Ari SulanderDer Jahrhundert-Transfer, der fast gescheitert wäre
Ari Sulanders Tage bei den ZSC Lions sind so gut wie gezählt. Der finnische Kultgoalie ist der wichtigste ausländische NLA-Spieler der letzten 20 Jahre. Eine Würdigung.

Ari Sulander spielt auch neben dem Eis eine wichtige Rolle.
Die Neuigkeit erfahre ich im Februar 1998 hoch über Sibirien. Ich bin nach den Olympischen Winterspielen von Nagano auf dem Rückflug von Tokyo nach Zürich. Neben mir hat es sich der finnische Spieleragent Matti Vaisanen bequem gemacht. Wir kommen ins Plaudern. So nebenbei erzählt er mir, er habe in Zürich noch ein wichtiges Geschäft zu erledigen: Den Transfer von Ari Sulander von Jokerit Helsinki zu den ZSC Lions. Er habe für seinen Klienten einen schönen Vertrag im Wert von etwas mehr als 200 000 Franken netto herausgeholt. Das ist zu dieser Zeit ein bäumiger Lohn.
Hoppla. Ari Sulander war zwar bei den Finnen in Nagano nicht die Nummer 1 (die war Jarmo Myllys). Aber er fällt mir am ersten Olympischen Turnier mit allen NHL-Profis trotzdem auf: Er ermöglicht Finnland im kleinen Final den 3:2-Sieg gegen die Kanadier und damit den Gewinn der Bronzemedaille. Er ist also ein Spezialist für «big games», für grosse Spiele.
Ich bin also hoch über den Wolken zufälligerweise zu einer Exklusivgeschichte gekommen, und die kann ich nun wochenlang im Blick genüsslich ausbreiten: ZSC-Sportchef Simon Schenk hütet sich nämlich wie der Teufel vor dem geweihten Wasser, seinen Neueinkauf offiziell zu bestätigen. Mit gutem Grund. Erst muss er mit Torhüter Thomas Papp den Ligaerhalt sichern und wenn Papp wüsste, dass die ZSC Lions nicht mehr mit ihm planen, dann könnte er womöglich zum Lottergoalie verkommen. Ironie der Geschichte: Papp spielt im Frühjahr 1998 sein bestes Hockey. Aber seine NLA-Karriere ist zu Ende, ohne dass er es weiss: Er kommt fortan in der Organisation der ZSC Lions nicht mehr über die Rolle eines NLA-Ersatzgoalies hinaus. Erst als der Klassenerhalt in trockenen Tüchern ist, wird es offiziell: Ari Sulander wechselt von Jokerit Helsinki zu den ZSC Lions.
Sportchef Simon Schenk wollte Sulander nicht
Heute, nach 641 Spielen in der NLA (1670 Gegentore, 27 Assists, 35 Shutouts) wissen wir: Der Transfer von Ari Sulander hat unsere Hockeylandkarte verändert. Was für mich eine schöne Exklusivgeschichte hergegeben hat, ist in Tat und Wahrheit der wichtigste Transfer in der modernen Geschichte der ZSC Lions. Der inzwischen eingebürgerte Finne, gleich alt wie Biels «Hockeygott» Kevin Schläpfer, ist sogar der wichtigste ausländische Spieler der letzten 20 Jahre.
Mit dem Rückhalt von Ari Sulander wird aus dem Lotterteam der ZSC Lions in nur zwei Jahren eine Meistermannschaft (Titel 2000, 2001 und 2008) und die Zürcher erobern schliesslich erst Europa (Triumph in der Champions Hockey League 2009) und dann die Welt: Gewinn des Victorias Cup mit einem 2:1 gegen Chicago. Der erste Sieg eines Schweizer Teams gegen einen NHL-Titanen.
Was damals niemand weiss: Dieser historische Transfer wäre um ein Haar gescheitert. Als der neue Sportchef Simon Schenk im Laufe der Saison 1997/98 erkennt, dass er einen neuen Torhüter braucht, wird ihm rasch klar: Einen wirklich guten Schweizer Goalie bekommt er nicht: Renato Tosio ist mit dem SCB verheiratet. Reto Pavoni denkt nicht daran, von Kloten ins Hallenstadion zu wechseln. Langnaus Martin Gerber will ins Ausland und Zugs Ronnie Rüeger ist auch nicht auf dem Markt. Der ZSC-Sportchef braucht einen Ausländer. Zusammen mit seinem Trainer Hans Zach arbeitet Simon Schenk die Offerten der Spieleragenten durch. Schliesslich stehen fünf Namen auf der Liste: Drei Kanadier, der Deutsche Peppi Heiss und Ari Sulander. Zach will unbedingt seinen Spezi Peppi Heiss und hat keinerlei Interesse an Sulander.
Die Lions kauften die Katze im Sack
Aber es kriselt im Hallenstadion. Schenk spürt, dass sein teutonischer Rumpeltrainer das Vertrauen der Spieler verliert und ahnt, dass es mit Zach keine Zukunft gibt. Deshalb ignoriert er dessen Torhüterwunsch und verlässt sich auf sein eigenes Gespür. Er entscheidet sich für Ari Sulander. Obwohl er den Finnen noch nie spielen gesehen hat und mit ihm noch kein einziges Wort gewechselt hat, unterschreibt er im Februar 1998 den von Matti Vaisanen ausgearbeiteten Vertrag. Er kauft die Katze im Sack. Aber das Risiko ist gering: Matti Vaisanen arbeitet auch als NHL-Scout und schreibt unter anderem als Entdecker von Jari Kurri, Esa Tikkanen und Teemu Selänne Geschichte. Wenn er sagt, ein Spieler sei gut, dann ist er gut.
So lernt Simon Schenk seinen neuen Torhüter erst während der WM 1998 in Zürich und Basel kennen: Schenk trifft Sulander, die Nummer 1 beim WM-Finalisten Finnland, im Teamhotel und die beiden setzen sich zu einem ersten Gespräch in die warme Frühlingssonne. Der neue ZSC-Schlussmann spricht kaum ein Wort Englisch. Aber ohne viele Worte funkt es gleich zwischen dem Emmentaler und dem introvertierten Finnen. Der Sportchef und sein Torhüter verstehen sich auf Anhieb und das bleibt bis zu seiner Rückkehr nach Finnland im Frühjahr 2012 im Alter von 43 Jahren so (geb. 6.1.1969). Ari Sulander hat möglicherweise bei den ZSC Lions im Spiel und im Training mehr Pucks abgewehrt als Worte gesprochen. Aber dafür ist er ja geholt worden. Und nicht zum Plaudern.
Und jetzt, wo wir wissen, dass alles gut gegangen ist, können wir uns der Frage zuwenden: Was wäre passiert, wenn Hans Zach in Zürich am 1. Februar 1998 nicht gefeuert worden wäre und ZSC-Sportchef Simon Schenk im Sommer 1998 statt Ari Sulander den Deutschen Peppi Heiss verpflichtet hätte?
Dann wäre unsere Hockeygeschichte um viele Highlights ärmer. Vielleicht hätte es in Zürich auch ohne Ari Sulander einen Meistertitel gegeben. Aber sicher nicht drei und niemals den Triumph in der Champions Hockey League und den Sieg über Chicago. Der ruhige Finne hat nicht nur auf dem Eis eine Schlüsselrolle gespielt. Mit seinem Wesen und Wirken war er über all die Jahre ein ruhender Pol eines Hockeyunternehmens, das in der Medienhauptstadt Zürich nie zur Ruhe kommt. Ohne Ari Sulander wären die ZSC Lions den Stallgeruch des Lotter- und Skandalklubs nie richtig losgeworden. Er ist eine Lichtgestalt, deren Leuchten das Unternehmen ZSC Lions auch nach seiner Heimkehr nach Finnland noch jahrelang erhellen wird: Wenn böse Mäuler über die ZSC Lions herziehen, dann verwandelt ein Hinweis den Spott sofort in Ehrfurcht: Denkt daran, es ist der Klub von Ari Sulander.