Der Mann, der nie eine Chance hatte

Aktualisiert

«Time-out»Der Mann, der nie eine Chance hatte

Die ZSC Lions haben Colin Muller gefeuert. Ein Wechsel wie vom Soldaten Schwejk zu General Norman Schwarzkopf.

von
Klaus Zaugg
Bengt-Ake Gustafsson wird ein Kulturschock für die Spieler der ZSC Lions.

Bengt-Ake Gustafsson wird ein Kulturschock für die Spieler der ZSC Lions.

Trainerwechsel sind selten logisch. Meistens scheitern Trainer an Entwicklungen und Umständen, die beim Amtsantritt in der ganzen Tragweite nicht zu erkennen waren. Kritik am Management ist bei einer Trainerentlassung deshalb oft billig. Weil hinterher alle schlauer sind.

Doch bei Colin Muller ist es anders. Der kanadisch-schweizerische Doppelbürger hatte gar nie eine Chance. Und das Management hätte es von allem Anfang an wissen müssen. Es ist die logischste Trainerentlassung der letzten 25 Jahre.

Scheitern wegen fehlenden Führungsqualitäten

Es geht dabei nicht um die fachliche Kompetenz Mullers. Die ist unbestritten. Aber es geht um die Führungsqualitäten, die in einem so emotionalen und intensiven Spiel wie Eishockey im Zentrum stehen. Eine Gruppe junger Männer zu führen und an die Leistungsgrenzen zu treiben, die dafür bezahlt werden, zu spielen (nicht zu arbeiten) ist eine der schwierigsten Führungsaufgaben überhaupt.

Colin Muller war der Assistent seines Vorgängers Sean Simpson. Simpson hat die ZSC Lions international zu märchenhaften Erfolgen geführt (Champions Hockey League und erster Sieg über ein NHL-Team) - aber in der Meisterschaft hat er versagt: Zweimal ist er bereits im Viertelfinale gescheitert und letzte Saison in der Qualifikation nicht über den 6. Platz hinausgekommen. Muller hätte, um sich im Amt halten zu können, besser sein müssen als sein charismatischer ehemaliger Chef. Das war unmöglich. Er musste scheitern.

Lions benötigen Bandengeneral

Der Assistent ist näher bei den Spielern als der Chef. Je grantliger der Chef (und Simpson konnte grantlig sein), desto kumpelhafter der Assistent. Der Vergleich von Muller mit der antimilitaristischen Satirefigur Soldat Schwejk, die sich mit Witz und List durchs Leben schlägt, mag sehr boshaft sein. Und doch trifft er den Kern der Sache: Eine Mannschaft mit so vielen starken Spielerpersönlichkeiten wie die der ZSC Lions kann nur von einem charismatischen, autoritären «Bandengeneral» geführt werden. Muller konnte nach seiner Tätigkeit als loyaler, kluger Assistent, bei den Spielern halt oft ein wenig in der Rolle des Soldaten Schwejk, nicht aus seiner Haut fahren und auf einmal der grosse, autoritäre Zampano werden. Die Leitwölfe haben ihn nicht ernst genommen. Auch dann nicht, wenn er tobte.

Die Ära Simpson ist mit dem Ausscheiden in den letzten Viertelfinals und der Berufung von Simpson zum Nationaltrainer erfolglos zu Ende gegangen. Es wäre deshalb ein Gebot der Stunde gewesen, mit einem neuen Coachingteam eine neue Ära zu beginnen. So wie es Zug nach dem Wechsel von Sean Simpson nach Zürich mit Doug Shedden vorgemacht hat.

Gustafsson die logische Lösung

Der Schwede Bengt-Ake Gustafsson war eine logische und perfekte Lösung für die Zürcher. Vielleicht zu einfach und zu logisch. Und er war halt auch eine unbequeme Lösung. Mit Colin Muller bekamen die Spieler einen Coach, den sie im Griff hatten, bei dem sie machen konnten, was sie wollten und das Management einen Mann, der das ganze Unternehmen ZSC Lions kannte. Bengt-Ake Gustafsson holen hiess dagegen, aus der eigenen Bequemlichkeit gerissen zu werden. Also machten Geschäftsführer Peter Zahner und sein Sportchef Edgar Salis Colin Muller zum Cheftrainer. Es war ja so «gäbig».

Bengt-Ake Gustafsson ist eine der ganz grossen Persönlichkeiten des Welteishockeys. Eine Legende in der NHL (629 Spiele für Washington) und Weltmeister als Spieler und als Coach, schwedischer Meister und als schwedischer Nationaltrainer Olympiasieger und Weltmeister im gleichen Jahr (2006). Das Schweizer Eishockey kennt er als Assistent von Ralph Krueger (bis 2002) und aus den zwei Jahren als Trainer der SCL Tigers und Bändiger von Todd Elik.

Erster Trainer-Irrtum von Zahner/Salis

Nach dem Vertragsende mit dem schwedischen Verband hat Gustafsson keinen neuen Job angenommen. Die Verhandlungen mit den ZSC Lions waren im Sande verlaufen. Kürzlich hat er seine Freunde in der Schweiz besucht und es war eine der Absurditäten des Sportes, dass dieser Trainer mit Weltformat ein wenig durch die Schweiz tingelte und sich Colin Muller zur gleichen Zeit verzweifelt darum bemühte, die ZSC Lions zu einer Mannschaft zusammenzuschweissen.

Nun findet doch zusammen, was zusammengehört: Gustafsson wird neuer Cheftrainer der ZSC Lions. Aus der NHL kommt die Regel, dass ein Sportmanager zweimal den falschen Coach holen darf - doch beim dritten Trainer-Irrtum wird er selber gefeuert. Peter Zahner und Edgar Salis ist nun der erste Trainer-Irrtum unterlaufen, sie haben noch eine weitere Chance.

Kulturschock für die Spieler

Für die Spieler folgt nun ein Kulturschock. Auf den Soldaten Schwejk folgt sozusagen General Schwarzkopf. Sind die ZSC Lions mit dem charismatischen Bandengeneral Gustafsson gleich ein Meisterkandidat? Nein. Der Weg zurück nach oben wird lang und beschwerlich. Aber das Potenzial ist da, um eine Meisterschaft zu gewinnen. Jeder Tag mit Colin Muller war ein verlorener Tag in der Weiterentwicklung der Mannschaft und nun geht es darum, den Rückstand auf die Marschtabelle so schnell wie möglich aufzuholen.

Henryk Gruth wird Assistent

So viel Ruhm und Erfahrung gab es an der Bande eines NLA-Teams noch nie: Henryk Gruth (53) wird vorläufig Assistent des neuen ZSC-Trainer Bengt-Ake Gustafsson (52).

Gruth gilt als bester polnischer Spieler aller Zeiten. Er hat 17 WM-Turniere gespielt und an den Olympischen Spielen von 1980, 84, 88 und 92 teilgenommen und 248 Länderspiele bestritten. Der geniale Verteidiger kam 1985 erstmals als Ausländer zum ZSC und arbeitet heute mit grossem Erfolg in der Nachwuchsorganisation der ZSC/GCK-Lions.

Zum ersten Mal stehen damit zwei Mitglieder aus der Ruhmeshalle des Internationalen Eishockeyverbandes IIHF beim gleichen Team gemeinsam an der Bande. Gustafsson wurde 2003, Gruth 2006 in die «Hall of Fame» der IIHF aufgenommen.

Gruth wird bis auf Weiteres Assistent von Gustafsson. (kza)

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