«Time out»Gibt es eine Gerechtigkeit, stolpert Kloten
Der EHC Biel oder die Kloten Flyers – wer schafft es heute Abend? Wenn es eine höhere Gerechtigkeit im Sport gibt, dann gelingt Biel der Einzug in die Playoffs.
Höhere Gerechtigkeit? Ja, ich weiss, es ist heikel, diesen Begriff für oder gegen eine Mannschaft ins Feld zu führen. Und doch: Jetzt ist diese Gelegenheit da. Die Kloten Flyers haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie haben keine Gesetze gebrochen. Nur die Liga und der Verband haben die geschriebenen Gesetze im letzten Sommer ganz, ganz fest gebogen. Damit die Klotener Hockeykultur, eine der ältesten im Lande, überleben kann. Was wir ja alle begrüsst haben.
Tatsächlich schien es im letzten Herbst so, als seien die Klotener dankbar dafür, dass sie weiterhin in der höchsten Spielklasse mitspielen dürfen. Dass Steuern erlassen worden sind. Dass ihnen von allen Seiten geholfen worden ist. Sie gelobten Bescheidenheit und Kostenbewusstsein. Sie wollten, um Geld zu sparen, nur mit zwei statt vier Ausländern und vielen, vielen, vielen Junioren spielen. Sie rühmten sogar ihren «Sirup-Sturm», eine ganze Linie mit Junioren. Sie gelobten, ihre soeben gerettete Hockeykultur, eine der besten Nachwuchsorganisationen im Lande, zu hegen und zu pflegen. Sie wollten anders sein als die «Hockey-Grossgrinde» in der Stadt Zürich oder in Bern.
Der unnötige Rauswurf des Trainers
Diese Bescheidenheit ist längst verflogen. Hoffart ist eingekehrt. Wie alle anderen haben auch die Flyers mehr als vier Ausländerlizenzen eingelöst. Sie haben im Laufe der Saison mit Raffaele Sannitz vom HC Lugano sogar einen Nationalstürmer verpflichtet. Junioren sind nicht zu tragenden Balken des Hauses Kloten geworden. Sie sind inzwischen vor allem zur Zierde da, wie die Geranien vor den Riegelhäusern im Zürcher Unterland. Auch das ist legitim und würde alleine noch nicht dafür ausreichen, eine höhere Gerechtigkeit anzurufen.
Das Problem ist ein anderes. Der neue Sportchef André Rötheli hat ein ungeschriebenes, aber ehernes Gesetz missachtet, das da heisst: Lobe und preise und ehre deinen Trainer bis zum letzten Arbeitstag. Denn keiner ist im Mannschaftsport so wichtig wie der Trainer. Er ist wichtiger als der Sport-, der Presse- und der Materialchef zusammen. Deshalb wird er entweder gefeiert oder gefeuert.
Als André Rötheli kam, stand der tüchtige Trainer Tomas Tamfal mit seiner Mannschaft auf dem 6. Platz. Ohne akute Playout-Sorgen und ausserhalb der Reichweite von Biel. Mit ungeschickten Äusserungen in der Öffentlichkeit hat Zauberlehrling Rötheli seinen Trainer sogleich zum Gaudi der Medien destabilisiert. Aber noch nicht entlassen. Eine unerhörte Respektlosigkeit und eine Todsünde gegenüber einem Trainer, der die Mannschaft in einer überaus schwierigen Situation im letzten Spätsommer übernommen und bis dahin sicher durch die Saison geführt hatte. Tomas Tamfal musste schliesslich gehen. Als eigentlich alle bereits dachten, nun müsse er doch nicht gehen. Die Mannschaft ist gleich im ersten Spiel unter Tamfals Nachfolger Felix Hollenstein unter den Strich gerutscht. Höhere Gerechtigkeit?
Klotener Vorwürfe an den ZSC haltlos
In Biel hingegen wird der Trainer nicht nur respektiert, wie es die ungeschriebenen Gesetze des Hockeys verlangen. Dem Trainer wird sogar in einer Art und Weise gehuldigt, wie wir das sonst nur aus Davos und zu den Zeiten von Ralph Krueger beim Verband kennen. Kevin Schläpfer gilt in Biel als «Hockey-Gott». Als die Bieler in eine Krise und unter den Strich rutschten, kam es keinem Menschen in den Sinn, deswegen den Trainer in Frage zu stellen. Nun haben die Bieler die Chance, heute aus eigener Kraft die Playoffs zu schaffen.
War es bereits höhere Gerechtigkeit, dass die Bieler mit einem 7:0 ausgerechnet gegen die ZSC Lions (die drei Tage zuvor die Kloten Flyers besiegt hatten) über den Strich geklettert sind? Nein. Schliesslich haben die Lakers den Kloten Flyers ein 12:0 auf dem Silbertablett dargereicht. Noch im November hatten sie die Flyers 6:4 gebodigt. Und was war eigentlich mit Servette beim jämmerlichen 0:5 am letzten Samstag in Kloten los? Zuvor hatten die Genfer den gleichen Gegner 5:2 besiegt. Nein, niemand hat Kloten benachteiligt oder betrogen.
Playouts und dann der Grossangriff?
Die Behauptung ist zwar nicht durch Umfragen wissenschaftlich erwiesen. Aber ich wage sie trotzdem: Die überwiegende Mehrheit der Hockey-Schweiz würde es als höhere Gerechtigkeit empfinden, wenn die Kloten Flyers von Biel zu einer Denkpause in die Playouts geschickt würden. Es wäre ein Zeichen, dass im Eishockey nicht einfach straflos ohne Rücksicht auf ungeschriebene Gesetze gefuhrwerkt werden kann. Es wäre ein symbolischer Akt der höheren Gerechtigkeit.
Folgen hätte das Verpassen der Playoffs für die Kloten Flyers keine: Trainer Felix Hollenstein würde nur kurzzeitig ein Zacken aus der Krone fallen. Bis zum Start der neuen Saison wäre diese Krone längst wieder repariert.
Die Kloten Flyers sind dank ihrem neuen Besitzer Philippe Gaydoul wirtschaftlich heute so stark und unabhängig, dass es für einmal keine Rolle spielt, ob Playoffs oder Playouts gespielt werden. Der Ligaerhalt ist mit dieser Mannschaft, die mit ein bisschen Glück sogar Meister werden könnte, auch nicht gefährdet. Die Flyers würden in der ersten Playoutrunde die SCL Tigers vom Eis fegen. Für Sportchef André Rötheli wäre es eine heilsame Lehre. Und selbst der Saisonkartenverkauf und die Suche nach Werbegeldern würden nicht erschwert. Ganz im Gegenteil. Nach dem Motto «So jetzt aber erst recht!» könnte sogar ein Boom entfacht werden. Schliesslich sagen die Welschen: «Reculer pour mieux sauter» («ein paar Schritte zurück, um dann weiter springen zu können»). Mit ziemlicher Sicherheit würde eine Relegation in die Playouts das Hockeyunternehmen der Kloten Flyers langfristig sogar stärken.
Wenn trotz allem Biel in die Playouts muss und die Kloten Flyers in den Playoffs für Furore sorgen, dann kann der sachliche, neutrale Chronist nur resignieren und feststellen, dass es im Sport halt so ist, wie im richtigen Leben: Es gibt doch keine höhere Gerechtigkeit.