Gennaro «Rino» GattusoKnochenbrecher, Terrier und Bälleklauer
Mit der Verpflichtung von Gennaro Gattuso ist Sion-Boss Christian Constantin der ganz grosse Transfer-Coup gelungen. «Der Knurrige» beisst künftig im Wallis zu.
Weltmeister 2006, Champions-League-Sieger 2003 und 2007, italienischer Pokalsieger, italienischer Meister 2004 und 2011, Klubweltmeister 2007: Noch nie hat ein Fussballer mit derartigem Ausweis in der Schweizer Liga gespielt. Der letzte Weltmeister, der in Diensten eines Schweizer Klubs stand, war der Franzose Christian Karembeu 2004/05 bei Servette. Nun hat sich Gattuso für zwei Jahre im Wallis verpflichtet. Er wird heute an einer Pressekonferenz vorgestellt.
«Knochenbrecher vom San Siro», «Wadenbeisser», «Terrier» und «Bulldogge» ist nur eine kleine Auswahl der Spitznamen, die sich der Italiener im Laufe seiner Karriere erarbeitet hat. Zum Teil beziehen sich die Bezeichnungen auf sein Aussehen. «Mein Gott, bin ich hässlich», soll er nach dem WM-Final im Hotel vor dem Spiegel gejammert haben. Die anderen Spitznamen hat sich Gattuso mit seiner –sagen wir – etwas robusten Art, Fussball zu spielen verdient. Vieles ist auch Klischee. Einer der Namen ist über all die Jahre geblieben: «Ringhio». Frei übersetzt ist das «der Knurrige». Gattuso bevorzugt indes die abgeschwächte Form «Rino».
Schnörkellos, hart und ehrlich
Kalabrisch nennt der 34-Jährige seinen Stil Fussball zu spielen. «Kalabrisch spielen heisst sich den Lohn zu erschwitzen, zu erkämpfen, nie aufzugeben und sich immer wieder mit derselben Wut in den Ball zu verbeissen, auch wenn dieser verloren scheint.» Der Sechser der alten Schule hat die Gabe, ein Spiel zu lesen, die Spielzüge des Gegners zu antizipieren und die Aktionen der Ballartisten rechtzeitig zu zerstören. «Ich bin eigentlich nur ein ladro di palloni.» Als «Bälleklauer» hat er sich hochgearbeitet. Schnörkellos, hart und ehrlich.
Bis dahin war es aber ein langer Weg. Der Fussballer stammt aus einfachen Verhältnissen. Er wuchs in Schiavonea, einem Ortsteil von Corigliano Calabro in der Provinz Cosenza auf. Zu fünft bewohnten die Gattusos eine 70 Quadratmeter grosse Wohnung. Seine Karriere startete Gennaro 1994 bei der AC Perugia, damals in der Serie B, wo er so wenig verdiente, dass er stets seinen Mannschaftskollegen Marco Materazzi um Geld anpumpen musste. Weil er bei Perugia aber kaum zum Einsatz kam, verliess er Italien und ging im Alter von 19 Jahren zu den Glasgow Rangers. «Ohne Glasgow wäre ich heute nicht da, wo ich bin», sagt er über seine Zeit in Schottland, die ihn nachhaltig geprägt hat und wo er fast wieder gelandet wäre, wenn Christian Constantin nicht gewesen wäre.
Die Frau zu einem Bild
In Glasgow hat er auch sein privates Glück gefunden. In seiner Lieblingspizzeria hing ein Bild einer hübschen jungen Frau, die ausgezogen war, um in Italien zu studieren. Eines Tages war sie da, die Frau zum Bild. «Wir haben uns danach mehrmals getroffen und sind miteinander ausgegangen», so Gattuso. Heute ist er mit Monica verheiratet. Sie haben einen Sohn und eine Tochter. Nach Differenzen mit dem damaligen Glasgow-Trainer Dick Advocaat zog es «Rino» im Oktober 1998 nach Italien zurück. Nach nicht einmal einem Jahr bei Salernitana sicherte sich die AC Milan die Dienste des defensiven Mittelfeldspielers. Dieser hielt er 13 Jahre lang die Treue.
Die Mailänder Fans verlieren einen Spieler, der ihnen ans Herz gewachsen ist. Einen, mit dem sie sich identifizieren konnten. Einer von ihnen, der es trotz seiner Millionen geblieben ist. Aus Gattuso ist nie ein abgehobener Snob geworden. Kein Angeber, der für die einfachen Fans nicht greifbar ist. Er schickt seine Frau nicht ins Fernsehen oder liefert der Klatschpresse hohe Auflagen. Er protzt auch nicht mit einem Ferrari.
Ein Typ mit Ecken und Kanten
Journalisten mögen Gattuso, weil er ein Typ mit Ecken und Kanten ist. Weil er keine leeren Worthülsen und von Presseverantwortlichen eingetrichterte Phrasen von sich gibt. Manchmal sind die Dinge, die er sagt, auch gemein. Aber dazu steht er. Auch wenn er zugibt, dass er immer öfter erst bis zehn zählt, ehe er antwortet.
Was für den 34-Jährigen aber vor allem zählt, sind seine Engagements in Kalabrien. Zum Beispiel gründete Gattuso 2003 die Fussballschule und Stiftung «Forza Ragazzi» – «für Kinder, die nicht so viel Glück hatten im Leben wie ich». Zudem zog er in seiner alten Heimat eine Fischfabrik hoch, die Arbeitsplätze an den armen südlichen Zipfel des Landes brachte. Seiner Schwester übertrug er die Verwaltung seiner Kleider-Boutiquen in Schiavonea, die auch sein eigenes Label führen. Die Kleiderkollektion trägt Gattusos Markenzeichen – eine Bulldogge. Irgendwie logisch.