Eine hollywoodreife Entlassung

Aktualisiert

Grosses Kino beim SC BernEine hollywoodreife Entlassung

SCB-Trainer Larry Huras ist unmittelbar nach der Niederlage gegen die ZSC Lions «standrechtlich» gefeuert worden. Brisant: Sportchef Sven Leuenberger wollte Huras im Amt belassen.

Klaus Zaugg
von
Klaus Zaugg
Abruptes Ende von Larry Huras beim SC Bern.

Abruptes Ende von Larry Huras beim SC Bern.

Das Spiel ist vorbei. Der SC Bern hat in der Verlängerung gegen die ZSC Lions 1:2 verloren. Die Schlussphase war recht aufregend. Aber zuvor haben sich die Zuschauer gelangweilt. Die Spieler werden mit gellenden Pfiffen verabschiedet.

Neben der SCB-Kabine ist ein schöner, geheizter Raum für Interviews. Die Reporterinnen und Reporter bestellen jeweils bei Medienchef Christian Dick die Spieler für Interviews dorthin und Trainer Larry Huras erscheint zur Spielanalyse und steht Red und Antwort.

Aus heiterem Himmel

Doch diesmal kommt der SCB-Trainer nicht. Und Dick verkündet, Spieler würden heute auch keine erscheinen. Es lohne sich trotzdem noch ein wenig zu bleiben. Marc Lüthi habe eine Mitteilung zu machen. Und dann kommt der SCB-General und meldet die Entlassung von Trainer Larry Huras. Die Überraschung wäre nicht grösser gewesen, wenn er seine Bundesratskandidatur verkündet hätte. Es hat bis zu diesem Zeitpunkt nie Kritik am Trainer oder Polemik gegen den Trainer gegeben. Die Entlassung kommt buchstäblich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wie wenig dieses Entlassungsspektakel erwartet worden ist, zeigt sich auch daran, dass ein Hockey-Chronist ohne Laptop zum Spiel angereist war. Weil er eine weitere langweilige SCB-Vorstellung und somit keinen Stoff für eine Story erwartet hatte.

So weit so gut. Aber richtig hollywoodreif ist das Szenario bis zu dieser Entlassung. SCB-Präsident Walter Born bestätigt gegenüber 20 Minuten Online, dass der Entscheid, Larry Huras zu feuern, erst unmittelbar nach dem Siegestreffer der ZSC Lions gefallen sei. Ganz spontan. «Wir waren seit längerer Zeit mit dem Unterhaltungswert der Spiele nicht mehr zufrieden und haben im Verwaltungsrat den Trainer thematisiert. Ich habe das Spiel in der Loge von Marc Lüthi verfolgt und wir haben im Laufe der Partie ein immer schlechteres Gefühl bekommen. Als die Zürcher das 2:1 erzielten, haben Marc Lüthi und ich spontan entschieden, Larry Huras zu entlassen.»

Dieser Treffer von Andreas Ambühl hat also nicht nur das Spiel in der Verlängerung entschieden. Sondern auch gleich die Amtszeit des SCB-Trainers beendet. Es ist die zweite „standrechtliche" Trainerentlassung in der Amtszeit von Marc Lüthi. Am 6. November 2004 war Alan Haworth gleich im Anschluss an eine 1:2-Heimniederlage gegen Servette gefeuert worden.

Trainerentlassung als Volksentscheid

Doch zurück in die Gegenwart. Der Präsident und sein Manager steigen also unmittelbar nach dem Spiel in die Katakomben des Stadions hinab, begeben sich dort ins Trainerbüro und überbringen Larry Huras den Entlassungsbescheid. Anschliessend informiert Marc Lüthi die Mannschaft. Lüthi muss bei dieser Gelegenheit in der Kabine getobt haben. Er bestätigt hinterher: «Ja, ich war sehr laut. Wegen der ungenügenden Leistungen der Spieler mussten wir einen Trainer entlassen, der sehr professionell und gewissenhaft gearbeitet hat. Was soll denn der Trainer machen, wenn die Spieler schöne Elefanten-Bögen fahren und wenn es darum geht, einen Puck zu erkämpfen, sich gegenseitig anschauen als wollten sie sagen: Soll ich oder willst du? Aber woher will ich eine neue Mannschaft nehmen? Es ist uns nur die Entlassung des Trainers geblieben. Wir mussten handeln. Unsere Zuschauer, unsere Kunden, sind immer unzufriedener geworden. Wenn wir nichts dagegen tun, dann kommen die Zuschauer nicht mehr.»

Kann man also sagen, dass das SCB-Fussvolk durch seine Unzufriedenheit, durch die Pfiffe letztlich den Trainer abgesetzt hat? Eine Trainerentlassung sozusagen als Volksentscheid? Lüthi: «Ja, so kann man es sagen.» Larry Huras habe den Entlassungsbescheid ruhig und sehr professionell entgegengenommen. Man werde bei der Vertragsauflösung sehr kulant sein.

Verrückt: Hätte der SCB das Spiel gegen die ZSC Lions gewonnen und die Zuschauer begeistert, wäre der Trainer im Amt geblieben. Born: „Ja, das ist so. Bei einem Sieg und zufriedenen Zuschauern hätten wir den Trainer nicht entlassen." Wäre es nicht taktvoller gewesen, Larry Huras in aller Ruhe am Samstag oder am Sonntag zu entlassen – der SCB hat ja am Samstag spielfrei. „Nein" sagt Marc Lüthi gegenüber 20 Minuten Online. „Es gibt keinen guten Zeitpunkt. Die sofortige Entlassung ist besser. Es wäre unfair gegenüber Larry Huras gewesen, ihn noch die Spielanalyse und die Trainingsvorbereitung machen zu lassen." Und Born ergänzt: „Wenn das hundertprozentige Vertrauen zum Trainer fehlt, ist eine sofortige Trennung besser."

Bei dieser spontanen, sozusagen „standesrechtlichen" Entlassung ist klar: Einen Nachfolger haben die Berner nicht verpflichtet. Der bisherige finnische Assistent Antti Törmänen übernimmt die Mannschaft und Elite-Juniorentrainer Lars Leuenberger, der Bruder von Sportchef Sven Leuenberger, wird neuer Assistent. „Wir suchen keinen neuen Trainer" sagt Marc Lüthi. „Wir müssen ja auch gar nicht suchen. Die Offerten werden jetzt eintrudeln. Wir geben Törmänen und Leuenberger eine Chance. Wenn sie mit der Mannschaft die Zuschauer begeistern und erfolgreich sind, dann ist es durchaus möglich, dass sie bis Saisonende an der Bande stehen." Dass der Bruder des Sportchefs nun als Assistent arbeitet, ist für Lüthi kein Problem: „Es gibt für diesen Job keinen fähigeren Mann in unserer Organisation. Er arbeitete bisher mit grossem Erfolg als Trainer unserer Elite-Junioren. Der Einwand, sein Bruder sei ja Sportchef ist unfair gegenüber Lars."

Die Frage ist natürlich: Wollte auch Sportchef Sven Leuenberger die Entlassung „seines" Trainers? „Die Anstellung des Trainers ist bei uns Sache des Verwaltungsrates und nicht des Sportchefs" knurrt Marc Lüthi. Ja, aber Sven Leuenberger ist doch sicherlich um seine Meinung gefragt worden – oder? „Das bleibt intern" sagt Lüthi noch knurriger. Damit ist klar: Larry Huras ist gegen den Willen des Sportchefs gefeuert worden. Der Leiter der sportlichen Abteilung des SC Bern ist vom Verwaltungsrat desavouiert worden. „Nein" sagt Lüthi. „Anstellung und Entlassung ist so oder so Sache des Verwaltungsrates." Ist nun die Position von Sportchef Sven Leuenberger in Gefahr? Lüthi: „Nein, absolut nicht."

Larry Huras

Geb. 8. Juli 1955. – Kanadisch-Franz. Doppelbürger

Trainerkarriere in der Schweiz:

1994/95 ZSC

1995/96 ZSC

1996/97 Ambri

1997/98 Ambri

1998/99 Ambri

1999/00 Ambri

2000/01 ZSC Lions

2001/02 ZSC Lions

gefeuert 6. November 2001

2002/03 Lugano

2003/04 Lugano

2004/05 Lugano

2005/06 Lugano

gefeuert 10. März 2006

2006/07 Ambri

2007/08 Stavanger/Norwegen

2008/09 Villach/Oesterreich

2009/10 SC Bern

2010/11 SC Bern

2011/12 SC Bern

gefeuert 21. Oktober 2011

Wichtigste Erfolge: Meister mit den ZSC Lions (2001), dem HC Lugano (2003) und dem SC Bern (2010). Continental-Cup-Sieger mit Ambri (1998, 1999) und den ZSC Lions (2001), Supercup-Sieger mit Ambri (1999). Qualifikationssieg und Final mit Ambri (1999, gegen Lugano verloren).

Deine Meinung zählt