Europas Fussball droht der Kollaps

Aktualisiert

Studie zeigt aufEuropas Fussball droht der Kollaps

Müssten Europas Fussballklubs wie normale Firmen funktionieren, wären sie in kürzester Zeit pleite. Das schreibt die Unternehmungsberatung A.T. Kearney in einer Exklusiv-Studie.

Sandro Compagno
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Sandro Compagno

Die Zahlen sind alarmierend. Von den fünf grossen europäischen Ligen schrieben im untersuchten Zeitraum 2008/09 lediglich die Bundesliga in Deutschland und die französische Ligue 1 schwarze Zahlen. Die Jahresrechnungen in der Premier League (Eng), der Primera Division (Sp) und der Serie A (It) dagegen waren tiefrot. So rot, dass diese Meisterschaften spätestens innert zwei Jahren kollabieren müssten – wenn sie nach denselben betriebswirtschaftlichen Kriterien funktionierten wie eine «normale» Firma. England und Spanien wären innert Jahresfrist bankrott. Italien würde dank höheren Eigenmitteln immerhin zwei Jahre durchhalten.

Als Gründe für die schlechte finanzielle Verfassung des europäischen Fussballs haben die Experten von A.T. Kearney die teils exorbitanten Spielergehälter und die negativen Transferbilanzen ausgemacht. Das Bosman-Urteil habe dazu geführt, dass das gesamte Wachstum der letzten 15 Jahre in die Taschen der Spieler geflossen ist. Dazu werden auf dem Transfermarkt Hunderte Millionen Euro verlocht. So wurde von 2007 bis 2010 allein in der englischen Premier League eine negative Handelsbilanz von 1 Milliarde Euro erwirtschaftet, in Spanien knapp 600 Millionen. Verlangsamt hat sich das Transferkarrussell dafür in Italien. «Vor zehn Tagen im Spiel Juventus Turin gegen Chievo standen in der Startelf von Juventus neun Italiener», stellt Emmanuel Hembert, Principal bei A.T. Kearney, fest. Hembert sieht in der Serie A gar eine Trendwende: «Es fehlt an Cash.»

Bundesliga mustergültig

Europas Musterknabe ist die Bundesliga. Die Klubs profitieren von der Infrastruktur, die für die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 modernisiert wurde. Die Zuschauerzahlen sind europaweit am höchsten und die Bundesligisten investieren massiv in den Nachwuchs. Gegen 100 Millionen Euro fliessen in die klubeigenen Akademien. Damit werden Talente gefördert, künftige Transferkosten reduziert und teilweise auch die Lohnkosten eingedämmt. «Noch unterentwickelt sind die Erträge aus den Medien», namentlich aus den TV-Rechten, stellt die Studie erstaunt fest, das sei ein «Paradoxon im wettbewerbsfähigsten Medienmarkt Europas». Aus den Kriterien Sport, Wirtschaftlichkeit, Soziales und Umwelt erstellt A.T.Kearney ein Ranking mit der Bundesliga als beste Liga Europas. Platz 2 geht an die Premier League, die zwar wirtschaftlich hinter die Ligue 1 zurückgefallen ist, aber dank der sportlichen und sozialen Komponente vor den Franzosen liegt. Platz 4 belegt die Primera Division, Schlusslicht ist die Serie A.

Nicht überall herrscht Misswirtschaft. Da aber grosse Abhängigkeiten zwischen den Ligen bestehen, hält A.T. Kearney sogar das Risiko eines Kollapses des gesamten Systems für real. Eines der Probleme sei die starke Korrelation zwischen Transferausgaben und sportlichem Erfolg: «Geld schiesst Tore, aber Tore rentieren nicht.» Und als Umkehrschluss gibt es keinen sportlichen Lohn für finanzielle Gesundheit. Einen Strukturwandel im europäischen Fussball halten die Verfasser der Studie für unumgänglich: «Die Uefa plant die Einführung des 'Financial Fairplay Systems'. Aber ist es mutig genug? Und kommt es schnell genug?»

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