«Time-out» mit Klaus ZauggDas Warten auf ein Hockey-Drama
Führt heute Abend Aki Kaurismäki Regie? Die Zeichen deuten vor dem Halbfinale der Champions Hockey League (CHL) zwischen den Espoo Blues und den ZSC Lions auf ein Hockey-Drama der besonderen finnischen Art.
Der Kultregisseur Aki Kaurismäki führt sein Publikum durch Abgründe der Selbstzweifel. Und meistens spielen seine Filme im Grossraum Helsinki. Hier liegt auch Espoo, ein Vorort von Helsinki. Kaurismäkis Filme mahnen stets ein wenig an das finnische Eishockey, das im Grunde die Melancholie erst ein einziges Mal vertrieben hat: Beim Gewinn des WM-Titels von 1995.
Leiden als Lebensphilosophie
Die Regel aber ist die Depression. Als wäre Kaurismäki ein finnischer Hockeytrainer. Die Niederlage im entscheidenden Spiel. Das Scheitern kurz vor dem grossen Ziel. Niederlagen wie beispielsweise in den WM-Finals von 1992, 1994, 1998, 1999 und 2001 oder im Olympischen Endspiel von 2006. "Aatto juhlista jaloin" ("Der Abend davor ist das schönste Fest") sagen die Finnen in weiser Voraussicht. Weil es hinterher nichts mehr zu feiern gibt.
Ein typisch finnischer ZSC-Sieg?
Die Ausgangslage heute in Espoo, im Vorort von Helsinki, ist, als habe Aki Kaurismäki das Drehbuch geschrieben. Es ist seit gestern sogar noch ein paar Grad kälter geworden. Die Espoo Blues können gegen die ZSC Lions 15:0 gewinnen - und doch scheitern. Weil es bei einem Sieg der Blauen von Espoo zu einem Penaltyschiessen kommt. Eine Niederlage im "High Noon" Stürmer gegen Torhüter unmittelbar nach einem Sieg im Spiel - das wäre das denkbar typischste finnische Scheitern. So nah am Ziel - am CHL-Finale - und doch versagt.
Die Zuversicht ist gross hier Espoo. Bei den Funktionären. Beim Trainer. Beim Manager. Bei den Spielern. Bei den Medienschaffenden. Bei den Fans. "Aatto juhlista jaloin". Die Stunden davor sind die schönsten Stunden.
Und die Stunden danach?
Die ZSC Lions haben die bestmögliche Ausgangslage. Sie haben das Hinspiel 6:3 gewonnen. Es spielt jetzt keine Rolle, dass sie die Intensität und das Tempo des Oktobers und Novembers und frühen Dezembers während der Weihnachtspause verloren haben. Dass sie jetzt nicht mehr ihr bestes Hockey spielen und dass dafür ihr Gegner erstmals in dieser Saison so richtig in Fahrt gekommen ist. Es spielt keine Rolle, wenn die Zürcher das Spiel verlieren. Fürs Penaltyschiessen sind sie in jedem Fall qualifiziert.
Mindestens ein Finne wird jubeln
So viel Melancholie hat sich noch nicht einmal Aki Kaurismäki ausgedacht: Scheitern die Finnen heute gegen die ZSC Lions, dann ist ein Finne der Held der Geschichte: Der finnische ZSC-Torhüter Ari Sulander. Entweder verhext er die Blauen schon im Spiel - oder dann im Penaltyschiessen.
Der ZSC für die Historie?
Die ZSC Lions stehen vor dem grössten internationalen Erfolg unseres Klub-Eishockeys. Noch ist Ambris Triumph im Supercup von 1999 das Mass aller Dinge. Aber damals hat Ambri nur in einem Spiel, im Finale, einen Grossen (Magnitogorsk) besiegt. Wenn die ZSC Lions heute das CHL-Finale erreichen, dann haben sie hintereinander Spitzenteams aus Schweden, Tschechien und Finnland eliminiert. Und das wäre der grösste Klub-Erfolg aller Zeiten.
Aber was ist, wenn Ari Sulander versagt? Wenn er zum tragischen Helden im Sinne von Aki Kaurismäki wird? Ich bin sicher: Wir werden heute Abend ein Hockey-Drama erleben. Gut möglich, dass wir in ein paar Jahren fragen: Und wo warst du damals, am Abend des 7. Januars 2009?