Hillsborough-Katastrophe96 Glockenschläge für 96 Tote
Vor genau 20 Jahren fuhren 96 Liverpool-Fans an ein Cup-Spiel ins Hillsborough-Stadion und kehrten nie mehr heim. Sie starben in der schlimmsten Katastrophe des englischen Sports.
Es war der 15. April 1989, als sich Liverpool und Nottingham Forest im Halbfinal des FA-Cup in Sheffield gegenüber standen. Tausende Liverpool-Fans reisten voller Vorfreude ans wichtige Spiel. Ihre Anzahl überstieg die der Nottingham-Fans um ein Vielfaches. Trotzdem wurde ihnen die kleinere Stehplatztribüne im baufälligen Stadion zugewiesen. Nach zwanzig Jahren Hooligan-Kultur waren englische Stadien in den späten achtziger Jahren zu regelrechten Festungen verkommen. Massive Zäune umgaben die Stehplatztribünen und trennten sie auch vom Spielfeld. Eine fatale «Sicherheitsmassnahme», wie sich an diesem Tag zeigen sollte.
Veraltete Infrastruktur - überforderte Polizei
Bereits vor den wenigen Drehkreuzen stauten sich die Fans in beängstigender Weise. Die Polizei war ob dem Andrang der Fans hoffnungslos überfordert. Um die Lage der eingequetschen Fans am Eingang zu lindern, öffnete die Polizei schliesslich ein weiteres Tor. Nun strömten die Fans zu ihren Stehplätzen. Der Weg zu diesen Plätzen führte durch einen langen Tunnel. Auch innerhalb des Stadions war die Inkompetenz der Polizei augenscheinlich. Denn obwohl die beiden Stehplatzsektoren hinter dem einen Tor bereits zum Bersten voll waren, liess die Polizei weiter Fans durch den Tunnel strömen. In den Sektoren links und rechts davon gab es zu diesem Zeitpunkt noch genug Platz, doch kein Offizieller lotste die Fans zu diesen sicheren Sektoren.
Panik bricht aus
Und so drängten kurz vor Anpfiff um 15.00 Uhr weiterhin ungeduldige Fans auf die übervolle Tribüne. Dort war die Lage fatal. Die nachrückenden Fans pressten ihre Kameraden gegen die Gitter am Spielfeldrand. Für diese gab es kein Entkommen. Wie in einem Gefängnis waren sie von hohen Zäunen umgeben und konnten weder in die Sektoren nach rechts und links, noch aufs Spielfeld entkommen. Dort war inzwischen der Match angepfiffen worden. Auf den Rängen herrschte nackte Panik. Ersten Fans gelang es, sich über das Gitter auf das Spielfeld zu retten. Und wieder bewies die Polizei ihre Ohnmacht. Statt die tödliche Gefahr zu erkennen, drängte sie die Fans auf die Stehplätze zurück. Auch ein Tor im Gitter zum Spielfeld, das unter dem Druck der Masse aufgesprungen war, wurde von den Polizisten mit grossem Einsatz wieder geschlossen - während direkt dahinter dutzende Menschen starben. Statt medizinisches Personal auf den Platz zu schicken - insgesamt waren 42 Ambulanzen in der Umgebung des Stadions stationiert - stockte die Polizei ihre Präsenz auf dem Feld auf. Sie ging nach wie vor davon aus, dass es sich bei den aufs Spielfeld taumelnden Fans um Hooligans handelte.
Fans versuchten, ihre Kameraden wiederzubeleben
Das Spiel war inzwischen von einem Polizisten gestoppt worden, der auf den Platz lief und den Schiedsrichter informierte. Verzweifelte Fans rissen unterdessen Werbebanden ab, um sie als Behelfsbahren für ihre sterbenden Kameraden zu verwenden. Andere versuchten, bewusstlose Opfer wiederzubeleben. Mit grosser Verzögerung wurden von den Ordnungshütern nach und nach auch Sanitäter aufs Feld gelassen. Doch für 96 Fans kam jede Hilfe zu spät. Weitere 730 Liverpooler wurden im Stadion verletzt. Tausende mehr wurden für immer traumatisiert.
Die Ereignisse in Hillsborough versetzten das Land und besonders Liverpool in einen Zustand des Schocks. Quer durch alle Bevölkerungsschichten gab es in der Stadt am Mersey kaum jemanden, der an diesem Tag nicht einen Verwandten, Bekannten, oder Arbeitskollegen verlor. Der heutige Liverpool-Captain Steven Gerrard, damals acht Jahre alt, verlor einen zehnjährigen Cousin.
Gerrard geprägt von der Katastrophe
Die Tragödie mit dem Tod seines zehnjährigen Cousins prägte Steven Gerrard später als Profi-Fussballer. «Der Tod meines Cousins hat mich erst zu dem Fussballer gemacht, der ich heute bin», wird Gerrard in «DiePresse.com» zitiert. «Was damals geschehen ist, spielt bis heute eine zentrale Rolle für uns.» Steven Gerrard möchte diese Saison daher unbedingt den Meistertitel gewinnen und ihn den Familien der Angehörigen widmen: «Das wäre der perfekte Tribut», sagt der 28-jährige Engländer, der seit der Hillsborough-Katastrophe im Jahr 1989 ununterbrochen für Liverpool spielt.
96 Glockenschläge für 96 Tote
Eigentlich hätte Liverpool das CL-Rückspiel gegen Chelsea am Unglückstag austragen sollen. Die Reds ersuchten aber die Uefa, dass die Partie einen Tag früher stattfindet. Dem Antrag wurde stattgegeben und so wird am Mittwoch kein Fussball gespielt. An diesem Tag stehen die Trauerfeierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Hillsborough-Katastrophe im Vordergrund. Steven Gerrard wird an der Messe im Anfield-Stadion eine Rede halten und Liverpool gedenkt den 96 Todesopfern mit 96 Glockenschlägen. Am Wochenende werden Chelsea, Arsenal, Manchester United und Everton im FA-Cup-Halbfinal zum Gedenken an die Tragödie mit Trauerbinde spielen.
Stehplätze verschwanden für immer
Während für die Katastrophe selbst nie jemand zur Rechenschaft gezogen wurde, brachte die offizielle Untersuchung der Vorfälle bedeutende Verbesserungen für die Fussball-Fans. Besonders das Verbot von Stehplatztribünen, wenn auch bei gewissen Fans umstritten, sowie der Abbau der Gitter am Spielfeldrand machten die englischen Stadien unbestreitbar sicherer und zu einem Vorbild für Sportstätten in ganz Europa.
(heg/jcg)