Schweizer KHL-Team offiziell bestätigt

Aktualisiert

Die «Helvetics» kommenSchweizer KHL-Team offiziell bestätigt

Der Oligarch Alexander Medwedew hat das Projekt eines Schweizer Teams in der russischen Eishockey-Liga KHL ab Saison 2014/15 offiziell bestätigt. Aus einer Provinzposse wird Hockey-Weltpolitik.

Klaus Zaugg
Riga
von
Klaus Zaugg
Riga
Das offizielle Logo der «Helvetics». (Bild: www.helveticshockey.ch)

Das offizielle Logo der «Helvetics». (Bild: www.helveticshockey.ch)

Es ist die verrückteste, helvetische Hockey-Geschichte des 21. Jahrhunderts. Und keiner weiss, wie sie enden wird. Blicken wir kurz zurück: Begonnen hat alles im letzten Frühjahr. Die «Huttwil Falcons» gewinnen die Meisterschaft der 1. Liga und sind sportlich zum Aufstieg in die NLB berechtigt. Doch die Liga verweigert den Aufstieg aus formellen Gründen. Teambesitzer Markus Bösiger, ein Immobilien-Unternehmer, löst die Mannschaft auf und produziert in seinem Stadion im Nationalen Sportzentrum zu Huttwil kein Eis mehr. Eine Schweizer Provinzposse.

Die Story könnte hier zu Ende sein. Aber sie beginnt jetzt erst recht: Im Dezember erscheint auf der offiziellen Homepage der russischen Eishockeyliga KHL eine Meldung: Es gebe ein KHL-Projekt für ein Schweizer Team unter dem Namen «Helvetics» ab der Saison 2014/15. 20 Minuten Online enthüllte, wer dahinter steckt: Markus Bösiger.

Ein Team aus der Schweiz in der KHL, der zweitwichtigsten Liga der Welt? Dr. René Fasel, der Präsident des internationalen Hockeyverbandes IIHF, einer der mächtigsten Männer der Hockeywelt sagte öffentlich, er halte das Ganze für eine Schnapsidee. Das beruhigt die Gemüter: Also muss man sich nicht mehr näher mit den «Helvetics» befassen. Die Geschichte ist trotzdem nicht zu Ende. Sie nimmt jetzt erst Fahrt auf.

Projekt «Helvetics» offiziell bestätigt

Am Samstag hat der Oligarch Alexander Medwedew das Projekt eines Schweizer Teams in der russischen Eishockey-Liga KHL ab Saison 2014/15 in Riga persönlich an der offiziellen Medienkonferenz der KHL bestätigt. Es gibt sie also doch, die «Helvetics». Und es gibt wichtige und mächtige Männer in der Hockeywelt, die sich ernsthaft mit den «Helvetics» befassen. Damit ist aus einer Provinz-Posse Hockey-Weltpolitik geworden. Ich muss russischen Journalisten die Ortsbezeichnung «Huttwil» in den Notizblöcken buchstabieren.

Alexander Medwedew gehört zu den reichsten Männern der Welt. 2009 stand er auf der Liste der 100 einflussreichsten Menschen des «Time Magazine». Er sitzt im Vorstand des russischen Ölkonzerns Gazprom, ist Präsident der KHL und des Eishockeyklubs St. Petersburg. Mehr noch: Er verkörpert Russlands Eishockey. Er ist, wie es so schön heisst, ein Oligarch: Einer der aufgrund seines Reichtums und seiner gesellschaftlichen Bedeutung mehr Macht ausübt, als die gewählten Politiker.

Huttwiler Delegation beim KHL-All-Star-Spiel

Warum folgt die offizielle Bestätigung gerade am Samstag in Riga? Ganz einfach: Die KHL hat in der lettischen Hauptstadt an diesem Wochenende das All-Star-Spiel zelebriert. Mehr ein gesellschaftlicher als ein sportlicher Anlass. Mit allen Granden des russischen Eishockeys. Und mit dem Langenthaler Immobilien-Unternehmer Markus Bösiger. Im Tal der Langeten im bernischen Oberaargau wird er hin und wieder als Westentaschen-Oligarch bezeichnet. Beim Projekt der «Helvetics» sind also gewissermassen Oligarchen unter sich.

Der Flug von Zürich nach Riga war ein bisschen lang, dauerte fast drei Stunden. Mit einer De Hallivand DHC-8 der Baltic Air ist Markus Bösiger am Freitagnachmittag mit seinen engsten Beratern nach Riga geknattert. Am Montag werden alle wieder daheim in Langenthal erwartet.

Markus Bösiger ist mit seinem Sportchef Lars Weibel, seinem Anwalt und dem ehemaligen Lakers-Trainer Igor Pawlow nach Riga gekommen. Weibel, ein ehemaliger Nationalgoalie, kümmert sich um die sportlichen Belange und Pawlow, ein deutsch-russischer Doppelbürger ist dank seiner Sprachbegabung – er spricht fliessend russisch – sozusagen der inoffizielle General Manager des Projekts. Im Hotel Radisson Blue hier in Riga haben sich die Schweizer Hockey-Pioniere mit den KHL-Generälen getroffen.

Neue Arena für 70 Millionen Franken geplant

Die erste Vereinbarung zwischen Bösiger und der KHL ist bereits am 17. Dezember 2011 in Zagreb unterzeichnet worden. Nun geht es darum, die konkreten Verträge im Detail auszuarbeiten. In den Grundzügen sind die «Helvetics» inzwischen aufgegleist: Vorerst ein Saisonbudget von rund 20 Millionen Franken, abgesichert auf drei Jahre, und eine Ausnahmeregelung im Ausländerstatus: Bei den KHL-Teams sind vier Nicht-Russen als Ausländer erlaubt. Bei den Helvetics werden vier Nicht-Schweizer als Ausländer akzeptiert. Die KHL erlaubt es den «Helvetics», vorerst im bestehenden Stadion zu spielen.

Für den Stadionausbau hat Bösiger bereits ein Baugesuch eingereicht (Volumen 20 Millionen Franken). Wenn die Bewilligung vorliegt, wird Phase zwei gestartet: Eine neue Arena gleich nebenan auf dem gleichen Grundstück der ehemaligen Kiesgrube in Schwarzenbach bei Huttwil (Volumen 70 Millionen Franken).

Medwedew sucht die Konfrontation nicht

Formell können die «Helvetics» nur mit Bewilligung des nationalen und internationalen Verbandes (IIHF) in der KHL spielen. Dagegen gibt es heftige Widerstände. IIHF-Präsident René Fasel hat, wie bereits erwähnt, kürzlich das Ganze öffentlich gar als «Schnapsidee» bezeichnet.

Alexander Medwedew ist in Riga von 20 Minuten Online mit dieser Aussage des IIHF-Präsidenten konfrontiert worden. Er hat mit staatsmännischer Gelassenheit reagiert: «Wir leben in einer Zeit der Globalisierung und ich denke nicht, dass sich René Fasel dagegen sträuben wird, dass wir in Europa enger zusammenarbeiten um das Eishockey weiterzuentwickeln. Wir werden in der Schweiz keine Konkurrenz sein. Sondern eine Bereicherung. Wir brauchen keine Sponsoren aus der Schweiz und Geld ist nicht das Problem.» Es ist herauszuhören und zu spüren, dass Medwedew in dieser Sache nicht die Konfrontation sucht. Sondern erst einmal den ordentlichen Weg durch die Hockey-Instanzen gehen will.

Machtkampf mit Fasel steht bevor

Dr. René Fasel weilt an diesem Wochenende nicht am All-Star-Game der KHL. Er hält sich in Innsbruck an den Olympischen Jugendspielen auf und sagt zu der neusten Entwicklung am Telefon: «Ich warte jetzt die offiziellen Anfragen des Schweizerischen Verbandes in dieser Sache ab. Wenn der Schweizer Verband seinen Segen gibt, dann können wir dagegen nichts tun, wenn der Schweizer Verband nicht will, auch nicht...»

Inoffiziell räumt Dr. Fasel ein, er könne sich einfach ein KHL-Team in Huttwil nicht vorstellen. Aber was, wenn die Hockeyfunktionäre und Dr. Fasel nicht wollen, aber Alexander Medwedew will? Schliesslich verkörpert Medwedew Russlands Eishockey und ohne die Russen kann Dr. Fasel die IIHF nur schwerlich regieren. Der schlaue Diplomat sagt: «Vergessen Sie nicht, dass auch Medwedew einen Chef hat.» Wen? Den lieben Gott? «Nein, Putin.» Putin und Dr. Fasel pflegen gute Beziehungen. Bahnt sich da gar ein titanischer Machtkampf ab?

Mit Entschlossenheit ins russische Abenteuer

Markus Bösiger weiss längst, dass sein Projekt schwierig zu verwirklichen ist und nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sportpolitische Dimension hat. Und geht mit grossem Respekt, aber eben auch mit Mut, Leidenschaft und grimmiger Entschlossenheit in dieses russische Abenteuer. Er ist optimistisch: «Es läuft nach Plan. Wir sind nun daran, die detaillierten Verträge auszuhandeln.»

Markus Bösiger sieht in den «Helvetics» eine riesige Entwicklungschance über die Region Oberaargau und das Eishockey hinaus. Die Reaktionen auf das KHL-Projekt seien unterschiedlich: Skepsis, Ablehnung, aber mehr und mehr auch Neugier und Interesse: «Es gibt jene, die erkennen, was dieses Projekt der ganzen Region, ja dem ganzen Schweizer Eishockey bringen kann und andere, die das nicht sehen. Es geht ja nicht nur um ein KHL-Team. Parallel dazu ist der Aufbau einer ganzen Nachwuchsorganisation und eines Farmteams und eines Zentrums für andere Sportarten geplant.» Und was sagen eigentlich die Spieler und deren Agenten: «Man ist schon auf uns zugekommen. Es gibt genug Spieler, die die Chance packen wollen, in der zweitwichtigsten Liga der Welt zu spielen.»

KHL statt NLB in Huttwil

Markus Bösiger nennt in Riga 20 Minuten Online auch seine Beweggründe für dieses Abenteuer. «Ich habe vor vier Jahren das Nationale Sportzentrum aus einer Nachlassstundung übernommen und damit vor der Schliessung bewahrt. Wir versuchen diese Anlage kostendeckend zu betreiben. Das geht nur mit Weiterentwicklung in allen Bereichen. Einerseits mit Events und andererseits mit einem Ausbau im Sportbereich. Wir wollten mit den Huttwil Falcons in Zusammenarbeit mit den SCL Tigers und dem SC Langenthal ein Ausbildungsteam in der NLB betreiben und wir sind sportlich ja auch aufgestiegen. Aber man wollte uns nicht und hat uns das auch klar gesagt. Wir hätten die Sache vor einem ordentlichen Gericht wohl durchziehen können. Aber das wollte ich nicht: Wozu solche Anstrengungen, wenn man uns doch in der NLB nicht will? Wir haben verschiedene Hockey-Projekte geprüft und sind schliesslich mit den KHL-Verantwortlichen ins Gespräch gekommen.»

Hier steht Markus Bösiger nun in Riga – und kann nicht mehr anders. Sein Russland-Abenteuer hat an diesem Wochenende in der lettischen Hauptstadt hochoffiziell begonnen.

Deine Meinung zählt