Der gescheiterte «Hockey-Sozialismus»

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«Time-Out»Der gescheiterte «Hockey-Sozialismus»

Die Entlassung von Larry Huras als Trainer des SC Bern ist kurios - und bitter: Zum ersten Mal muss ein Coach gehen, weil er seinen Job perfekt gemacht hat.

Klaus Zaugg
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Klaus Zaugg
Larry Huras wurde die «unattraktive Spielweise» zum Verhängnis. (Bild: Keystone/AP)

Larry Huras wurde die «unattraktive Spielweise» zum Verhängnis. (Bild: Keystone/AP)

Larry Huras hat die SCB-Unternehmensphilosophie gegessen, getrunken und geatmet. Er hat keinen hockeytechnischen Fehler gemacht. Seine Mannschaft hat lediglich vier Verlustpunkte Rückstand auf Platz 1. Und doch ist der Kanadier gefeuert worden. Warum?

Larry Huras ist das Opfer des gescheiterten «Hockey-Sozialismus», den SCB-General Marc Lüthi und vor allem SCB-Sportchef Sven Leuenberger in den letzten zwei Jahren inszeniert haben. Nun mag das Wort Sozialismus im Zusammenhang mit dem Hockey-Erzkapitalisten Lüthi und seiner Geldmaschine SC Bern (Umsatz gut und gerne 45 Millionen) absurd tönen. Und doch ist es die treffende Bezeichnung.

Die Macht des SCB-Managers

Marc Lüthi hat den SC Bern nach der Nachlassstundung vor zwölf Jahren übernommen und zu einem blühenden Sportunternehmen ausgebaut. Er geniesst inzwischen ein Unfehlbarkeitsdogma.

Marc Lüthi hat alles im Griff. Der SCB funktioniert. Diese Berechenbarkeit hat Sportchef Sven Leuenberger in den letzten zwei Jahren auf die Mannschaft übertragen: Lüthi und Leuenberger dulden keine Polemik, vermeiden jede öffentliche Kritik an Spielern, relativieren alles und pflegen einen harmonischen Professionalismus, einen «Hockey-Sozialismus». Der Teamgedanke ist so ins Absurde gesteigert worden, dass der SCB nicht nur einen, sondern gleich zwei Captains ernannt hat, und bei der Wahl der Ausländer ist immer die Teamfähigkeit und nicht die Ausstrahlung oder das Talent die wichtigste Eigenschaft. Schwierige Spieler und starke Spielerpersönlichkeiten meidet Leuenberger wie der Teufel das geweihte Wasser. Meisterliche SCB-Leitwölfe wie Yves Sarault, Gaetano Orlando oder Alan Haworth kämen heute nicht einmal mehr in den Kabinengang, geschweige denn in die Kabine.

Diese Philosophie hat Trainer Larry Huras verinnerlicht. Schliesslich heisst es: Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing. Statt mal zu toben, auch mal einen seiner faulen Superstars (wie Ryan Gardner) zu kritisieren oder auf die Tribüne zu setzen, hat er immer mehr jede Leistung gelobt. Die Spieler immer in Schutz genommen. Nach dem Motto: Alle verlieren gemeinsam, alle siegen gemeinsam und niemand ist schuld. Allenfalls ab und zu die Schiedsrichter. Die Lobpreisung seiner Mannschaft nach dem jämmerlichen 2:3 im Derby gegen Biel vor einer Woche war der vorläufige Höhepunkt. Weil 2009 dieses funktionelle Langeweiler-Hockey den Titel eingebracht hat, sahen Leuenberger und sein Trainer keinen Grund zur Korrektur.

Die Folge dieser Philosophie ist eine funktionierende, recht erfolgreiche, aber sterile und langweilige Mannschaft. Das Spiel gegen die ZSC Lions (1:2 n.V.) habe ich auf der Tribune neben einem der erfahrensten Trainer im Land verfolgt. Sein Name ist mir gerade entfallen. Ich fragte ihn, was er vom SCB halte. Er lobte die Organisation im SCB-Spiel und war überzeugt, dass es schon gut komme. Das ist typisch: Hockeytechnisch, aus der Sicht der Coaches, spielte der SCB fast immer gut. Unter Larry Huras hat die Mannschaft nie mehr als dreimal hintereinander verloren und sich locker in der oberen Tabellenhälfte gehalten.

Die fehlende Unterhaltung

Aber eben: Die Zuschauer leben nicht vom Sieg alleine. Ein bisschen Unterhaltung muss auch sein. Das seelenlose SCB-Hockey hat die Berner nicht mehr begeistert. Die Zuschauerzahlen sind leicht rückläufig. Solche Entwicklungen zu korrigieren ist ähnlich schwierig wie ein Richtungswechsel bei einem Öltanker: Bis die Massnahmen greifen, dauert es eine Weile. Wer zu lange mit der Kurskorrektur wartet, scheitert. Aber möglicherweise hätte sich ein wenig Warten gelohnt und es wäre besser gewesen, den Trainer erst unmittelbar vor den Playoffs zu entlassen. Der HC Lugano hat am 10. März 2006 Larry Huras erst während der Playoff-Viertelfinals gegen Ambri durch Harold Kreis ersetzt und dann den bisher letzten Titel geholt.

SCB-General Marc Lüthi ist ein kluger Mann. Er hat gespürt, dass etwas nicht mehr stimmt. Dass der SCB den wichtigsten Auftrag nicht mehr erfüllen kann: Die Zuschauer zu unterhalten. Wenn die Zuschauer nicht mehr mehr kommen und konsumieren, dann steht die grosse, mächtige SCB-Geldmaschine still.

Der SCB muss ja nicht gleich die Eishockeyantwort auf den FC Sion werden. Aber auf der Skala mit dem FC Sion am einen und dem Bundesamt für Statistik am anderen Ende steht der SCB viel zu nahe am Bundesamt für Statistik und könnte schon etwas mehr Richtung FC Sion rücken. Larry Huras hat im Auftrag von Lüthi und dessen Sportchef diese Kultur der funktionalen Langeweile aufgebaut, gehegt und gepflegt. In diesem Falle ist der Trainer so unschuldig wie ein Dirigent, dem aufgetragen wird, besinnliche Kirchenmusik zu intonieren und schliesslich mit der Begründung gefeuert wird, er habe nie Hip-Hop und Jazz spielen lassen. Das ist bitter für Larry Huras: Er hat keinen Fehler gemacht und wird trotzdem gefeuert.

Wer wird neuer Dirigent?

Der Trainerwechsel löst das Problem nicht. Die Kultur der funktionellen Langeweile kann nicht auf Knopfdruck in grosses Kino verwandelt werden. Gewiss: Nach dem Trainerwechsel wird es ein wenig rocken und rollen, am Dienstag kommt der HC Lugano und im Sinne der neuen Unterhaltungskultur sollte Marc Lüthi Spektakel und einen Kantersieg öffentlich fordern.

Aber das wird nicht genügen. Der neue Chefcoach Antti Törmänen ist zwar ein ausgewiesener Hockeyfachmann mit Cheftrainererfahrung in Finnland. Aber wer freiwillig als Assistent in die Schweiz gekommen ist, hat nicht das Charisma, um auf Dauer Westeuropas grösstes Hockeyunternehmen zum Vibrieren zu bringen und den fetten Katzen in der Kabine (den Stars) das Mausen beizubringen. Der neue Assistent Lars Leuenberger mag noch noch so kompetent sein und noch so gute Arbeit als Coach der Elite-Junioren geleistet haben – wenn der Bruder des Sportchefs Assistenz-Trainer wird, ist es nicht die Frage ob, sondern nur wann es Schwierigkeiten gibt.

Der SCB braucht also eine neue Sportkultur. Einen charismatischen Feuerkopf als Trainer. Einen Trainer mit dem Mut zur Kritik und zur Polemik. In der Art von Arno Del Curto, Chris McSorley oder Doug Shedden. Dazu endlich, endlich wieder mindestens drei aussergewöhnliche Ausländer. Und schliesslich sollte Sportchef Sven Leuenberger darüber nachdenken, wie er diesen oder jenen seiner grössten Langeweiler wegtransferieren und ersetzen kann: Zum Beispiel Ivo Rüthemann, Ryan Gardner, Caryl Neuenschwander und Marc Reichert.

Ich freue mich auf gute Unterhaltung. Wo der Mut zur hollywoodreifen Trainer-Entlassung nicht verloren gegangen ist, wird es schon wieder rocken und rollen.

Larry Huras

Geb. 8. Juli 1955. – Kanadisch-Franz. Doppelbürger

Trainerkarriere in der Schweiz:

1994/95 ZSC

1995/96 ZSC

1996/97 Ambri

1997/98 Ambri

1998/99 Ambri

1999/00 Ambri

2000/01 ZSC Lions

2001/02 ZSC Lions

gefeuert 6. November 2001

2002/03 Lugano

2003/04 Lugano

2004/05 Lugano

2005/06 Lugano

gefeuert 10. März 2006

2006/07 Ambri

2007/08 Stavanger/Norwegen

2008/09 Villach/Oesterreich

2009/10 SC Bern

2010/11 SC Bern

2011/12 SC Bern

gefeuert 21. Oktober 2011

Wichtigste Erfolge: Meister mit den ZSC Lions (2001), dem HC Lugano (2003) und dem SC Bern (2010). Continental-Cup-Sieger mit Ambri (1998, 1999) und den ZSC Lions (2001), Supercup-Sieger mit Ambri (1999). Qualifikationssieg und Final mit Ambri (1999, gegen Lugano verloren).

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