Vor der besten Saison des Jahrhunderts

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«Time-out»Vor der besten Saison des Jahrhunderts

Die grossen Eishockey-Klubs sind so mächtig, die Liga ist so ausgeglichen wie noch nie. Wir dürfen uns auf eine unterhaltsame Eishockey-Saison freuen.

Klaus Zaugg
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Klaus Zaugg

SCB, ZSC Lions, Davos, Fribourg, Lugano, Zug, Kloten, Servette – acht Teams können mit dem Beistand der Hockey-Götter Meister werden. Wenn sie denn die Playoffs erreichen. Sechs von zwölf Mannschaften hingegen drohen die Playouts: Ambri, Lakers, Biel, Servette, Langnau, Kloten. Die Ausgeglichenheit in der NLA war noch nie so gross wie in diesem Herbst.

Saisonprognosen waren im letzten Jahrhundert einfach: Jahrelang gewann La Chaux-de-Fonds (1968 bis 1973 sechsmal hintereinander), dann entweder Bern, Langnau oder Biel (die drei Berner Klubs belegten sechsmal hintereinander die ersten drei Plätze), später entweder Lugano oder Bern (1986 bis 1992) und anschliessend viermal hintereinander Kloten. Jeder Prophet hatte Volltreffer-Garantie.

Unberechenbare Hockey-Welt

Von diesen geordneten Verhältnisse sind wir inzwischen weit entfernt. Vor einem Jahr wagte ich zum Spass eine verrückte Prognose: Davos fliegt in der ersten Playoff-Runde raus und die ZSC Lions werden Meister. Ausdrücklich als Scherz deklariert. Und wer hätte denn vor einem Jahr die Prognose gewagt, dass Marc Lüthi seinen Trainer Larry Huras feuert, bevor alle Blätter von den Bäumen gefallen sind und der Verbandspräsident nach der Saison die Kloten Flyers vor dem Untergang rettet und zurücktritt?

Ich wage trotzdem eine Prognose. Aber nur eine reine Scherzprognose, eigentlich bloss eine Provokation: Fribourg-Gottéron wird Meister, Davos taucht in die Playouts, der SCB und die Lakers feuern ihre Trainer schon im Herbst, Kloten schafft das Finale, Langnau inszeniert im Mai 2013 ein Finanztheater, Biel bestreitet die Liga-Qualifikation und Nationaltrainer Sean Simpson wird nach der WM gefeuert. Nicht lachen und nicht spotten und nicht fluchen bevor wir nicht ganz sicher sind, ob das Unwirkliche nicht doch noch Wirklichkeit wird.

Die Schweiz ist ganz oben angekommen

Und wo stehen wir im Herbst 2012 im internationalen Vergleich? Nun, wir sind in der globalisierten Eishockey-Welt endlich ganz oben angekommen. Die missglückte WM in Helsinki ist für unser internationales Ansehen unerheblich. Die Resultate an den WM-Turnieren sagen nämlich nicht alles über Ansehen und Bedeutung einer Hockey-Kultur. In diesem Falle steht die letzte Wahrheit für einmal nicht oben auf der Resultatanzeige. 1998 erreichten wir das WM-Halbfinale. Im letzten Frühjahr waren wir mit Platz 12 an der WM so schwach wie nie mehr seit 1997. Und trotzdem stehen wir um Lichtjahre besser da als 1998.

Wir werden nämlich endlich in der globalen Hockeywelt ernst genommen. Noch vor zehn Jahren wäre ein Wechsel eines NHL-Generals und Stanley-Cup-Siegers in die Schweiz einem Karriere-Knick gleichgekommen. Nun hat Bob Hartley die ZSC-Lions zum Titel gecoacht und konnte sich einen NHL-Job aussuchen. Ersetzt wird er in Zürich durch Marc Crawford, einen Ex-Stanley-Cup-Sieger, der die Rückkehr ins Trainergeschäft sucht.

Im Mittelpunkt der Hockey-Welt

Bei der WM beschäftigen wir uns inzwischen mit den gleichen Gerüchten wie die Schweden, Finnen oder Russen: Zu welchen NHL-Klubs wechseln die Stars unserer Liga? Werden unsere NHL-Spieler transferiert? Damien Brunner, der in Kloten nicht über die vierte Linie hinausgekommen ist, hat bei Detroit unterschrieben. Ralph Krueger, unser Ex-Nationalcoach, wird Cheftrainer der Edmonton Oilers. Nicht vergessen: Immobilien-Oligarch Markus Bösiger arbeitet fleissig am «Projekt Helvetics», einem Team in der KHL mit Sitz in der Schweiz.

Wir sind in der globalisierten Eishockeywelt des 21. Jahrhunderts ganz oben angekommen. Unsere Hockey-Kultur ist eine der aufregendsten der Welt. Mitten in Europa. Sozusagen an der Schnittstelle zwischen NHL und KHL und damit im Mittelpunkt der Hockeywelt.

Einigkeit der grossen Klubs

Daran ändert auch die Baustelle Nationalmannschaften nichts: Das Chaos rund um unsere Nationalteams (noch nicht einmal der U-20-Nationalcoach ist bestimmt!) wird durch die Gestaltungskraft und Einigkeit der grossen Klubs (Davos, ZSC Lions, Zug und SCB) bei weitem kompensiert. Nicht einmal ein WM-Abstieg würde unser Hockey erschüttern. So eine Pleite würde höchstens die Unterhaltungskultur bereichern.

Die Arbeit der wichtigen Klubs macht auf allen Ebenen die Qualität unseres Hockeys aus – im Nachwuchsbereich, bei der Gestaltung der Reglemente, aber auch beim Bau und der Renovation von neuen Stadien, beim Aushandeln der TV-Verträge und in allen politischen Fragen. Dazu passt, dass der neue Verbandspräsident Marc Furrer nichts ohne den Segen von SCB-General Marc Lüthi unternehmen kann. Und weder der Verbandspräsident noch Verbandsdirektor Ueli Schwarz werden entscheiden, ob Nationaltrainer Sean Simpson nach der WM gefeuert wird. Das wird SCB-General Marc Lüthi nach Rücksprache mit ZSC-Manager Peter Zahner und HCD-Präsident Gaudenz Domenig bestimmen.

Wir dürfen auf die beste Saison dieses Jahrhunderts hoffen – oder doch wenigstens auf die unterhaltsamste der Neuzeit.

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