Nach Herzschlag-FinaleDer wieder erwachte Mythos der ZSC Lions
Die ZSC Lions gehören dem Milliardär Walter Frey. Aber die grössten Erfolge feiern sie, wenn sie so spielen, als hätten sie kein Geld. Das ist der Mythos ZSC.
Um das zu verstehen, was uns die ZSC Lions soeben beschert haben, müssen wir das Rad der Zeit ein wenig zurückdrehen. Bis in die letzten Jahre des letzten Jahrhunderts. In die Zeit, in der der Mythos ZSC Lions entstanden ist. Ein Mythos erklärt, umschreibt und deutet das Unerklärliche. Also das, was wir nicht mit Mannschaftsaufstellungen, Taktik, Statistiken und Transferpolitik alleine erklären können.
1997 entstehen aus dem Zusammengehen des noblen GC und des proletarischen ZSC die ZSC Lions. Die ZSC Lions gewinnen 2000 und 2001 erstmals die Meisterschaft. Auch wenn der Milliardär Walter Frey das Unternehmen alimentiert: Es sind keine gekauften Lorbeeren. Natürlich, ohne Geld gibt es keine Spitzenmannschaft. Aber Geld ist nicht alles. Diese ersten Triumphe der ZSC Lions in den Finals gegen den HC Lugano sind keine Triumphe des Geldes, sonst hätte Lugano gewinnen müssen. Diese Triumphe waren vielmehr der Lohn der Angst.
Damals war Simon Schenk der Sportchef der ZSC Lions. Nach der turbulenten Saison 1997/98 wird er die Angst vor dem Abstieg nicht los. Nicht Grössenwahn, der schon so vielen Grossklubs zum Verhängnis geworden ist, sondern Vorsicht und Bescheidenheit prägen Schenks Transferpolitik. Noch im Laufe der Krisensaison 1997/98 legt Schenk die Basis für eine bessere Zukunft. Unter anderem mit dem Transfer von Torhüter Ari Sulander.
Dramatische Finalspiele
Gewiss, Glück war beim Aufbau dieser ersten Meistermannschaften auch dabei. Doch die entscheidenden Faktoren waren Schenks Besonnenheit, Schlauheit und Konservatismus. Die ZSC Lions gewinnen 2000 und 2001 die Titel als Aussenseiter. Und als Mannschaft. Hier beginnt das, was wir den Mythos ZSC nennen. Spieler, die unter ganz besonderen Umständen zu einer verschworenen Einheit zusammenwachsen. Die in der Rolle des Aussenseiters an ein grosses Ziel glauben. Lugano ist 2000 und 2001 im Finale hoher Favorit und verliert zweimal dramatisch. 2000 durch das Tor von Adrien Plavsic ähnlich spektakulär wie der SCB am Dienstag: 3:3 steht es in der hochspannenden sechsten Partie in der letzten Minute. Jeder rechnet schon mit der Verlängerung. Christian Weber sieht, dass Adrien Plavsic an der blauen Linie in Schussposition kommt und macht Druck auf Luganos Torhüter Cristobal Huet. Er schlägt ihm den Stock aus der Hand, die Schiedsrichter sehen es nicht. Der Franzose lässt den Weitschuss von Plavis passieren. Die ZSC Lions sind Meister. Ein Jahr später ein noch grösseres Drama: Morgan Samuelsson erwischt Cristobal Huet in Lugano in der Verlängerung des finalen Spiels zum 2:1.
Die grossen Triumphe von 2009 – der Sieg in der Champions Hockey League und der Triumph im Victorias Cup gegen die Chicago Black Hawks (der erste Sieg einer Schweizer Mannschaft gegen ein NHL-Team) schaffen die ZSC Lions erneut aus der Position des krassen Aussenseiters heraus.
Hartley als Glücksfall
Im Frühjahr 2011 erkennen ZSC-General Peter Zahner und Sportchef Edgar Salis – Simon Schenk managt jetzt die GCK Lions in der NLB – spät, aber nicht zu spät, dass sie vom rechten Weg abgekommen sind. Dass sie vergessen hatten, was den Mythos ZSC ausmacht. Die ZSC Lions sind nach den grossen Triumphen von 2009 zu einem Operetten-Klub verkommen. Der Mythos ZSC wird, endlich, wieder beschworen. Sie holen den NHL-Bandengeneral Bob Hartley. Es ist die Rückkehr zu den Ursprüngen. Nun prägen wieder Leidenschaft, Mut, Bescheidenheit, taktische Schlauheit und ein spielerischer Konservatismus die Mannschaft. Bob Hartley vereinigt in einer Person alle guten Eigenschaften seiner legendären Vorgänger: Des kantigen Kent Ruhnke, des selbstverliebten Larry Huras und des grantligen Sean Simpson.
Bob Hartley gelingt es, den Mythos ZSC Lions am 23. Dezember 2011 wieder zu beleben. Der charismatische Kanadier ist zu diesem Zeitpunkt mit ziemlicher Sicherheit nur noch im Amt, weil ZSC-General Peter Zahner und Sportchef Edgar Salis so viel Prestige, Geld und einen Zweijahresvertrag in den NHL-Startrainer investiert haben. Eine weitere Niederlage in Genf gegen Servette wird die ZSC Lions in den Strichkampf stürzen. Jetzt braucht es ein Zeichen. Ein Wunder. Und tatsächlich: Mit drei gegen fünf Feldspielern gelingt der Ausgleich und dann der Sieg im Penalty-Schiessen. Sie spielen jetzt endlich wieder so, als hätten sie kein Geld. Sie sind wieder mit einer Leidenschaft bei der Sache, die nichts mit Salär und Professionalismus, aber sehr viel mit der Freude am Spiel zu tun hat.
Mythos erwacht
Jetzt ist klar: Es gibt ihn noch, den Mythos ZSC Lions. Die Spieler hören nicht mehr nur, was der Trainer will. Sie beginnen es zu verstehen und zu glauben. Und dieser Trainer bricht alle Tabus, kümmert sich nicht um politische Befindlichkeiten. Er mustert Adrian Wichser aus, er scheut sich nicht, den teuren Neuzuzug John Gobbi wegen schwachen Leistungen auf die Ersatzbank zu setzen, er weist jungen Spielern wie Luca Cunti, Chris Baltisberger oder Reto Schäppi und Ronalds Kenins wichtige Rollen zu und sie entwickeln sich in den Playoffs zu echten Teamstützen. Er erlöst Lukas Flüeler aus dem überlangen Schatten von Ari Sulander.
Als die Playoffs beginnen, ist der Mythos ZSC Lions erwacht. Der Glaube an das Unmögliche brennt geradezu in den Herzen und Seelen der Spieler. Der HC Davos und Qualifikationssieger Zug werden aus den Playoffs gekippt und in einem grandiosen Finale folgt die Krönung gegen den SC Bern.
Den Erfolg können auch die Millionen von Walter Frey nicht kaufen und den Mythos ZSC Lions kann Geld nicht beleben. Dieser Mythos muss gelebt werden. Bob Hartley lebt und befeuert den Mythos ZSC Lions. Das ist eines seiner Erfolgsgeheimnisse.