Neuer ZSC-CoachCrawford ist bei weitem kein Hartley
Die ZSC Lions haben wieder einen NHL-Bandengeneral. Aber im Vergleich zu Bob Hartley ist Marc Crawford höchstens ein Bandengefreiter.

Marc Crawford ist der neue Trainer der ZSC Lions. (Bild: Keystone)
Die ZSC Lions haben unter NHL-General Bob Hartley auf grandiose Art und Weise den Titel geholt. Deshalb hat sich Sportchef Edgar Salis nach dem Weggang seines Meistertrainers zu Calgary von allem Anfang an darauf konzentriert, das Kommando an der Bande und im Training wieder einem NHL-General anzuvertrauen. Das ist grundsätzlich richtig: Salis hat erkannt, dass er einen «harten Hund», eine starke Persönlichkeit an der Bande braucht, um seine ZSC Lions zu Höchstleistungen zu treiben. Drei NHL-Generäle standen Salis zur Auswahl: Ted Nolan, Tom Renney und Marc Crawford. Nur einer dieser drei ist eine charismatische Persönlichkeit, die mit Bob Hartley auf Augenhöhe steht: Ted Nolan (20 Minuten Online berichtete).
Doch die ZSC Lions haben Marc Crawford verpflichtet. Auf den ersten Blick ist Crawford zwar auch ein Held: 1993 AHL-Coach des Jahres, 1995 NHL-Coach des Jahres und 1996 Stanley Cup-Sieger mit Colorado. Doch in erster Linie ist er ein Verlierer auf allen Ebenen: Der 51-Jährige flog mit Vancouver, Los Angeles und Dallas jeweils recht kläglich aus den Playoff und seine Dienste waren nicht mehr erwünscht, er scheiterte mit Kanada beim Olympischen Turnier 1998 in Nagano und noch schmählicher mit den Kanadiern beim letzten Spengler Cup. Zuletzt hatte er sich unter anderem bei Montréal und Edmonton vergeblich um eine Rückkehr ins Trainer-Business bemüht.
In schlimme Schlägerei «verwickelt»
Legendär ist Marc Craword wegen einer der übelsten NHL-Schlägereien aller Zeiten: Am 8. März 2004 packte Vancouvers Todd Bertuzzi Colorados Steve Moore von hinten, schlug ihn bewusstlos und verletzte ihn so schwer (mehrere gebrochene Halswirbel), dass seine Karriere nach 69 NHL-Spielen zu Ende war. Der Grund für diesen bis heute im modernen Hockey einmaligen Ausraster: Vancouvers Captain Mark Näslund hatte am 16. Februar des gleichen Jahres durch einen Check von Moore eine Gehirnerschütterung erlitten – Bertuzzi rächte die Verletzung des Captains. Der Fall führte zu einer 19-Millionen-Dollar Klage, einer Busse von 250 000 Dollar für Vancouver, einer Strafanzeige gegen Todd Bertuzzi (Freispruch auf Bewährung) und einer Sperre für den Rest der Saison.
Marc Crawford wurde für diesen Zwischenfall zwar von der Liga nicht angeklagt oder bestraft, aber immer wieder haben Kritiker moniert, er trage an diesem Ausraster als Cheftrainer von Vancouver auch Verantwortung. Todd Bertuzzi war bis zu diesem Zwischenfall mit 60 Punkten aus 69 Spielen einer der wichtigsten Spieler Vancouvers. Seine Sperre bis Saisonende war ein wichtiger Grund für das anschliessende Scheitern in den Playoffs.
Crawford, der sanfte Ausbildner
Ein NHL-Coach ist nicht automatisch ein NLA-Meistertrainer. Bob Hartley war mit seiner Hockeybesessenheit, seinem Kommunikationstalent und seiner Fähigkeit, die Gegner zu analysieren und an der Bande gleich einem Feldherr auszucoachen, ein Glücksfall für die ZSC Lions. Und ein Spezialist für Playoffs. Er arbeitete bei den ZSC Lions mit der gleichen Intensität und Beharrlichkeit wie zuvor in der NHL.
Marc Crawford hat nicht Bob Hartleys Charisma. Er gilt zwar auch als guter Kommunikator (zuletzt hat er als TV-Analyst gearbeitet) und er hat das für nordamerikanische Trainer typische Selbstvertrauen und autoritäre Selbstverständnis. Aber ein «harter Hund» ist er nicht. Im Vergleich zu Bob Hartley ist er eher ein sanfter Ausbildner und hat einen guten Ruf als Integrationsfigur mit einer Neigung, «politisch» zu coachen - indem er den vermeintlichen Leitwölfen viel Auslauf gibt.
Seit Crawford im Frühjahr 1996 mit Colorado gegen Florida das Finale im den Stanley Cup gewann, hat er in den Playoffs immer verloren, wenn es drauf ankam. Als Spieler oder Coach hat er neben diesem Stanley Cup nichts gewonnen. Dort, wo Bob Hartley mit seinen Teams noch einmal einen für nicht möglich geglaubten Schritt macht, dort bleibt Marc Crawford stehen. Im Wesen und Wirken mahnt der neue ZSC-Trainer eher an Ueli Schwarz als an Bob Hartley.
ZSC-Titelverteidigung wäre ein Weltwunder
Was dürfen wir also von Marc Crawford in Zürich erwarten? Er wird mit den Spielern gnädiger sein als sein Vorgänger. Deshalb werden erst einmal alle bis über die Weihnachtspause hinaus voll des Lobes über den neuen Chef sein. Mit ziemlicher Sicherheit werden die ZSC Lions in der Qualifikation besser sein als letzte Saison (7.). Aber bei allem Respekt vor dem neuen ZSC-Cheftrainer: Er ist nicht dazu in der Lage, ein Playoff-Märchen wie Bob Hartley zu schreiben. Die ZSC Lions haben einen NHL-Bandengeneral durch einen NHL-Bandengefreiten ersetzt. Eine Titelverteidigung wäre kein Wunder. Eine Titelverteidigung wäre ein Hockey-Weltwunder.