Gegenwind in West-LondonAlles oder nichts für Di Matteo bei Chelsea
Er wollte nie Trainer werden. Seit Sonntag ist Roberto Di Matteo nun interimistisch Chefcoach des FC Chelsea. Ein Job, bei dem der Ex-Schaffhauser viel gewinnen, aber auch verlieren kann.

Harmonie sieht anders aus: Roberto Di Matteo und Didier Drogba nach der 1:3-Pleite gegen den SSC Napoli im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. (Freshfokus)
Zu Hause in London hat Di Matteo ein Bild stehen, dass ihn mit den Mannschaftskollegen von Chelsea zeigt, nachdem die «Blues» 1997 den FA-Cup gewonnen haben. Di Matteo hatte damals in der ersten Minute ein Tor geschossen. Sechs Jahre hat der Schaffhauser bei den Londonern gespielt. 175 Mal hat er das blaue Dress getragen und 26 Tore erzielt, ehe das Schicksal seiner Karriere am 28. September 2000 ein jähes Ende setzte. Di Matteo brach sich im Uefa-Cupspiel gegen St. Gallen in einem Duell mit Daniel Imhof das Schien- und Wadenbein. Trotz aller Bemühungen: 2002 hatte der Mittelfeldspieler im Cupfinal seinen letzten Auftritt.
Fast zehn Jahre später steht Di Matteo wieder vor einem grossen Auftritt mit Chelsea – diesmal als Cheftrainer. Und wieder in einem Cupspiel. Im Wiederholungsspiel im Achtelfinal des FA-Cups heute gegen Birmingham (1:1). Dabei wollte Di Matteo nie Trainer werden. Die Trainerdiplome, inklusive der Uefa-Pro-Lizenz, hat der schweizerisch-italienische Doppelbürger als Absicherung gemacht. Trainer wurde er dann aber eher zufällig. Im Sommer 2008 hatte ihn ein Kollege beim englischen Drittligisten Milton Keynes als Coach vorgeschlagen. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch hat er mehr aus Höflichkeit angenommen. Er war einer von 40 Kandidaten, aber ohne jede Erfahrung. Er wurde zu einem zweiten Gespräch aufgeboten – und erhielt den Zuschlag.
2009 bei West Brom entlassen
Di Matteo hatte Feuer gefangen. Und seine Lebenspartnerin Zoe, mit der er die drei Kinder Demi, Emilia und Julia hat, konnte nach schwierigen Jahren aufatmen, denn ihr war immer klar, dass der Fussball auch nach dem Unfall seine Leidenschaft geblieben war. In seinem ersten Trainerjahr führte er die Dons in die Halbfinals der Aufstiegs-Playoffs. 2009 kam das Angebot West Bromwich Albion zu übernehmen. 19 Monate arbeitete er mit West Brom. Er führte die «Baggies» in die Premier League und da bis auf Rang sechs. Dann aber ging es abwärts. In der Meisterschaft verloren die «Baggies» 11 von 16 Spielen und Di Matteo im Februar 2011 seinen Job.
Wie aus dem Nichts kam dann im Sommer 2011 das Angebot von André Villas-Boas. Der Portugiese, für den Chelsea-Besitzer Roman Abramowitch 15 Millionen Euro an den FC Porto überweisen musste, wollte explizit Di Matteo als Assistent. Ein Angebot, bei dem der ehemalige Mittelfeldspieler nicht überlegen musste. Aber die Ära Villas-Boas dauerte lediglich acht Monate. Aus dem Versprechen einen Mini-Mourinho geholt zu haben, wurde ein 15-Millionen-Missverständnis. Jetzt übernimmt Di Matteo. Und steht unter Druck.
Ziel: Ein Top-Vier-Platz in der Premier League
Der Klub ist noch im Achtelfinal der Champions League dabei, wenn auch nach dem 1:3 gegen Napoli im Hinspiel mit wenig Aussicht auf ein Weiterkommen. In der Premier League belegt Chelsea derzeit den enttäuschenden 5. Rang. Die mittelfristige Vorgabe an Di Matteo: Ein Top-Vier-Platz in der Meisterschaft. Und kurzfristig: Das diskussionslose Weiterkommen im FA-Cup heute im Wiederholungsspiel gegen den Zweitligisten Birmingham City.
Di Matteo weht ein rauher Wind entgegen. Die «Sun» will aus einer klubnahen Quelle wissen, dass die Spieler Villas-Boas wegen seiner arroganten Art nicht ausstehen konnten und mit der Zeit gegen den Trainer rebelliert hätten. «Aber Roberto mögen sie noch weniger...», zitiert das englische Boulevardblatt seinen Insider. «Er ist zu sehr von sich selbst überzeugt». Es sei vorstellbar, das sich die Mannschaft zu Beginn solidarisch zeigt, aber wenn die Resultate so schlecht bleiben sollten, «wird die Stimmung so schlecht sein wie jetzt – wenn nicht schlechter.»
Di Matteo hat die Schweiz nie vergessen
Immerhin geniesst Di Matteo den Rückhalt des Vorstands und des Vereins. Noch Jahre nach dem Ende seiner Karriere als Spieler besass Di Matteo eine Loge im Stadion, die seinen Namen trug. Auch bei den Fans ist er beliebt. Sie erinnern sich gerne an der 34-fachen italienischen Internationalen, der in der Schweiz aufgewachsen ist.
So wie Di Matteo die Schweiz nie vergessen hat. Mit Rolf Fringer, jenem Trainer unter dem er in Schaffhausen den Durchbruch geschafft hat und 1993 beim FC Aarau Meister geworden war, pflegt er den Kontakt. Euplio Basci, einer seiner besten Freunde und Götti eines seiner Kinder, lebt in der Nähe von Zürich, so dass regelmässige Besuche in der Schweiz auf der Hand liegen. Als Privatmensch ist Di Matteo offenbar der gleiche geblieben wie vor 1993, wo er zu Lazio nach Rom und in das Millionengeschäft Fussball eingetaucht ist: Zurückhaltend – was oft als arrogant interpretiert wird. Freundlich, aber nie überschwenglich. Verschlossen, aber nie abgehoben.
Von namhaften Trainern gelernt
Vorbilder für seine junge Trainerkarriere hat er einige erlebt. Dino Zoff und Zdenek Zeman bei Lazio. Ruud Gullit bei Chelsea und Arrigo Sacchi in der Nationalmannschaft. Mitgenommen hat er von jedem Einzelnen etwas. Kopieren will er keinen. Seine Philosophie: Eine organisierte Defensive muss die Grundlage für ein schwungvolles Offensivspiel sein. Allerdings will Di Matteo keinen attraktiven, sondern in erster Linie erfolgreichen Fussball von seiner Mannschaft sehen. Musik in den Ohren der Chelsea-Verantwortlichen und auch der Fans. Den Beweis muss Di Matteo erst erbringen. Er kann viel gewinnen, aber auch seinen legendären Status bei den «Blues» verlieren.