ZSC 0 - Scheibli 80

Aktualisiert

«Time-out»ZSC 0 - Scheibli 80

Walter Scheibli ist weit mehr als ein Radioreporter. Er ist der letzte Popstar des Radio-Journalismus und der zweitberühmteste Hockey-Radioreporter der Welt.

Klaus Zaugg
von
Klaus Zaugg

Am Sonntag, 14. Oktober, wird Walter Scheibli 80 Jahre alt. Sein Geburtstag ist ein Arbeitstag. Er berichtet für Radio 24 aus dem Hallenstadion über die Partie ZSC Lions gegen den EHC Biel.

Im 21. Jahrhundert dürfte es eine Persönlichkeit wie Walter Scheibli in der Medienszene eigentlich so wenig geben wie einen domestizierten Dinosaurier im Zürcher Zoo. Die Lokalradios haben sich vom Nachrichtenmedium zu Dudelstationen gewandelt. Den Sportreportern bleiben nur noch Sekunden für ihre Durchsagen. Länger als zwei Minuten ist tabu.

Vorbei die goldenen Jahre, als das Radio das wichtigste Sportmedium war und die Männer, die uns buchstäblich stundenlang live in die Stube berichteten, Kultstatus hatten: An die Stimmen von Henri Eggenberger, Jean-Pierre Gerwig, Hans Estermann oder Sepp Renggli erinnern wir uns wie an die Oldies unserer Jugendzeit. Das Fernsehen hat uns diese Romantik genommen. Der Sport findet nur noch in Bildern und nicht mehr im Kopfkino statt.

Keiner ist wie Walti

Aber Walter Scheibli hat die Zeit angehalten. Er berichtete schon über den ZSC, als Radio 24 noch illegal vom Piz Groppera endete und inzwischen hat er bei Radio 24 sogar Roger Schawinski überlebt. Was macht das Phänomen Walter Scheibli aus?

Es sind verschiedene Faktoren. Erstens einmal verkörpert Walter Scheibli wie niemand sonst die ZSC-Kultur. Charme und Romantik des alten Hallenstadions und die alten Helden sind nicht mehr. An die «belle Epoque» erinnert uns nur noch die Stimme von Walter Scheibli. Wenn wir ihn hören, reisen wir zurück in die Zeit, als der ZSC noch ein unverwechselbares Kulturgut der Stadt Zürich und nicht einfach ein «gemänätschtes» Sportunternehmen war und uns gleich der Lindenstrasse endlose Folgen von Dramen sportlicher und wirtschaftlicher Natur zwischen NLB und NLA lieferte.

Zweitens hat Walter Scheibli seinen ganz eigenen Stil. Akustisch und optisch. Unverwechselbar. Mit seiner heiseren, an Joe Cocker mahnenden Stimme, kann er so kultig wie sonst kein Mensch «Tsättäszee» sagen. Und er hat die unverwechselbare kurz-prägnante Resultatdurchsage erfunden, die tönt wie ein Hockey-Rapp: «Tsättäszee vier, Biel null.» Also nicht wie die gewöhnlichen Reporter sagen: «Der ZSC führt gegen Kloten vier zu null.» Und ein ZSC-Tor verkündet er immer dreimal: «Goool, Goool, Goooool». Und alles immer im unverwechselbaren gelben Pullover auf der Medientribüne. Walter Scheibli ist bis heute der einzige Sportreporter der Welt, der von den Fans regelmässig in Sprechchören gefeiert wird. «Waaalti Scheibli» echot es im Hallenstadion tausendfach von den Rängen.

Drittens eine ganz besonders liebenswürdige Persönlichkeit. Walter Scheibli liebt den Sport. Er beherrscht wie kein anderer die charmant-sympathische Parteilichkeit für einen Klub, den ZSC. Sie ist unüberhörbar und doch voller Anerkennung für den Gegner. Und in Krisen widersteht er der Versuchung der Häme. Sein direkter, unverwechselbarer und doch respektvoller Interview-Stil ist deshalb nie verletzend. Walter Scheibli hat eine Art, die Dinge zu sagen, dass er am Radio erzählen könnte, Präsident Walter Frey sei ein schäbiger Sozialhilfeempfänger – und niemand würde es ihm übel nehmen.

Viertens die Kontinuität. Seit der Saison 1982/83 berichtet Walter Scheibli über die Spiele des Zürcher Hockey-Stadtklubs. Seit 1939 ist er ZSC-Fan – die Dauer dieser Karriere und diese Liebe zum Klub sind einmalig.

Fünftens das Medium. Beim Staatsradio wäre eine Figur wie Walter Scheibli nicht möglich. Es brauchte das als Piratensender gegründete Lokalradio 24. Nur dort hat er die Freiräume bekommen um diesen eigenen Stil entwickeln und nur bei einem Lokalradio ist diese Identifikation mit einer Mannschaft überhaupt möglich.

Sechstens die Herkunft. Walter Scheibli ist ein Urzürcher und nur zwei Jahre jünger als der ZSC. Er ist im Milchbuck-Quartier auf halbem Weg zwischen dem Hallenstadion und dem Dolder aufgewachsen und noch heute wohnt er mit seiner Frau wohnt dort.

Auf Lebzeiten ein Hallenstadion-Gast

Die ZSC Lions wissen sehr wohl, was sie an Walter Scheibli haben. Kein anderes Sportunternehmen hat einen Sympathieträger wie Walter Scheibli. Sie haben ihn und seine Frau Margrit – die beiden sind seit 55 Jahren verheiratet - zu Hallenstadion-Gästen auf Lebzeiten ernannt. Einst durfte Walter Scheibli sogar im Mannschaftsbus zu den Auswärtsspielen reisen und der ehemalige Präsident Fredy Duttweiler chauffierte ihn in den Wilden NLB-Zeiten der 1980er-Jahre im Lamborghini.

Bevor Walter Scheibli Sportreporter wurde, war er Sportler. Jugendriegler, Sektionsturner und Handballgoalie beim TV Oberstrass Zürich. Von den C-Junioren der Young Fellows stieg er via Etoile Sporting La Chaux-de-Fons, Martigny Sports und Red Stars ins Vorzimmer der Schweizer Fussballgoalie-Elite auf. Der kleine, reflexschnelle Linien-Spektakelkeeper, dessen Stil, so wird berichtet, ein wenig an Jean-Marie Pfaff mahnte (Bayern), brachte es mit den Young Fellows auf drei NLA-Einsätze und ein paar Einwechslungen ehe er seine Karriere beim FC Oerlikon und dem FC Unterstrass ausklingen liess.

Seinen Lebensunterhalt hat er aber nie ausschliesslich als Radioreporter verdient. Nach der Sekundarschule machte er eine Bäckerlehre und wurde Eidg. Dipl. Bäcker-Patissier. Später besuchte er eine Handelsschule, bildete sich sprachlich im Welschland weiter und arbeitete jahrelang im Aussendienst.

Der zweitberühmteste Hockey-Radioreporter

Walter Scheibli ist für die ZSC Lions, was Foster Hewitt (1902 – 1992) für die Toronto Maple Leafs war. Foster Hewitt ist bis heute Kanadas berühmtester Radioreporter. Wie Walter Scheibli hatte er seinen ganz eigenen Stil. Er begrüsste seine Zuhörer zu jeder Übertragung mit «Hello, Canada, and hockey fans in the United States and New Foundland.»

Die Medientribüne im neuen Stadion der Toronto Maple Leafs heisst «Foster Hewitt Media Gondola». Es wäre nur recht, wenn die Medienplätze im Hallenstadion in «Walter Scheibli Mediatribüne» umgetauft werden. Walter Scheibli ist schliesslich nach Foster Hewitt der zweitberühmteste Hockey-Radioreporter der Welt. Und hat nicht Julius Cäsar sinngemäss einmal gesagt: «Lieber der Erste im Hallenstadion als der Zweite in Kanada.»

Deine Meinung zählt