offensive. Die wahren Hockeyzauberer von heute verstehen es, die Abwehr zu organisieren und die gegnerische Offensiv-Maschine zum Stehen zu bringen. Auch Arno Del Curto ist vor allem ein defensiver Zaubermeister: Seinen HC Davos hat er durch perfekte Spielorganisation und Präzision und nicht durch wilde Offensivstürme zum erfolgreichsten Schweizer Team des 21. Jahrhunderts gemacht.
Doch der grösste defensive Zaubermeister in dieser Liga ist ZSC-Trainer Bob Hartley (51). Er hat 2001 den Stanley Cup (mit Colorado) gewonnen. Der grosse Bandengeneral, der es doch noch geschafft hat, aus den ZSC-Hockeypopstars nicht nur taktisch folgsame, disziplinierte Hockeysoldaten zu machen. Er hat gleichzeitig den Sinn für die bessere Art der Offensive geschärft: Den schnellen Gegenstoss aus der gut organisierten defensiven Wagenburg heraus.
Der EVZ stagniert auf hohem Niveau
Shedden aber ist im offensiven Denken des letzten Jahrhunderts gefangen. Er hat Zug zur spektakulärsten Offensivmaschine der Liga hochfrisiert – und ist bereits dreimal hintereinander im Halbfinale gescheitert. Nun droht erneut der schmähliche Untergang. Wie Goethes Zauberlehrling muss Shedden das drohende Scheitern erkennen:
«Offensiver Zuger Sturm stehe! stehe!
denn wir haben
deiner offensiven Gaben
vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort defensiv vergessen!
Nein, nicht länger
Kann ich offensiv spielen lassen;
Will alles in defensive Ordnung fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir im Halbfinale immer banger!
Welche Miene! welche Blicke!
Herr, die defensive Not ist gross!
Die ich rief, die offensiven Geister,
Werd' ich nun im Halbfinale nicht los.»
Sheddens ungewisse Zukunft
Shedden steht vor dem dritten Spiel gegen die ZSC Lions verloren da wie Goethes Zauberlehrling: Die ZSC Lions führen im Halbfinale 2:0, und nun muss aus dem taktischen Zauberlehrling Doug Shedden endlich ein Zaubermeister werden. In Europa ist er bisher immer spektakulär gescheitert. In Finnland und bereits dreimal hintereinander in Zug. Schafft der Kanadier die Wende ausgerechnet gegen den grossen defensiven Zaubermeister Hartley, dann ist auch er ein grosser Trainer. Ein Zaubermeister. Und er kann in Zug eine Ikone werden wie Del Curto in Davos.
Schafft Shedden die Wende nicht, könnte sich Zugs neuer General Manager Patrick Lengwiler die Frage stellen, ob es nicht an der Zeit wäre, den Zauberlehrling durch einen mit dem Eishockey des 21. Jahrhunderts vertrauten Zaubermeister zu ersetzen. Trotz Vertrag bis 2013.